© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/18 / 23. November 2018

Dorn im Auge
Christian Dorn

Lidl lohnt sich!“ Dies bestätigt der Blick in die Wochenendausgabe des Handelsblatts, wird doch Dieter Schwarz, Kopf des Familienunternehmens, mit 24,2 Milliarden US-Dollar in der Liste der reichsten Deutschen auf Platz eins geführt. Da werde ich beinahe „neidisch“, wie im gleichnamigen Song von André Herzberg, wo es originell heißt: „lieber Arm ab, als arm dran“. Jetzt hat der Frontmann der legendären Rockband Pankow ein neues Soloalbum veröffentlicht, das genauso betitelt ist wie sein jüngster Roman: „Was aus uns geworden ist“. Diese „Parallelaktion“ scheint auf den Punkt gelungen. Beispielhaft für Herzbergs authentischen Blick, sein Gespür für das Wesentliche, bleibt – für Leser dieser Zeitung – bis heute sein Interview zu Thilo Sarrazin (JF 37/10). Dies zeigt sich auch im neuen Roman, der – anhand verschiedener, sich überkreuzender Lebensläufe – die Identitätssuche von sechs, zumeist prominenten Menschen in berührender Weise rekapituliert, die als Kinder jüdischer Eltern in der DDR, oftmals solche der Nomenklatura, aufwuchsen. Das offiziöse Bekenntnis zum „christlich-jüdischen Abendland“ wirkt gleichwohl verlogen – jedenfalls aus der prononcierten Sicht eines befreundeten Musikers und Texters aus Hamburg, auch er mit jüdischen Vorfahren. So habe Marx die Spaltung der Gesellschaft betrieben, Freud die der Psyche und Einstein die des Atoms. Dieser argumentativen Betriebsamkeit weiß ich nichts entgegenzusetzen.


So wie Europa ist, muß Europa nicht bleiben, es abzutreiben, wählt, bis ihr’s wißt! – Es ist die abgewandelte Losung Bertolt Brechts („Europa“ statt „Erde“, „ab“ statt „an“, „wählt“ statt „forscht“), die in Halberstadt an der Stirnseite der Aula der EOS „Bertolt Brecht“ prangte. Sie kommt mir in den Sinn, als ich beim AfD-Parteitag in Magdeburg zur Kandidatenaufstellung für das EU-Parlament dem Auftritt meines einstigen Schulkameraden Christian Hecht entgegenfiebere, mit dem ich 1989 das Abitur ablegte. Leider scheitert seine Bewerbung für einen Listenplatz. Dabei stammt die Brecht-Losung aus dem Propagandawerk „Die Erziehung der Hirse“ – für alle Putin-Freunde eine Alternative zu den EU-Agrarsubventionen. Unterdessen, im Café des Ostsektors, grüßt mich der junge Karl Marx – der Darsteller, der wenige Jahre zuvor noch als SS-Mann von den Inglourious Basterds erschossen worden war. Als Schauspieler erscheint das Phänomen der Auferstehung doch eine profane Angelegenheit – nicht so theatralisch wie das frühere Soloprogramm André Herzbergs.