© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/18 / 30. November 2018

Das eigene Erbe verleugnen
Es klingt wie eine Drohung: Der Bundespräsident empfiehlt Südafrikas „Regenbogennation“ als Vorbild
Thorsten Hinz

Wenn der Bundespräsident sich auf Staatsbesuch begibt, ist er zur Höflichkeit gegenüber den Gastgebern verpflichtet. Er sagt ihnen ehrlich gemeinte und falsche Freundlichkeiten, hebt tatsächliche und vermeintliche Vorzüge ihres Landes hervor, stellt mehr oder weniger plausible Gemeinsamkeiten fest, und wo Kritik unumgänglich ist, serviert er sie in feiner Dosierung und mischt einen Schuß Selbstkritik bei, um nicht als Besserwisser zu erscheinen.

Diplomatischer Idealismus wird auch Frank-Walter Steinmeier auf seinem Südafrika-Besuch vorgeschwebt haben, als er im Apartheid-Museum in Johannesburg ans Rednerpult trat. Die für das deutsche Publikum interessanten Kernthesen lauten: Die „Regenbogennation Nelson Mandelas“ sei „ein Traum, für den es sich zu kämpfen lohnt! Ein Traum, der andere inspiriert – auch uns!“ Ihr hervorstechendes Kennzeichen sei die „Vielfalt“, aus der „ganz vieles“ entstehe, „was Menschen bewegt, verbindet und letztlich Gesellschaften zusammenführen kann: Kultur, Musik oder Kunst, Wissenschaft und Unternehmertum, unendlich viele Ideen und Initiativen“. Anstelle von Kritik verwies er auf die „großen gesellschaftlichen Herausforderungen. Noch immer gibt es Armut und Ungleichheit, es fehlen Arbeitsplätze, und längst nicht alle haben die Chance auf eine gute Bildung und Ausbildung. Auch hier gibt es Mauern zwischen Gruppen und zwischen Menschen.“

Das sei in Deutschland ganz ähnlich. Auch dort würden „die Mauern zwischen den unterschiedlichen Gruppen der Gesellschaft höher (...), der Ton rauher und unversöhnlicher“. Es gebe „Haß und Verrohung“ im Internet und auf offener Straße. „Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit sind auch in Deutschland nicht überwunden. Sie zu überwinden, bleibt ein ständiger Auftrag, nicht nur an die Politik, sondern an alle in unserer Gesellschaft.“

Was der Präsident und seine Redenschreiber für höhere Diplomatie halten, erweist sich beim Faktencheck als eine Ansammlung aus Leerformeln, beflissenen Platitüden und schierem Stuß. Vor allem: Die „Regenbogennation“ gibt es nicht. Es handelt sich um einen Marketing-Begriff, der für den untauglichen Versuch steht, nach dem Ende der Apartheid einen Konsens zu erschaffen, der künstlich verbinden sollte, was nicht zusammenpaßt.

Der Apartheid-Staat war ein rassistisch strukturiertes, diktatorisches Kastensystem gewesen, in dem die Weißen die privilegierte Spitze und die Schwarzen das unterste und bei weitem größte Segment der Pyramide bildeten. Dieses System in eine multirassische und multikulturelle, liberale Demokratie zu überführen, in der jede Frau, jeder Mann über eine Stimme verfügt, bedeutete praktisch, eine übermächtige Dritte gleichberechtigt neben die in Minderheitenposition stehende Erste Welt zu stellen mit der Aussicht, daß die Mehrheit die Minderheit dominiert und kujoniert.

Tatsächlich wird heute in staatlichen Institutionen und in der Wirtschaft ein rigoroser Rassenproporz durchgesetzt, bei dem die Hautfarbe mehr als die Eignung zählt und der naturgemäß die Weißen benachteiligt. Die Folge ist die Ineffizienz der Verwaltung, Armee, Polizei, der Bildungseinrichtungen, der Energieversorger. Die Verarmung der weißen Bevölkerung macht die Schwarzen – von einer kleinen, korrupten Schicht abgesehen – keineswegs reicher, im Gegenteil. 

