© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/18 / 23. November 2018

Umgeben von Duckmäusern
Keine Sternstunde der Inneren Führung: Die Entlassung des Brigadegenerals Günzel vor 15 Jahren
Fritz Zwicknagl

Im November 2003 wurde der Kommandeur des Kommandos Spezialkräfte (KSK), Brigadegeneral Reinhard Günzel, von Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) „gefeuert“, wie es die Presse formulierte. Ab sofort wurde ihm verboten, Uniform zu tragen, eine Kaserne zu betreten, und erst recht, sich von seiner Truppe zu verabschieden, mit der er kurz zuvor erst in Afghanistan seinen Kopf hingehalten hatte.

Sein Vergehen bestand darin, eine im nachhinein als „antisemitisch empfundene“ Rede des Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann (CDU) mit einem höflich zustimmenden Brief quittiert zu haben, vom Antisemitismus blieb vor Gericht nichts mehr übrig. Da war das Urteil über einen verdienten Offizier in den Medien längst gefällt – und von der Politik vollstreckt. Der einzige Vorwurf, der an Günzel letztlich hängenblieb: Er hätte dafür besser seinen privaten und nicht den amtlichen Briefkopf nutzen sollen.

Generale wie auch hohe Beamte können jederzeit „ohne Angabe von Gründen“ in den vorläufigen Ruhestand versetzt werden. Dieses feudal anmutende Recht erlaubt es den Ministern, ihr Spitzenpersonal nach jeweiliger Couleur auszusuchen. Es geht nicht um „Schuld“, sondern um Staatsräson, wie jüngst wieder der „Fall Maaßen“ vorführte. Grob mißbraucht wird dieser wertneutrale Rechtsakt, wenn er als „unehrenhafte Entlassung“ wie für einen verurteilten Straftäter inszeniert wird. Das hat Minister Struck mit den bewußt entwürdigenden Umständen der Dienstenthebung und seiner Abqualifizierung Günzels als „verwirrter General“ beabsichtigt.

Doch Struck und sein enger Parteifreund Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan hatten sich noch etwas Besonderes einfallen lassen. Sie legten Bundespräsident Johannes Rau (SPD) eine spezielle Entlassungsurkunde für Günzel vor. Auf ihr fehlte die für alle Soldaten obligate Dankesformel: „Für die dem deutschen Volk geleisteten treuen Dienste spreche ich ihm Dank und Anerkennung aus“. Nach 41 untadeligen Dienstjahren ohne Dank entlassen und statt dessen eine Formel verweigert, die sonst nur Soldaten nach schweren kriminellen Verfehlungen auf ihrer Abschiedsurkunde vermissen, die im Zuge eines disziplinargerichtlichen Verfahrens aus der Armee entlassen wurden. Die menschliche Niedertracht des Duos Struck und Schneiderhan könnte einen herausgehobenen Platz in der Lehrsammlung des Zentrums für Innere Führung beanspruchen.

Untadeligen General wie einen Straftäter behandelt

Im Parlament rührte sich unter dem Verdikt des Antisemitismus keine Hand, da die Unionsfraktion ohnehin im Banne eines Parteiausschlußverfahrens gegen Martin Hohmann stand. Die „Qualitätsmedien“ arbeiteten sich ausführlich an ihm ab, gehässig bis verständnislos. Einige rätselten, warum ein gebildeter, humorvoller Offizier, das Gegenteil eines ehrgeizigen Eisenfressers, sich so eine Verfehlung leisten konnte. Die JUNGE FREIHEIT war die einzige Zeitung, die Günzel ausführlich zu Wort kommen ließ. Dort wagte er es auch, Dogmen der Bundeswehr in Frage zu stellen, wie die Innere Führung, die gerade in seinem Fall so schlagend versagt hatte. Das war ein Tabubruch, der der Kampagne gegen ihn noch Auftribe gab. Viele in den Medien und im politischen Betrieb waren sich jetz sicher, daß man doch „den Richtigen getroffen“ habe. Seine Erfahrungen hat Günzel später in dem heute nur noch antiquarisch erhältlichen bis zu 100 Euro teuren Buch „Und plötzlich ist alles politisch“ (Schnellroda 2004) zusammengefaßt. Er hat es seinem damaligen Verteidigungsminister Struck gewidmet, als Dank für die geschenkten Mußestunden.

Die meisten Soldaten und große Teile der Öffentlichkeit standen auf seiner Seite. Er bekam Wäschekörbe an Post. Die Soldaten seines Kommandos organisierten zum Ärger seines Nachfolgers – außerhalb der Kaserne – eine eindrucksvolle Verabschiedung ihres alten Kommandeurs, ein für die Bundeswehr wohl einmaliger Fall von Zivilcourage. Die einzigen, von denen man buchstäblich nichts hörte, waren die Generale! Auch frühere engste Kameraden im gleichen Rang gingen in Deckung. Kein Handschlag, kein Brief, kein Anruf, auch nicht von der Kommandeurrunde der eigenen Division. Selbst die Präsidenten der Traditionsverbände, Generale a.D., sonst ständig die „Kameradschaft“ beschwörend, baten um Verständnis, nicht für Günzel eintreten zu können: Ihre aktiven Mitglieder gerieten sonst in Loyalitätskonflikte – und ihr Verband könnte der Kasernen verwiesen werden.

Diese menschliche Enttäuschung war es, die Günzel wirklich getroffen hat, nicht die erwartbaren Machenschaften der Politik. Die ganze Armee wurde damit getroffen. Es war der Offenbarungseid einer Elite, die statt Uniform Livree trägt und sich von der Politik auch so behandeln läßt. Das Konzept der Inneren Führung zeigte sich als nicht tragfähig, da die Angst vor ernsthaftem Widerspruch, ganz zu Schweigen vom Widerstand, vorherrschte. Daran hat sich danach, trotz vieler Defizite im Verteidigungsministerium, nichts geändert.






Fritz Zwicknagl, Oberst a.D., war Kommandeur der Luftlande- und Lufttransportschule in Altenstadt und Leiter von Generalstabslehrgängen.