© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/18 / 07. Dezember 2018

Die teure Übernahme des US-Konzerns entpuppt sich als Desaster
Kahlschlag bei Bayer
Jörg Schierholz

Hat man in Leverkusen ein kurzes Gedächtnis? 2002 steckte Bayer in einer Existenzkrise, nachdem sich bei einigen Patienten nach Einnahme des Cholesterinsenkers Lipobay Muskeln auflösten – und US-Anwälte Milliardenklagen veranlaßten. Der Bayer-Kurs fiel um 80 Prozent, die Patienten griffen zu Statinen des US-Konkurrenten Pfizer, und nur in mühsamen Einzelvergleichen konnte das Allerschlimmste verhindert werden.

Nun erlaubt die Monsanto-Übernahme (JF 27/18) mittels Massenklagen Zugriff auf die Bayer-Geldbörse. Ob das patentfrei gewordene Glyphosat Krebs erregen kann oder nicht, unklar. Unstrittig ist, daß der angekündigte Bayer-Konzernumbau 12.000 hochqualifizierte Fachkräfte „freisetzen“ wird und ein weiterer Verkauf von Firmenteilen droht. Die überteuerte Übernahme des US-Agrochemiekonzerns (JF 35/16) muß schließlich bezahlt werden – nicht nur über den Schuldenberg von jetzt 37 Milliarden Euro. Bayer hatte nach dem Lipobay-Desaster unter dem Niederländer Marijn Dekkers die Wende geschafft und mit der Schering-Übernahme das Pharmageschäft zum Laufen gebracht. Nun wird das gewonnene Vertrauen wieder aufs Spiel gesetzt.

Es drohen Milliardenabschreibungen auf den Monsanto-Deal. Zudem fallen etliche Stellen bei Forschung und Entwicklung weg. Bayer hat keine Antwort auf den baldigen Patentablauf des milliardenstarken Blutverdünners Xarelto und leidet unter Produktionsproblemen bei einigen bewährten Markenprodukten. Der Bayer-Kurs ging auf Talfahrt und schafft eine günstige Situation für eine feindliche Übernahme. Auch beim deutschen Weltkonzern Hoechst begann alles mit einem geplatzten Monsanto-Deal – und endete in einer für die Finanzindustrie äußerst lukrativen Filetierung in über 700 Einzelteile. Die Übernahme des Münchener Industriegasgiganten Linde durch den kleineren US-Konkurrenten Praxair fügt sich in das Gesamtbild der freiwilligen Aufgabe von industriellen Kernbereichen in Deutschland.