© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/18 / 07. Dezember 2018

Der Generalplan West
Migrationspakt, Ansiedlungspläne und ethnische Transformation: Phantasien über eine „vermischte Superkultur“ im Zeitalter von „One World“
Wolfgang Müller

Ein umherirrender Aramäer war mein Vater …“ So hebt im Alten Testament (Deuteronomium 26,5) das große Credo der Opfernden zum Laubhüttenfest an. Es schließt mit dem Dank an den „Gott unserer Väter“ für die wundersame Errettung Israels aus ägyptischer Fron, die nach langer Wanderung mit Landnahme und Seßhaftwerdung in Kanaan endete, dem „Land, das von Milch und Honig fließt“.

Was die alttestamentliche Überlieferung in vereinheitlichender Erzählung wiedergibt, den hochkomplexen, sich im 2. Jahrtausend v. Chr. über Generationen erstreckenden Prozeß der Einwanderung und Ansiedlung halbnomadischer israelitischer Stämme in Palästina, handelt von der Folge eines welthistorischen Urknalls, der „neolithischen Revolution“. So taufte der britische Anthropologe Gordon Childe („Man Makes Himself“, 1936) den sich von 6000 bis 3000 v. Chr. zwischen Nil und Indus vollziehenden Übergang des Menschen vom Jäger- und Sammler zum Ackerbauern und Viehzüchter, zu festen Siedlungsformen, zur Erfindung der Schrift, zur Entstehung von Rechtsordnungen, zur Nutzung von Rad und Pflug. So ausgerüstet, beschritt zuerst Vorderasiens Menschheit den Weg der Zivilisation, den anschließend auch – anachronistisch formuliert – die „verspätete Nation“ Israel einschlug.

Als zweite große Geschichtsrevolution gilt Universalhistorikern im Fahrwasser Hegels die „Revolution der Rationalität“. Sie ereignete sich vom 8. bis 5. Jahrhundert v. Chr. im antiken Griechenland. Die sich in dieser Achsenzeit dort bildende Philosophie-Wissenschaft demokratisierte das Wissen, das bei Babyloniern und Ägyptern Priester-, also Geheimwissen war. Und sie löste es von der Praxis ab, um es als „reine Theorie“ zu kreieren. So wurde nach dem Vorbild der Mathematik abstraktes, quantifizierendes Allgemeinwissen zum Instrument jenes „rechnenden Planungsdenkens“, das auf „totale Seinsbemächtigung und Weltzerstörung“ (Martin Heidegger) ausgeht, wie es sich bis heute in der wissenschaftlich geleiteten kapitalistisch-industriellen Vernutzung des Planeten perfektioniert und globalisiert hat (Silvio Vietta, „Rationalität – eine Weltgeschichte“, 2012).

„Einzigartiges soziales Experiment“ als Vision

In Gestalt der Globalisierung droht nun, paradoxerweise im Geiste und mit den Mitteln der zweiten, der Revolution der Rationalität, der Rückfall hinter die erste Geschichtsrevolution, die aus den Menschen ein territoriales Wesen machte. Denn was sich im UN-Migrationspakt, dem „Globalen Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration“, ankündigt, ist nicht weniger als eine dritte Geschichtsrevolution, die auf dem Weg zu Weltgesellschaft und Weltregierung auf die planmäßige Entortung und Nomadisierung beachtlicher Teile der Menschheit zielt. Verpflichten sich darin doch die einzig relevanten „Zielländer“, repräsentiert von den internationalistischen Regierungen der westeuropäischen Sozialstaaten, die sich als „marktkonforme Demokratien“ (Angela Merkel) von den Bedürfnissen ihrer steuerzahlenden Bürger abgekoppelt haben, in letzter Konsequenz als Abflußbecken für den exorbitanten Bevölkerungsüberschuß afrikanisch-orientalischer „Herkunftsländer“ zu fungieren. 

