© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/18 / 23. November 2018

Die Regierung versteht die Botschaft nicht
Frankreich: Trotz Massenprotesten will Präsident Macron an seinem Kurs, mit ökologischen Steuern die Spritpreise zu erhöhen, festhalten
Friedrich-Thorsten Müller

Es war der Tag der „Gilets Jaunes“ („Gelbe Warnwesten“). Etwa 300.000 Bürger nahmen am ersten landesweiten Aktionstag der neugegründeten Bürgerbewegung teil. Anlaß für die Demonstrationen sind die seit Jahresbeginn um 14 beziehungsweise  22 Prozent gestiegenen Verkaufspreise für Normalbenzin und Diesel. Die Protestler hatten sich am vergangenen Samstag zum Ziel gesetzt, den Verkehr im Land zu blockieren, um die Regierung zur Rücknahme von Kraftstoffsteuererhöhungen zu bewegen. Seit sechs Uhr morgens standen sie an insgesamt über 2.000 neuralgischen Punkten des französischen Straßennetzes. Unter anderem versuchten sie Mautstationen an Autobahnen oder Flughafenzubringerstraßen zu blockieren. Allerdings waren keine strategischen Verkehrsachsen von den Aktionen betroffen. Teilweise – wie im Departement Calvados – nahmen bis zu 3.500 Protestierende an den Kundgebungen teil.

Abends sahen Randalierer ihre Stunde gekommen    

Während die überwiegende Zahl der Demonstrationen friedlich und ohne Zwischenfälle blieb, kam es bei einer nichtangemeldeten Blockade in Pont-de-Beauvoisin im Département Savoie zu einer Tragödie. Eine etwa sechzigjährige Demonstrationsteilnehmerin wurde von einer an einer Straßensperre in Panik geratenen Autofahrerin überfahren und erlitt dabei tödliche Verletzungen.

Neben diesem Todesfall kam es auch zu 395 Leicht- und 14 Schwerverletzten. Darunter waren 28 Polizisten und Feuerwehrleute. Laut Innenminister Christophe Castaner wurden 282 Festnahmen vorgenommen. Castaner konstatierte für die Abendstunden eine deutliche Veränderung der Teilnehmerstruktur der Demonstrationen. Teilweise sei an den Blockadestationen dem Alkohol zugesprochen worden, woraufhin es zu Rangeleien kam. An verschiedenen Orten hätten sich nach Angaben der Nationalpolizei gegen Abend aber auch immer mehr Randalierer unter die Demonstranten gemischt. So wurden auf der Autobahn A4 sogar Molotowcocktails auf Polizisten geworfen und in Troyes die Präfektur gestürmt. In Quimper in der Bretagne mußten Randalierer mit Wasserwerfern auseinandergetrieben werden.

Trotzdem wird dieser erste Aktionstag der „Gilets Jaunes“ von Medien und Oppositionspolitikern überwiegend als ein Erfolg angesehen. Laurent Wauquiez, der Chef von Frankreichs Konservativen („les Republicaines“), mischte sich in seiner Heimatstadt Le Puy-en-Velay unter die Demonstranten, allerdings ohne selbst eine gelbe Warnweste zu tragen. Gegenüber der Presse äußerte er seine Unterstützung für die Demonstranten, da es sich um Bürger handele, die „von den Steuern regelrecht erdrückt würden und nicht mehr weiter wüßten“. 

Gewerkschaft kritisiert Auftritt von Rechtsextremen

Marine Le Pen ermunterte in der Fernseh-Talkshow „Le Grand Jury“ Präsident Emmanuel Macron, zu sagen, „ich habe die Botschaft verstanden“. Ähnlich äußerte sich Nicolas Dupont-Aignan, der Chef von „Débout la France“, dem rechten Bündnispartner des Front National (heute Rassemblement National) aus der Präsidentschaftswahl. „Nicht die Demonstranten blockieren Frankreich, es ist die Regierung“, äußerte er gegenüber dem Radiosender France Info. 

Auch der Generalsekretär von Frankreichs wichtigster Gewerkschaft CGT, Philippe Martinez, bezeichnete die Demonstrationen als „legitim“. Und das obwohl er seine Mitglieder aufgrund „starker Präsenz von Rechtsextremen“ nicht zur Teilnahme am Aktionstag aufgefordert hatte.

Still verhielt sich dagegen Präsident Macron, der an seinem Amtssitz von mehreren hundert Demonstranten einer benachbarten Kundgebung „besucht“ wurde. Er hatte schon vor Tagen erklärt, an seinem Kurs, mit ökologischen Steuern die Sprit- und vor allem Dieselpreise zu erhöhen, festhalten zu wollen. Daß Demonstranten die Benzinpreisproteste mit den Brotpreisunruhen vor der Französischen Revolution verglichen – und ihn mit König Ludwig XVI. (der auf dem Schafott endete) –, ließ ihn äußerlich unbeeindruckt. „Dreiviertel der Preissteigerungen dieses Jahres gehen auf globale Kursschwankungen zurück“, relativierte er wenige Tage vor dem Aktionstag die Situation. Lediglich ein „Vermittlungsproblem“ seiner grundsätzlich richtigen Politik wollte er – der immer mehr bezichtigt wird, der „Präsident der Reichen“ zu sein – einräumen.