© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/18 / 07. Dezember 2018

Der Staat ist kein Weihnachtsmann
AfD-Rentenkonzept: Die „20/40/60“-Idee verlangt die Anerkennung familiärer Leistung in den Sozialsystemen
Jürgen Liminski

Zur Selbstverständlichkeit von Weihnachten gehörte lange Zeit das Kind. Aus der Geburt Jesu wurde das Christkind, aus dem Christkind der Weihnachtsmann. Die Selbstverständlichkeit des Kindes schwindet, und der Weihnachtsmann tritt heute als Vater Staat auf, der vor allem die älteren Generationen beschenkt. Beispiel: die Rente mit 63 oder die schleichende Abschaffung des Generationenvertrags. Denn darauf laufen etwa Vorstellungen aus der mitregierenden SPD hinaus, die Garantie des Rentenniveaus über 2025 hinaus zu verlängern, zunächst bis 2040.

Später sicher auch bis 2050 oder so lange, wie die jetzige Politikergeneration im Amt ist. Daß die jüngere Generation der heute 30- bis 40jährigen diese Last nicht wird stemmen können, ist allen klar, die die versicherungsmathematischen Grundregeln beherrschen. Es fehlen die Kinder als die künftigen Beitragszahler im derzeitigen Umlagesystem der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV). Und es fehlt das Christkind als Symbol der Solidarität und Liebe für die anderen. Das Problem sind nicht die künftig leeren GRV-Kassen, sondern die leeren Wiegen.

Wer keine Kinder hat, muß Kapital ansparen

Auf dieses Grundproblem macht das „20/40/60“-Rentenkonzept von Norbert Kleinwächter aufmerksam. In knappen Worten faßt der von dem Sozialexperten und AfD-Bundestagsabgeordneten konzipierte Plan die Probleme des bestehenden Rentensystems zusammen und kommt zu dem logischen Schluß: „Niemand wird ein System akzeptieren, das mehr als ein Viertel des Lohns und umfangreiche Staatszuschüsse fordert und dann nur eine Armutsrente leistet.“

Die Lösung des Konzepts lautet: „Die 20/40/60-Rente friert den Beitragssatz und den Staatszuschuß bei 20 Prozent ein“. Dann werden die Kinder in das Kalkül einbezogen, so daß „ein Standardrentner mit drei Kindern allein aus der Gesetzlichen Rentenversicherung nach 40 Beitragsjahren ein Rentenniveau von 60 Prozent hat. Wer weniger Kinder hat, erreicht ein Rentenniveau von 60 Prozent durch eine Kombination aus kapitalgedeckter Vorsorge und Umlagerente“. Mit andern Worten: Der vom Bundesverfassungsgericht mehrfach geforderte „generative Beitrag“ (Zeugung und Erziehung) wird auf den finanziellen Beitrag angerechnet, es erhöhen sich die Entgeltpunkte, mithin die Rentenleistung. Wer viele Kinder hat, ist durch die Umlagerente (sprich: staatliche Rente) versorgt, wer keine hat, muß Kapital ansparen.

Dieses Konzept könnte demnächst teilweise überholt sein. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) prüft derzeit die Sammelklage von 3.000 Familien, die der Familienbund der Katholiken (FDK) in Freiburg und der Deutsche Familienverband (DFV) eingebracht haben, um die Umsetzung der Karlsruher Urteile juristisch zu erzwingen. Das heißt: Wenn das BVerfG sich an seine eigenen Urteile hält, müßte es der Politik auferlegen, das GRV-System so zu ändern, daß der generative Beitrag angerechnet wird. Wie und wann das im Detail geschähe, bleibt in den Sternen. Auf jeden Fall kommt die Debatte über eine Rentenreform erneut auf die Politik zu, entweder durch das BVerfG oder durch Forderungen aus der AfD und in der Folge auch aus anderen Parteien.

Die Hoffnung der Groko-Parteien, durch die Zuwanderung das Grundproblem der Renten (leere Wiegen) zu lösen, ist eine bunte Seifenblase. Zum einen, weil die Zugewanderten zunächst etliche Jahre die Sozialsysteme mehr kosten als unterstützen, zum zweiten, weil auch sie sich erfahrungsgemäß rasch an das demographische Verhalten anpassen und das Verhältnis zwischen Jung und Alt kaum verändern.

Was passiert, wenn die Leistungsträger auswandern?

