© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/18 / 30. November 2018

Grundrechte vs. AGB
Zensur bei Facebook: Deutsche Gerichte streiten um die Grenzen des virtuellen Hausrechts
Heiko Urbanzyk

Ich kann mich argumentativ leider nicht mehr mit Ihnen messen, Sie sind unbewaffnet und das wäre nicht besonders fair von mir“ – darf Facebook (FB) so einen Kommentar einer politischen Debatte im sozialen Netzwerk löschen, weil der Betreiber meint, die Rechte anderer Menschen würden verletzt? Nein, befand jüngst das Oberlandesgericht München (Az.: 18 W 1294/18) – und gab damit der AfD-Politikerin Heike Themel recht, die jenen Satz auf der FB-Seite von Spiegel Online schrieb, nachdem sie im Streit um Grenzkontrollen als „Nazi-Schlampe“ beschimpft wurde. 

Während der Politik noch immer zuviel Meinungsfreiheit bei Facebook herrscht (JF 48/18), beschäftigt deren ausufernde Beschränkung durch Löschung von Beiträgen und ganzer Profile seit Monaten die Gerichte. Viele haben genau davor gewarnt, daß der Druck der Politik auf die sozialen Netzwerke zur rechtswidrigen Beschränkung der Meinungsfreiheit bei Facebook und Co. führen könnte. Und nun haben wir die „Löschorgien“, die mancher aufgrund des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) und der Ermahnung von Mark Zuckerberg durch deutsche Politiker befürchtete. 

Es sind jedoch die eigenen Nutzungsbedingungen beziehungsweise  Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) und nicht das mißratene NetzDG, auf die sich Facebook nun stützt, wenn Kommentare gelöscht oder Profile gesperrt werden. Die Streitfrage unter den deutschen Gerichten lautet dabei: Ist Facebook an das Grundgesetz gebunden oder darf der Weltkonzern durch eigene AGB, also privatrechtliche, dem Nutzer vorgegebene  Regeln, Meinungskundgaben verbieten, die juristisch tatsächlich von der Meinungsfreiheit aus Artikel 5 GG gedeckt sind?

Die Richter urteilen verschieden

Das Landgericht Heidelberg hatte letzteres Ende August bejaht: Als privates Unternehmen dürfe Facebook eigene Hausregeln aufstellen und durchsetzen. Es genüge, wenn die Nutzungsbedingungen sich zumindest in groben Zügen an den Wertentscheidungen der Verfassung orientierten (Urteil vom 28.08.2018, Az. 1O71/18). Auch das Oberlandesgericht Karlsruhe gab Facebook bei der Löschung eines sogenannten Haßkommentars aufgrund virtuellen Hausrechts Recht. Der Kommentar sei geradezu auf den Ausschluß von Flüchtlingen aus der Gesellschaft angelegt gewesen. Es reichte aus, daß die Facebook-Gemeinschaftsstandards den Kommentar als rechtswidrig eingestuft hätten. Auf ein übergeordnetes Recht der Meinungsfreiheit, dem die AGB weichen müssen, könnten sich FB-Nutzer nicht berufen (Beschluß vom 25.06.2018, Az. 15W86/18). 

Im September reihte sich das Landgericht Frankfurt am Main in diese Rechtsprechungsansicht ein. Das LG erklärte die 30tägige Sperrung eines FB-Accounts infolge eines als „Haßrede“ inkriminierten Kommentars eines Nutzers für rechtmäßig. Dieser postete als Reaktion auf einen Online-Artikel der Welt mit dem Titel „Eskalation in Dresden – 50 Asylbewerber attackieren Polizisten“ folgenden Kommentar: „Wasser marsch, Knüppel frei und dann eine Einheit Militärpolizisten! Dann ist schnell Ruhe! Und jeden ermittelten Gast Merkels ab in die Heimat schicken.“ Im Einzelfall, so die Richter, dürfe FB die Sperre auch dann verhängen, wenn der vermeintliche Haßkommentar noch vom Recht auf Meinungsäußerung gedeckt sei. Daß dieser Beitrag nicht strafbar gewesen sei, stellten die Frankfurter Richter ausdrücklich fest (Beschluß vom 10.09.2018, Az: 2-03 O 310/18; bei Redaktionsschluß noch nicht rechtskräftig).

