© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/18 / 23. November 2018

Zwei beschädigte Leben
Ziemlich beste Freunde in den slowakischen Bergen: In „Der Dolmetscher“ schildert Martin Šulík eine ungewöhnliche Begegnung zweier alter Männer
Sebastian Hennig

Ein mürrischer älterer Herr entsteigt an einem sonnigen Morgen in Wien dem Zug aus Preßburg. Er fragt sich durch und nimmt in der Bahnhofsrestauration Kaffee und Kognak. Mit der Pistole in der Tasche klingelt Ali Ungár (Jirí Menzel) an der Tür einer großbürgerlichen Mietvilla und wünscht den SS-Sturmbannführer Graubner zu sprechen. Ungárs Eltern hatten sich während des Krieges in der Slowakei versteckt, wurden dort aufgespürt und erschossen. Der Sohn des Gesuchten, Georg Graubner (Peter Simonischek), gestattet dem unerwarteten Gast, die Toilette aufzusuchen, und läßt ihm das gewünschte Glas Wasser bringen durch eine slawische Haushaltshilfe, mit der er schäkert. Das Ansinnen des Gastes läßt er nicht an sich heran: „Mein Vater hat Hunderte Menschen erschießen lassen.“ 

Regisseur Martin Šulík und sein Mitautor Marek Lešcák haben die beiden Protagonisten ihres Films „Der Dolmetscher“ zusammengebracht. Einige Wortwechsel später wird einer „antisemitisches Schwein“ genannt und tituliert sein Gegenüber als „zionistischen Übermenschen“. Der ritzt im Abgang mit dem Schlüssel ein Hakenkreuz in die Lackierung des Briefkastens. Das könnte es wieder einmal gewesen sein, mit dem vielbeschworenen Miteinanderreden. 

Doch Graubner übernimmt die Initiative. Er sucht den Dolmetscher in dessen Heimatstadt auf und vermag ihn zu einer gemeinsamen Exkursion an die Handlungsorte der Vergangenheit zu bewegen. Zum Tagessatz läßt der sich engagieren, nur solle die Reise nicht der Unterhaltung dienen. Freilich kann er sich der geselligen Art seines Gefährten nicht entziehen, zumal der immer wieder mit jungen Frauen anzuknüpfen weiß. Auf der Reise in die gemeinsame Vergangenheit ihrer Eltern werden die beiden Männer beinahe so etwas wie „ziemlich beste Freunde“.

Der Film vermeidet es, einen der Protagonisten zum Ekel zu stilisieren, wenn auch das Potential beiderseits vorhanden ist. Es handelt sich um zwei alte Kerle, die jeder auf seine Weise mit einem beschädigten Leben fertig werden müssen. Während Ungár durch Askese die Angriffsfläche für das Schicksal zu verkleinern trachtet, überbrückt Graubner die Abgründe mit übertriebener Achtlosigkeit. Ein Stoiker und Epikureer raufen sich zusammen. Aus den Unterschieden der Temperamente bezieht der Film seine Komik.

Ihnen begegnen Mißtrauen und beredtes Schweigen

Da reisen also ein dreifach geschiedener Lehrer mit Alkoholproblem und ein verwitweter Griesgram, immer noch vom Tod der einzigen Frau gelähmt, durch die slowakischen Berge. Dort begegnet ihnen Mißtrauen und beredtes Schweigen. Sie erzählen sich weit mehr gegenseitig, als sie von anderen durch ihre Fragen erfahren. Der Besuch einer Dokumentationsstätte bringt ihnen eine Mappe von Symbolbildern der hingemordeten Opfer ohne konkrete Angaben. Doch da sind noch die Briefe von Kurt Graubner an Frau und Kinder daheim. Er hat sie mit kleinen Zeichnungen von Landschaften und Tieren verziert.

Der Film wirkt zwar mit symbolischen Szenen, doch vermeidet er zu eindeutige Aufladung. Während Ungár die rätselhaften Aufzeichnungen eines Familienvaters liest, die mit seinen Empfindungen nicht in Übereinstimmung zu bringen sind, lösen sich im Hintergrund farbige Planen von einem riesigen Werbeaufsteller. Sie treiben über den Acker, während Arbeiter in orangen Westen sie einzufangen suchen.

Ein bezeichnender Dialog zwischen den beiden Männern, die sich immer bürgerlich korrekt anreden, findet in einem Thermalbad statt. Der Dolmetscher wandelt am Beckenrand, während der Lebemann darin seine Runden zieht. Die strammen Beine zweier Mädchen zelebrieren dazu unbeeindruckt ihr zackiges Wasserballett. Als Graubner Jacke und Geld aus dem Auto gestohlen wird, springt der Gefährte in die Bresche und ringt sich aus wirtschaftlichen Gründen dazu durch, ein Doppelzimmer zu teilen. Beide zerren sie nun an dem Ehebett, scheitern aber daran, die Lagerstatt zu trennen.

An der Hotelbar jongliert die Frau hinter dem Tresen mit den Flaschen. Graubner läßt sich von Veronika (Réka Derzsi) anflirten. Als er wahrheitsgemäß berichtet, warum er hier sei, erwidert sie, auf solche Weise habe sie noch niemand angemacht. Auf ganz andere Weise, als es die offizielle Erinnerungsbewirtschaftung glauben machen will, ist eine schreckliche Vergangenheit gegenwärtig geblieben und führt immer wieder zu grotesken Situationen. 

In einem Altersheim in Ružomberok (Rosenberg) spüren sie den alten Kysel (Igor Hrabinský) auf. Dessen Enkel versucht sie von dem Alten abzudrängen, der sei dement, doch kann er nicht verhindern, daß der Großvater sich gesprächig erweist. Er nennt drei slowakische Namen von Exekutoren der von den Deutschen aufgespürten Juden. Auf die Frage, wo diese heute seien, antwortet er bedauernd, alle seien sie gestorben und nun habe er keine Freunde mehr. Am Ende des Films schürzen die Autoren die losen Stränge der Vergangenheiten zum Knoten einer entbehrlichen Pointe.