Unabhängig davon hat auch der (richtige) Ansatz namens generativer Beitrag eine Schwachstelle. Der generative Beitrag ist auch eine Option auf die Zukunft. Er funktioniert nur, wenn die Kinder auch so erzogen werden, daß sie tatsächlich zu Erwerbsfähigen und damit Arbeitnehmern werden, die Sozialbeiträge zahlen. Was aber passiert, wenn die Leistungsträger auswandern, zum Beispiel weil es ihnen hierzulande zu unsicher und zu ungerecht zugeht, weil hier zuviel gesellschaftlich moralisiert, die Sozialsysteme durch Migranten zu sehr überlastet oder weil durch die Ideologen im politisch-medialen Establishment die Familie zu sehr geächtet wird?

Es gibt viele Gründe zum Auswandern, und es gibt noch Länder im freiheitlichen Westen, die mehr Gerechtigkeit in ihren Sozialsystemen bieten. Auch bleibt die Dringlichkeit der Rentenreform niemandem verborgen. In den nächsten Jahren beginnen die Baby-Boomer, die geburtenstarken fünfziger und sechziger Jahrgänge in die Rente zu gehen. Von den Baby-Boomern haben rund dreißig Prozent keine Kinder. Diese dreißig Prozent sind es, die von den umlagefinanzierten Sozialsystemen profitiert haben und das noch weiter tun wollen. Für sie garantiert Vater Staat das permanente Weihnachten.

Aber es geht bei der Rentenfrage um Gerechtigkeit. Und damit auch um die Statik der Gesellschaft. Dazu gehören auch die berühmten Voraussetzungen, von denen der Staat lebt, die er selber jedoch nicht schaffen kann. Und zu diesen Voraussetzungen gehören der Sinn für das Gemeinwohl, soziale Empathie, soziale Kompetenz. Das wird in der Familie geschaffen und ist, nebenbei bemerkt, einer der Gründe für den Schutz durch das Grundgesetz.

Wenn der Familie, in der Werte und Bräuche tradiert werden, ein geringerer Stellenwert beigemessen wird als der Lohnabhängigkeit der Sozialbeiträge, wenn man willkürliche Entscheidungen fällt – zum Beispiel die Mütterrente II halbiert, weil die meisten Medien sie am liebsten ganz abschaffen würden –, wenn der Generationenvertrag nur noch als mathematisches Problem gesehen wird, dann darf man sich nicht wundern, daß die innere Statik dieser Gesellschaft brüchig wird. Es geht nicht um einen Konflikt zwischen zwei Generationen, Jung und Alt, sondern um den Konflikt innerhalb der Generationen: Zwischen jenen, die einen „generativen Beitrag“ geleistet haben und jenen, die diesen Beitrag nicht leisten wollen oder wollten.

Aber es führt kein Weg daran vorbei, und alle drei vorliegenden Konzepte der AfD weisen darauf hin: Bei der Reform des deutschen Rentensystems geht es zunächst um eine Umverteilung innerhalb der Generationen und zwar mit dem Maßstab der Anerkennung der Erziehungsleistung. Diese Leistung garantiert überhaupt erst den Fortbestand des Systems.

„Die 20/40/60 Rente – Der Drei-Generationen-Vertrag als Zukunft der Altersvorsorge“

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Drei konträre AfD-Rentenkonzepte

„Bei der Rente bietet die AfD keine Alternative“, ätzen Politikjournalisten gern. Dabei liegen sogar drei AfD-Rentenkonzepte vor. Den Anfang machte die AfD-Fraktion im Thüringer Landtag mit ihrer „Produktivitätsrente“ (JF 35/18). Dieser an der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) orientierte Vorschlag wurde von der FAS wegen des „antikapitalistischen Furors und sozialpolitischen Füllhorns“ als „links“ abqualifiziert. Die AfD-„Staatsbürgerrente“ soll 50 Prozent des letzten Einkommens betragen. Wo das nicht der Fall ist, soll ein Steuerzahlerzuschuß von zehn bis 314 Euro monatlich dieses Niveau sichern. Der wirtschaftsliberale AfD-Chef Jörg Meuthen setzt mit seinem Rentenkonzept auf einen Ersatz der GRV durch eine „steuerfinanzierte Mindestrente“, die knapp über der Existenzsicherung liegt, sowie eine „individuelle Vorsorge“, deren konkrete Ausgestaltung den Bürgern selbst überlassen bleibt. Das 20/40/60-Konzept stammt vom AfD-Sozialexperten Norbert Kleinwächter.

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