In der eingangs genannten Entscheidung des OLG München mußte Facebook den Beitrag wieder freigeben und wurde bei Androhung eines Ordnungsgeldes dazu verpflichtet, den erneut eingestellten Beitrag oder dessen Urheber nicht zu sperren. Das OLG brach den Bann jedoch nicht mit der unmittelbaren Anwendung des Grundgesetzes, sondern durch zivilrechtliches AGB-Recht in Verbindung mit der sogenannten mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte. Das heißt, die Grundrechte strahlen in andere Rechtsgebiete aus – hier in das Vertragsrecht zwischen Facebook und deren Nutzern. Unbestimmt formulierte AGB-Klauseln können dadurch bei der Auslegung in einem Rechtsstreit an den Wertmaßstäben der Grundrechte orientiert inhaltlich konkretisiert werden. In den FB-AGB hieß es: „Wir können sämtliche Inhalte und Informationen, die du auf Facebook postest, entfernen, wenn wir der Ansicht sind, daß diese gegen die Erklärung oder unsere Richtlinien verstoßen.“ Das verstößt laut OLG München gegen Vertragsrecht. Der Nutzer sei damit letztlich der Beliebigkeit von Facebook ausgesetzt und dadurch unzulässig benachteiligt.

Die dominierende Position ist entscheidend

Es sei unerherblich „ob die Meinung von Facebook geteilt wird oder nicht, ob sie moralisch oder unmoralisch erscheint, da grundsätzlich jede Meinung erlaubt sein muß, die Rechte Dritter nicht verletzt“, betonte auch das Landgericht Bamberg. Es verbot damit die Sperrung oder Löschung von Beiträgen, die auf die „Gemeinsame Erklärung 2018“ verweisen (JF 45/18). Aufgrund der Quasi-Monopolstellung und der damit einhergehenden Bedeutung in der Gesellschaft müsse Facebook dies als Meinung im Sinne des Artikels 5 GG zulassen. Die Grundrechte gelten wegen der Meinungsmacht nahezu unmittelbar (Urteil vom 18.10.2018, Az. 2O248/18). 

Wer viele Menschen unterschiedslos einlädt, ob in ein Stadion oder in ein soziales Netzwerk, der dürfe nicht willkürlich handeln, meint Jura-Professor Benjamin Raue, dessen Antrittsvorlesung an der Universität Trier vom Medienmagazin Kress zur Einordnung der Streitfrage aufgegriffen wurde. Zwar müßten sich Privatunternehmen wie Facebook „nicht so rechtfertigen wie der Staat, der an die Grundrechte gebunden ist“. Dies ändere sich allerdings, „wenn private Akteure mächtig, gar übermächtig werden, wie Facebook mit seiner dominierenden Position in den sozialen Netzen“.

Malte Engeler, Richter am Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein, begrüßte die auf Vertragsrecht gestützte Entscheidung des OLG München auf netzpolitik.org. Zugleich warnte er jedoch davor, Privatkonzerne wie Facebook unmittelbar an das Grundgesetz zu binden. Dieses binde allein den Staat und seine Behörden und verleihe dem Bürger die entsprechenden Rechte gegen den Staat. Facebook würde durch unmittelbare Grundrechtsanwendung zu Unrecht faktische Staatsmacht zuerkannt. „Anstelle einer solchen Kapitulation vor der Bedeutung von Facebook & Co wäre es ratsamer, den Grundrechten durch gezielte Regulierung Wirksamkeit zu verleihen“, meint Engeler. 

Ob durch solch staatliche Regulierung, wie zum Beispiel mit dem NetzDG, am Ende etwas Besseres als die jetzige Zensurpraxis durch Facebook steht, darf bezweifelt werden. Facebooks Löschpraxis richtet sich ersichtlich „gegen Rechts“ – womit der Konzern bloß auf entsprechende Forderungen der bundesdeutschen Polit-Etablierten reagiert.

Bedenkt man, daß jede Löschung wegen „Haßrede“ einen potentiellen Eilantrag beim zuständigen Landgericht darstellt, läßt sich erahnen, was für Probleme die Gerichte bekämen, wenn Hunderte oder gar Tausende Anträge eingehen würden. Facebook selbst will Beschwerden über gelöschte Inhalte ab dem kommenden Jahr an eine Art externe Ombudsstelle abgeben, die vermitteln soll, wenn Nutzer die Lösch-Begründung nicht akzeptieren.