© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/18 / 23. November 2018

Gegen die „Erpresser“ aus Brüssel
Italien: Im Streit um Roms Haushaltspläne will die Regierung unter Di Maio und Salvini nicht klein beigeben / Kritik an den Niederlanden und Österreich
Marco F. Gallina

Luigi Di Maio, der italienische Vizepremier und Minister für Arbeit und Soziales zürnt: „Wenn Österreich und die Niederlande fordern, daß wir alle Regeln einhalten müssen, dann fordern sie Tränen- und Blut-Maßnahmen“.  „Wir gehen weiter, denn die Alternative wäre, die Rentner noch mehr zu massakrieren, die Arbeitslosen noch mehr zu massakrieren, die Firmen noch mehr zu massakrieren. Das kann keine Alternative sein.“

Die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), die Di Maio anführt, zeigt in solchen Momenten ihr linkspopulistisches Gesicht. Ein Großteil der süditalienischen Jugend, ohne Arbeit, ohne Perspektive, hat den M5S am 4. März gewählt. Aber während der ehemals kleine Koalitionspartner Lega seit der Wahl von 17 auf 30 Prozent in den Umfragen gestiegen ist, schwächelt die einstmals mächtige Protestbewegung, die der Komiker Beppe Grillo vor rund neun Jahren ins Leben rief. Seit der Wahl ist sie von 32 auf 27 Prozent gefallen. Es zeigt deutlich, welcher Koalitionspartner derzeit den Italienern imponiert.

Der Kampf der „Grillini“ für das Grundeinkommen und das 2,4-Prozent Defizit hängt daher eng mit der Zukunft der gesamten Partei zusammen. Die vom Junior zum gefühlten Riesen avancierte Lega könnte sich bei Neuwahlen ihren neuen Partner aussuchen. Di Maio geht daher in die Offensive. Lega-Chef Matteo Salvini macht das Spiel mit, solange der gemeinsame Feind in Brüssel den Kitt der Regierung bietet. Er leistet Di Maio Schützenhilfe: „Sie wollen uns bestrafen, aber das wird der EU mehr schaden als uns“, stimmt der Innenminister in den Tenor ein. „Die sind doch verrückt, wenn die ein Verfahren gegen uns eröffnen. 60 Millionen Italiener würden dann dagegen aufbegehren.“

Schuldenabbau behindert die Etatkonsolidierung

Vor einem Monat lehnte die EU den Haushaltsplan der italienischen Regierung ab und forderte zu einer Korrektur auf. Die Frist lief in der Nacht zum 14. November aus – ohne Reaktion Italiens. Nun droht eine Versammlung der Finanzminister der Europäischen Union. Bestätigen diese, daß Italiens Defizit zu hoch ist, so hat Italien sechs weitere Monate Zeit, seine Haushaltspolitik auf Kurs zu bringen. Sollten sich die rebellierenden Populisten erneut wehren, stehen Rom saftige Strafzahlungen ins Haus. Die Ziffer von dreieinhalb Milliarden Euro macht inwischen die Runde.

Dabei hatte der parteilose Finanzminister Giovanni Tria noch im September gesagt, daß ein ausgeglichener Haushalt das langfristige Ziel der italienischen Finanzpolitik sei. Geringes Wachstum, hohe Arbeitslosigkeit und die erhöhte Schwierigkeit, den Schuldenabbau mit sozialer Stabilität zu kombinieren, so Tria, seien die Hauptgründe, wieso die italienische Politik dieses Ziel derzeit nicht umsetzen könne. Auch Premierminister Giuseppe Conte versuchte die Luft aus dem Streit zwischen Brüssel und Rom zu nehmen. „Wir haben eine Reform gegen Steuerhinterziehung verabschiedet, die ehrlichen Leuten ermöglicht, ihren Frieden mit der Finanzverwaltung zu machen.“ Das Gesetz sei im Sinne Brüssels. Er werde sich bald mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker treffen.

Daß Rom versucht, Zeit zu gewinnen, hat wohl auch einen wahltaktischen Hintergrund. Sollte es zu einer Verurteilung durch die Finanzminister kommen, dann fiele das Fristende mit der Europawahl im Mai nächsten Jahres zusammen. Zeit genug für Di Maio und Salvini, Wahlkampf gegen die „Erpresser“ aus Brüssel zu machen.