Für das welthistorisch Singuläre dieses Teufelspakts haben Befürworter wie Gegner des gigantomanischen Unternehmens durchaus ein feines Gespür. Ein „einzigartiges soziales Experiment“ nennt der Politologe Yascha Mounk (Harvard) die Transformation ethnisch und kulturell relativ homogener Nationalstaaten hin zum inhomogenen Vielvölkerkonglomerat, das schrittweise durch die Ersetzung der Europäer durch „Einwanderer“ aus dem globalen Süden entstehen soll. Auch der Geograph Christophe Guilluy (Porträt Seite 3), der jenes „periphere Frankreich“ der Mehrheit der Globalisierungsverlierer erkundet hat, das seine vitale Wut derzeit im Massenprotest der „Gelbwesten“ artikuliert (JF 49/18), spricht angesichts des von der „räuberischen Oligarchie der Reichen und Mächtigen“ (Alain de Benoist), der „globalen Klasse“ (Ralf Dahrendorf), forcierten Massenmigration von einem neuen „großen sozialen Plan der Geschichte“. 

Früher noch erfaßten diese alteuropäische Vorstellungkraft sprengende Dimension der konzipierten Umwälzungen, die der eskalierende Krieg der Globalisten gegen die Völker des alten Kontinents auslöst, der Publizist Tomas Spahn und die Autorin Friederike Beck. Spahn legte in einer bestechenden Analyse offen, wie die vom humanitaristischen Wahn besessene Merkel-Regierung und ihr von linksgrünen Seilschaften durchzogenes Auswärtiges Amt frühzeitig die vermeintlich notwendige „Bestandserhaltungsmigration“ vorbereitenden demographischen Planspiele des UN-Referats für Bevölkerungsfragen unterstützten („A Torrent of Faces“: Tichys Einblick vom 20. September 2016). 

Becks vorzügliche Dokumentation informierte über die keineswegs geheime, vielmehr mit einer Kaskade von Plänen, Abkommen und amtlichen Stellungnahmen auf den offiziellen Netzseiten der EU-Kommission und der Vereinten Nationen zugängliche „Migrationsagenda“. Sie analysierte messserschaft, wie EU, Uno, superreiche Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen „Europa zerstören wollen“ (Rottenburg 2016, JF 48/16). 

Zu berücksichtigen sind in diesem Kontext von tiefer Verachtung zeugende Auslassungen über den zum „Großen Austausch“ auserkorenen demokratischen Souverän, das autochthone „Pack“ (Sigmar Gabriel) der „schon länger hier Lebenden“ (Angela Merkel). Ebenso das aggressive Fiepen des Goldman Sachs-Söldlings und UN-Sonderbeauftragten für Migration, Peter Sutherland, der die EU-Kommission anstachelte, die Homogenität ihrer Mitgliedsstaaten emsig zu „untergraben“. Womit er in Brüssel offene Türen einrannte, da etwa der holländische Sozialist Frans Timmermans (JF 8/18), ein Stellvertreter Jean-Claude Junckers, die Zukunft der Menschheit in einer „vermischten Superkultur“ sieht, der die EU mit erhöhter Schlagzahl entgegenrudern müsse, um „multikulturelle Diversität“ zum zentralen „europäischen Wert“ erheben zu können. 

Die dem Migrationspakt inhärente, gleich eingangs im Text so firmierende universalistische „Vision“ einer solidarischen Weltgesellschaft beginnt mit der „fundamentalen Lüge“ (Thilo Sarrazin), daß Migration „immer schon ein Teil der Weltgeschichte“ und ausschließlich „Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung“ gewesen sei. Tatsächlich ist der zwischen UN, EU und den vom Davoser Weltwirtschaftsforum ausgehandelte Pakt ein technokratisches Riesenwerkzeug, um vier Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. 

