© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/18 / 30. November 2018

„Zügige Beseitigung von Engpässen“
Deutsche Bahn AG: 25 Jahre nach der Privatisierungsentscheidung wurde keine der damals gegebenen Versprechen erfüllt
Christian Schreiber

Vor einem Vierteljahrhundert waren die Versprechen gewaltig: Schneller und pünktlicher, sauberer und moderner sollte der Schienenverkehr mit der privatrechtlich organisierten Deutsche Bahn AG (DB) werden. Mehr Wettbewerb sorge für ein attraktiveres Angebot, mehr Personen- und Güterverkehr werde auf die Schiene verlagert werden. Die Transformation der behördlichen Bundes- und Reichsbahn in eine gewinnorientierte AG werde die Steuerzahler entlasten.

Inzwischen ist klar, daß keines der Versprechen erfüllt wurde – im Gegenteil: Verspätungen, Defekte, Zugausfälle und dreckige wie unsichere Bahnhöfe sind Alltag. Es fehlen Ersatzzüge und Lokführer, Ansprechpartner wurden abgeschafft, Kunden werden verärgert und gehen verloren. Der Nah- und Regionalverkehr wird jährlich mit Milliarden aus den Länderhaushalten subventioniert. Auch für den Fernstreckenausbau oder Bahnhofsneubauten (Stichwort: Milliardengrab Stuttgart 21) wird der Steuerzahler in Anspruch genommen.

Nur das Spitzenpersonal freut sich: Die DB-Vorstände werden nicht mehr nach Besoldungsgruppe B 11 (Staatssekretär), sondern „marktgerecht“ auf Dax-Niveau bezahlt. So erhält Ex-Kanzleramtschef Ronald Pofalla als Infrastrukturvorstand ein Mehrfaches des Kanzlerinnengehalts – und das, obwohl der Zustand des DB-Streckennetzes besorgniserregend ist. Es gibt Hunderte Langsamfahrstellen und marode Eisenbahnbrücken.

Vorige Woche zogen sich nun DB-Vorstand und Aufsichtsrat zu einer zweitägigen Klausurtagung zurück, um dabei über das 200seitige Papier „Unsere Agenda für eine bessere Bahn“ zu debattieren. Der DB-Aufsichtsrat gibt Richard Lutz bis Frühjahr 2019 Zeit, um Eckpunkte für eine neue Strategie bis zum Jahr 2030 vorzulegen. Die Politik versprach zugleich, mit Ausgaben „auf Rekordniveau“ für Züge, Schienennetz und Mitarbeiter die DB-Krise zu überwinden – sprich: Der Steuerzahler soll’s richten. Dabei war die DB 1994 weitgehend entschuldet worden, dennoch sind innerhalb von 25 Jahren 20 Milliarden Euro neue Schulden aufgelaufen. Das ist mehr als bei der alten Bundesbahn innerhalb von 45 Jahren.

Ob der Bund als DB-Eigentümer fünf Milliarden Euro oder mehr beisteuern wird, ist Gegenstand von Gesprächen zwischen Vorstand und Verkehrsministerium. Wäre die DB AG ein Dax-Unternehmen, wäre der Vorstand von den Großaktionären längst abgelöst worden. Doch Politiker sind geduldiger: Drei der sechs Konzernvorstände seien kaum ein Jahr an Bord. Auch Vorstands­chef Lutz ist erst seit gut anderthalb Jahren im Amt, nachdem sein Vorgänger Rüdiger Grube (ein Ex-Luftfahrt- und Autoindustriemanager) entnervt hingeworfen hatte. Grubes Sanierungskonzept „Zukunft Bahn“ hatte sich vor allem im Güterverkehr als Fehlschlag herausgestellt. Der Aufsichtsrat verlangt, ein besonderes Augenmerk müsse auf dem „Erhalt und Ausbau der Infrastruktur sowie der zügigen Beseitigung von Engpässen“ liegen.

„Kein Verkehrsmittel schont die Umwelt so nachhaltig“

Während auf Autobahnen und Bundesstraßen immer mehr Lkws rollen, läßt die DB im Güterverkehr sprichwörtlich Geld liegen: Die mangelnde Infrastruktur verhindert eine optimale Auslastung. Während in Japan oder Frankreich der Personenschnellverkehr mit Shinkansen und TGV eine eigene Infrastruktur besitzt, teilen sich ICE, Regional- und Güterzüge meist die selben Strecken – und damit die Probleme. Mitte Dezember, bei der nächsten DB-Aufsichtsratssitzung, sollen immerhin kurzfristige Maßnahmen beschlossen werden. Spätestens Mitte 2019, so betonte Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), sollen erste Ergebnisse schon spürbar sein. Dies betreffe vor allem den Güterverkehr und die Pünktlichkeit der ICE- und IC-Flotte.

Manche fordern inzwischen sogar eine „Bahnreform 2.0.“ Mit Milliardenspritzen, mehr Personal und mehr Zügen allein seien die Probleme nicht zu lösen. Ob es soweit kommt, ist bislang nur Spekulation. Ganz real ist hingegen, daß die Bahn selbstverständlich auch einen Beitrag zur Energiewende leisten muß. Daher kündigte Lutz zusammen mit Minister Scheuer pflichtschuldig „eine neue Offensive“ für den Klimaschutz an. Bis zum Jahr 2030 wolle die DB den Anteil von Ökostrom am Bahnstrom auf 80 Prozent erhöhen: „Wir spielen den Klimavorteil der Schiene noch stärker und ganz bewußt aus“, erklärte Lutz. „Bahnfahren ist gelebter Klimaschutz. Kein anderes Verkehrsmittel schont die Umwelt so wirksam und nachhaltig.“

Die Bahn werde in den kommenden Jahren 50 Millionen Euro zusätzlich in den aktiven Klimaschutz investieren. Ein Bruchteil davon fließt in eine neue Lackierung: Bei einigen neuen ICE 4 wird aus dem traditionellen roten Zierstreifen ein grüner – als Hinweis auf den angeblich verbrauchten Ökostrom. Zudem würden ab Januar kommenden Jahres die 15 meistfrequentierten Bahnhöfe in Deutschland mit Ökostrom versorgt. Ob das wirklich dazu beiträgt, daß es künftig weniger Starkregen gibt und Bahndämme nicht mehr unterspült werden? Daß DB-Züge an sommerlicher Hitze einerseits und Kälte und Schnee andererseits scheitern, ist aber nicht den Herstellern, sondern Bilanzoptimierern wie etwa Ex-DB-Chef Hartmut Mehdorn anzulasten. Etwas teurere Triebzüge in Saudi-Arabien oder Rußland widerstehen sogar dem dortigen Klima.

Wirklich „ökologisch“ wäre ein vollständiges Elektrifizierungsprogramm wie einst bei den Schweizerischen Bundesbahnen: Von dem seit 1994 um über 7.000 auf nur noch 38.466 Kilometer geschrumpften DB-Netz sind nur 20.726 Kilometer (54 Prozent) elektrifiziert. Trotz Energiewende und Stickoxid-Diskussion verkehren auf 17.740 Kilometern weiterhin Dieselloks und Triebwagen. 19.979 Kilometer sind nur eingleisig.

Konzern-Nachrichten der Deutschen Bahn AG:

 www.deutschebahn.com/de

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