Ihre Frustration soll nach dem Willen der Regierung durch die entschädigungslose Enteignung der weißen Farmer kompensiert werden (JF 36/18, 41/18). Kriminelle Banden klären die Machtfrage auf ihre Weise. Die Überfälle auf Farmen sind nicht nur Raubzüge; mit exzessiver Grausamkeit werden Haß- und Auslöschungsphantasien ausgelebt. Die Farmer und ihre Familien werden oft durch stundenlanges Foltern und Verstümmeln zu Tode gebracht, wobei Bohrmaschinen, kochendes Wasser und Besteckgabeln zum Einsatz kommen.

Unter der Flagge des Antirassismus und einer ominösen historischen Gerechtigkeit kehren Tribalismus und Rassenkampf mit Wucht zurück. Die kanadische Aktivistin und Journalistin Lauren Southern hat darüber die Reportage „Farmlands“ gedreht, die auf Youtube auch mit deutschen Untertiteln zu sehen ist. Anders als Steinmeier suggeriert, sind Mauern nicht die Ursache der Gewalt, sondern der einzige Schutz vor ihr. Auch große deutsche Medien haben sich des Themas angenommen, selten zwar und in verdruckster Haltung, doch im Bundespräsidalamt könnte man informiert sein. 

Vielleicht findet ein Mitarbeiter Steinmeiers die Zeit, sich mit den Büchern des südafrikanischen Literaturnobelpreisträgers

J. M. Coetzee zu beschäftigen. Angefangen mit dem parabelhaften, im Erscheinungsjahr 1980 dystopisch wirkenden Roman „Warten auf die Barbaren“ über autobiographische Bücher wie „Der Junge“ bis zum retrospektiven „Sommer des Lebens“ von 2009 hat er dargestellt, daß das Apartheid-System weder weiterbestehen konnte noch durfte, weil es sowohl die Privilegierten wie die Unterdrückten, die Weißen wie die Schwarzen sozial vergiftete, moralisch zerstörte und zu omnipräsenter Gewalt führte.

Allerdings verband Coetzee mit dem Regimewechsel keine Heilserwartung, im Gegenteil: „Ich habe Angst“, sagt eine Figur aus dem „Barbaren“-Roman. „Ich habe große Angst, wenn ich daran denke, was werden soll. (…) Ich kann nur noch an die Kinder denken. Was wird aus den Kindern?“

Der Post-Apartheid-Roman „Schande“ aus dem Jahr 1999 gibt die Antwort. Eine junge Farmerin wird von Afrikanern überfallen und durch Vergewaltigung schwanger. Eine Anzeige wäre sinnlos. Ihre Konsequenz: Sie überschreibt ihre Farm dem schwarzen Nachbarn, der vermutlich mit den Tätern unter einer Decke steckt, mit der Aussicht, in seine Großfamilie aufgenommen zu werden und darin Schutz zu finden. Ihr ist völlig klar, daß es ihre „Unterwerfung. Unterjochung“ bedeutet, die Verleugnung ihres europäischen Erbes. Das sei wohl der Preis, den sie zahlen müsse, um bleiben zu dürfen. Die Schwarzen sähen sich nun als als „Schuldeneintreiber, Steuereintreiber“, und „vielleicht sollte ich das auch so sehen“. Für sie bedeutet „Regenbogennation“ eine Fremdherrschaft, der sie sich beugt.

Was Steinmeier als „Herausforderungen“ verharmlost, sind Antagonismen, Unvereinbarkeiten, die tief in der Geschichte, in den kollektiven Psychen, in der Unterschiedlichkeit und Ungleichzeitigkeit der Kulturen wurzeln, die sich weder durch Diktaturen noch in der Demokratie auflösen lassen und deshalb lieber Distanz halten sollten. Wird sie aufgegeben, verroht der öffentliche Raum und wird das gesellschaftliche Zusammenleben zerstört. Coetzee hat seine Entscheidung getroffen. Er lebt seit 2002 in Australien, seit 2006 besitzt er die Staatsbürgerschaft des Landes.

Wenn Bundespräsident Steinmeier trotzdem behauptet: „Das Zusammenleben in Vielfalt ist auch etwas, wofür die Welt Ihr Land bewundert!“, klingt das wie eine Drohung an das deutsche Publikum.