© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/18 / 07. Dezember 2018

Abschied von Merkel
In Hamburg kürt die CDU einen neuen Vorsitzenden: Eine klare Kurskorrektur ist unwahrscheinlich
Kurt Zach

CDU-Chefs sind entweder schnell wieder weg vom Fenster, oder sie halten sich jahrzehntelang im Sattel. Anders als bei der für ihren Spitzengenossen-Verschleiß berüchtigten SPD sind Wahlparteitage mit ungewissem Ausgang bei der Union daher rar gesät. Selten war so viel Auswahl wie nach der Ankündigung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, nach achtzehn Jahren und einer Serie desaströser Wahlniederlagen den CDU-Vorsitz aufzugeben.

Wenn am Wochenende tausendundein Delegierter auf dem Hamburger Messegelände zusammenkommen, um Merkels Nachfolge zu regeln, hat sich das anfangs bunte Bewerberfeld auf drei Kandidaten verengt: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und der Sauerländer Friedrich Merz – Senkrechtstarter im Nach-Kohl-Interregnum, Ex-Fraktionschef und Merkel-Abschuß der ersten Stunde, zwischenzeitlich erfolgreicher Wirtschaftsanwalt und seit neuestem Polit-Rückkehrer mit offenen alten Rechnungen.

Als vorsichtiger Stichler gegen die Alternativlosigkeiten der bleiernen Kanzlerin hatte Jens Spahn sich hervorgetan, als sonst keiner aufzumucken sich traute. Das hat ihm einen gewissen Bekanntheitsgrad gebracht als potentieller Herausforderer, obwohl er der offenen Konfrontation stets aus dem Weg ging. Sogar zum „konservativen“ Hoffnungsträger wurde Spahn zwischenzeitlich ernannt. Dazu brauchte es allerdings nicht viel in der Merkel-Truppe; ein paar abweichlerische Töne zur Migration reichten schon, um ordentlich mediale Aufmerksamkeit zu erregen.

Derweil verblaßt Spahn als Fackelträger und fällt in der Umfragegunst zurück. Die meisten Beobachter erwarten eine Entscheidung zwischen Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz. Parteitage sind unberechenbar, und jeder der beiden vermeintlichen Favoriten hat neben Vorzügen auch gravierende Makel, die sie zumindest für Teile der Unions-Delegierten unwählbar machen.

Spahn bleibt also im Rennen, schon um sich die Chance zu wahren, mit seiner Anhängerschaft zum „Königsmacher“ zu werden, sollte er auf dem dritten Platz landen, und sich so für andere höhere Aufgaben unter dem neuen Parteichef und wahrscheinlichen nächsten Kanzler zu empfehlen.

Eifrig wurde im Vorfeld des Parteitags je nach persönlicher Präferenz spekuliert, ob nun Merz oder Kramp-Karrenbauer die Nase vorn habe. Kramp-Karrenbauer ist Kandidatin des „Weiter so“, Spötter lösen ihr Kürzel „AKK“ treffend mit „Angelas Kleinere Kopie“ auf. Eigene Ideen hat sie nicht, ihre Abrücker von der Linie ihrer Gönnerin sind kaum wahrnehmbare Nuancen. Der Forsa-Chef und SPD-Recke Manfred Güllner sieht sie als haushohe Favoritin, linke Medien und Merkelianer wie der Kieler Regierungschef Daniel Günther stehen ebenso hinter ihr wie die Frauen-Union.

Kramp-Karrenbauer streichelt die Parteiseele und setzt auf das Harmoniebedürfnis der Delegierten, denen Wiedereinsteiger wie Merz eher suspekt sein dürften. Interessant wird sein, wie NRW-Landeschef Armin Laschet seine starken Bataillone aufstellt, der selbst mit einer Kandidatur geliebäugelt hatte; Merz und Spahn gehören seinem Landesverband an, er selbst steht durch und durch zu Merkel.

Friedrich Merz wiederum hängt aus früheren Zeiten ein konservativer Nimbus an, als Initiator der Leitkulturdebatte und der „Bierdeckel“-Steuerreform. Von solchen Positionen hat sich die Union in dreizehn Merkel-Kanzlerjahren allerdings um Lichtjahre entfernt. Große West-Landesverbände wie Baden-Württemberg und Hessen schätzen an ihm die lang vermißte Wirtschaftskompetenz, im Osten dürfte der Einkommensmillionär, der sich für einen Angehörigen der „Mittelschicht“ hält, dagegen schwer zu vermitteln sein.

Wenn Merz öffentlich attackiert wird, dann meist aus den falschen Gründen: wegen seiner wirtschaftlichen Unabhängigkeit, seiner bürgerlichen Lebensart und seiner geschliffenen Rede, in allem das Gegenstück zu Merkel. Dabei wird gern übersehen, daß er sich im Sommer in einem Aufruf noch vehementer für Bankenunion, Transferunion und EU-Superstaat eingesetzt hat als selbst die Kanzlerin.

Merz zündet Testraketen; eine politische Wende, die die entkernte Merkel-Union wieder mit markanten, konservativen Inhalten füllen würde, dürfte indes auch von ihm kaum zu erwarten sein. Das dokumentierte zuletzt sein taktischer Vorstoß, das individuell einklagbare Grundrecht auf Asyl in Frage zu stellen, von dem er nach massivem medialem und innerparteilichem Gegenwind postwendend wieder zurücktrat.

Merz ist lange genug im politischen Geschäft, um zu wissen, daß er damit eine Forderung aufgegriffen hat, mit der die Republikaner Anfang der neunziger Jahre ihre Wahlerfolge gegen die CDU errungen haben und die von den damals noch großen Volksparteien mit dem „Asylkompromiß“ verwässert worden war.

Der Staatsrechtler Rupert Scholz hat die Idee, das individuelle Asylgrundrecht durch eine institutionelle Garantie mit einfachgesetzlicher Regelung zu ersetzen, wie sie in den meisten westlichen Ländern üblich ist, kürzlich wiederbelebt. Im Jahr 2000, als die Union – mit Friedrich Merz als Bundestags-Fraktionschef – in Opposition zu Rot-Grün stand, war das sogar schon einmal Unions-Programm. Um so bedauerlicher ist da, daß Matthias Herdegen in Hamburg nun doch nicht zur Wahl steht. Der Bonner Völkerrechtler zog seine Kandidatur in realistischer Einschätzung seiner Chancen zurück, um kurz darauf den UN-Migrationspakt einer fundierten und scharfen Kritik zu unterziehen: Er würde dem Pakt im deutschen Interesse so nicht zustimmen.

Wer immer am Wochenende als neuer CDU-Chef und prospektiver Bundeskanzler auf den Schild gehoben wird: So klare und vernünftige Worte wird man von keinem der verbliebenen Bewerber hören.