© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/18 / 30. November 2018

Gegen den deutschen Akademisierungszwang
„Berufsbachelor“: Die Hochschulrektorenkonferenz kritisiert die Pläne von Bildungsministerin Anja Karliczek
Christian Schreiber

Seit gut einem halben Jahr ist Anja Karliczek Bundesministerin für Bildung und Forschung. Eine akademische Karriere im klassischen Sinne hat die 47jährige CDU-Politikerin aber nicht absolviert. Die Ostwestfälin ist gelernte Hotelfachfrau und studierte später berufsbegleitend Betriebswirtschaftslehre an der Fernuniversität Hagen. Die Berufung der Bundestagsabgeordneten, die bis dato eher finanzpolitische Themen bearbeitet hatte, kam für viele überraschend. Und als Quereinsteigerin macht sich Karliczek nun daran, die Berufsausbildung in der Bundesrepublik zu reformieren. Ihr geht es primär darum, Ausbildungsberufe aufzuwerten. In einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit erklärte sie kürzlich: „Wenn jemand eine Ausbildung macht, ist das genausogut, als wenn jemand studiert.“

Da zahlreiche Ausbildungsstellen in Deutschland unbesetzt bleiben, sei es erforderlich, neue Wege zu gehen und Anreize zu setzen. „Der berufliche Bildungsweg müsse aufgewertet werden – auch mit schicken Berufsschulen“, sagte sie. Allein auf Akademisierung zu setzen sei keine Lösung. „Nur weil jemand sich theoretische Kenntnisse angeeignet hat, trägt er nicht stärker zum wirtschaftlichen Erfolg dieses Landes bei als jemand, der den praktischen Weg geht“, erklärte die Ministerin: „Die Ausbildungswege müssen durchlässiger werden. Gerade das duale Studium hat Hochkonjunktur, weil Absolventen gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.“ 

Abschlüsse dürften nicht zu Verwechslungen führen

Neben einer besseren finanziellen Vergütung, über die parteiübergreifend aber noch kräftig gestritten wird, sollen vor allem neue Bezeichnungen für eine sichtbare Attraktivität sorgen. Vorrangiges Ziel ist es nach Karliczeks Aussage, die Gleichwertigkeit der akademischen und beruflichen Bildung zu stärken. Dazu soll es in der „höherqualifizierenden Berufsbildung“ die Abschlüsse „Berufsspezialist“, „Berufsbachelor“ und „Berufsmaster“ geben. Wie das Bildungsministerium in einer Erklärung bekanntgab, solle bei der höherqualifizierenden Berufsbildung, den bisherigen Aufstiegsfortbildungen, die während einer Berufsausbildung erworbene berufliche Handlungsfähigkeit durch eine Fortbildung erweitert werden. „Diese Fortbildungen, die oft auf dem gleichen Niveau sind wie ein Studium, sind der Weg zum beruflichen Aufstieg“, heißt es.  Das Kernstück dieser Verbesserungen seien dann die einheitlichen Abschlußbezeichnungen. „Der Begriff des Meisters wird dabei nicht abgeschafft, sondern durch die Verbindung mit den einheitlichen Begriffen gestärkt.“ 

Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) hält von den Plänen der Ministerin allerdings ziemlich wenig, wie Forschung & Lehre die „scharfe Kritik“ wiedergibt, und befürchtet eine Verwechslungsgefahr mit Hochschulabschlüssen. HRK-Präsident Peter-André Alt sagte der Welt am Sonntag, Neuerungen dürften nicht zu Irritationen über den Qualifakationsstandard führen. Die Bezeichnungen Berufsbachelor und Berufsmaster erinnerten aber an Hochschulabschlüsse. „Wir halten diesen Vorschlag für verfehlt“, erklärte Alt weiter, „ich habe die Ministerin bereits dringend gebeten, von einer entsprechenden Novellierung Abstand zu nehmen. Abschlußbezeichnungen müssen transparent und eindeutig sein und dürften nicht zu Verwechslungen führen.“

Rund 320 Ausbildungsberufe sind derzeit in der Bundesrepublik anerkannt, aber seit Jahren klagen Unternehmen über fehlenden Nachwuchs. Die Zahl der unbesetzten Ausbildungsstellen ist nach Angaben der Bundesarbeitsagentur so hoch wie seit zwanzig Jahren nicht mehr. Derzeit seien mehr als 57.000 Stellen unbesetzt. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag ist aus diesem Grund offen für den Vorschlag der Ministerin. „Dadurch kommt die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung zum Ausdruck“, sagte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer Achim Dercks; „Das ist ein wichtiges und richtiges Signal.“ 

Das Hauptproblem sei es, daß in Deutschland ein regelrechter „Akademierungszwang“ bestehe und junge Menschen, die einer Ausbildung nachgehen, als Berufseinsteiger zweiter Klasse angesehen würden. „Immer noch glauben zu viele Eltern und Jugendliche, daß eine akademische Ausbildung besser ist als eine Berufsausbildung. Wir brauchen deshalb ein neues Bewußtsein für die exzellenten Perspektiven, die in der beruflichen Bildung stecken“, bekräftigte daraufhin Karliczek, die davon ausgeht, daß der Trend zu universitärer Bildung den Facharbeitermangel beschleunigt. 

Unterstützung erhält sie dabei vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), der kürzlich mitteilte, daß nur noch etwa siebzig Prozent der Lehrlinge in Deutschland mit ihrer Ausbildung zufrieden seien. Das sei der niedrigste Wert seit Beginn der jährlichen Erhebung vor 13 Jahren. Auch deshalb sei eine Reform nötig, sagte Karliczek und plädierte dafür, daß auch die Ausbildungsvergütungen angehoben werden. Die Mindesthöhe soll sich im ersten Lehrjahr am Schüler-Bafög orientieren und danach jährlich steigen.