Erstens ist es der (untaugliche) Versuch der New Yorker „Weltregierung“, die Überbevölkerung gescheiterter Staaten in den Griff zu bekommen. Zweitens soll es neoliberale Wünsche nach grenzenloser Deregulierung erfüllen: der Weltmarkt fordert den Weltarbeitsmarkt, ohne nationale Interventionen in Ausbeutungsverhältnisse. Zu diesem Zweck eröffnet Massenmigration drittens die Chance, die Nationalstaaten als Ort demokratischer Selbstbestimmung aufzulösen, um in Europa Timmermans identitätsarme „Superkultur“ zu etablieren, deren Träger zur „politischen Willensbildung zu schwach und somit perfekt beherrschbar sind“ (Johannes Eisleben). Viertens schließlich, so die eitle Hoffnung, will man den an die „Grenzen des Wachstums“ stoßenden Weltkapitalismus stabilisieren. Nötigenfalls durch migrationsbedingte „Umverteilung“ und Absenkung des ökologisch bedenklichen, zudem Rendite deckelnden Lebens- und Sozialstandards in den Industrieländern (Rolf Peter Sieferle).

Europäer zum „einheitlichen Staatsvolk“ umformen

Mit der gern strapazierten „Menschenwürde“, die im Zentrum des von Christentum, Aufklärung und neu-idealistischem Humanismus geprägten Menschenbildes des Grundgesetzes steht, hat der Migrationspakt nichts mehr zu tun. Seine auf technokratisch-totalitäre „One World“-Visionen fixierten Urheber spekulieren vielmehr mit dem „Abbau des Menschlichen“ (Konrad Lorenz) und favorisieren die Mobilität und Funktionalität des zum austauschbaren Betriebsteil degradierten „Neuen Menschen“. Humane Qualitäten, die aus kultureller Eigenart erwachsen, schließt das allein mit Quantitäten rechnende Menschenbild der Bevölkerungsstatistiker und Umsiedlungsplaner von UN und EU kategorisch aus. 

Noch gibt es kein Soziogramm, keine Kollektivbiographie dieser Funktionseliten. Aber eine inspirierende Vorstudie des jüngst verstorbenen Schriftstellers Ulrich Schacht (JF 26/08), die auf unheimliche Kontinuitäten verweist. In seiner letzten Veröffentlichung porträtiert Schacht den deutschen Juristen Martin Selmayr, seit März 2018 Chef der „ideologisch auf Supranationalismus programmierten Kader“ der EU-Bürokratie, die die mit Kulturfremden durchsetzten Europäer zum „einheitlichen Staatsvolk“ umzuformen versuche (Tumult, 2/2018). 

Dieser eine „schöne, neue Welt“ entwerfende, vom „Totalitätsfuror“ getriebene Social-Engineer-Typus Selmayr sei ein Wiedergänger jener „Generation der Unbedingten“ (Michael Wildt), die in Heinrich Himmlers Reichssicherheitshauptamt die Neuordnung Europas plante. Südtiroler waren dabei zur Besiedlung der Krim vorgemerkt, Baltendeutsche und Volksdeutsche aus der Ukraine wurden an Weichsel und Warthe angepflanzt, Polen ins „Generalgouvernement“ abgeschoben, die Juden europaweit auf den Aussterbeetat gesetzt und millionenfach ermordet, und – die nahende Kriegsniederlage senkte das Planungsfieber nicht – selbst 2.000 „Palästina-Deutsche“ wollte man 1944 „heimholen“ und in den schrumpfenden Siedlungsraum des Reiches pferchen. 

Das große Menschenverschieben und Deportieren der SS-Technokraten gipfelte im nicht ausgeführten „Generalplan Ost“, der die Ansiedlung von Millionen Deutschen vorsah, die in der eroberten Sowjetunion an die Stelle von 45 Millionen nach Sibirien „umzusiedelnden“ Russen treten sollten. Der historische Vergleich mit dem in quantitativer Hinsicht jedenfalls weitaus monströseren Migrationspakt, dem „Generalplan West“ von Uno und EU, zeigt Unterschiede, aber auch verblüffende Parallelen in der Macher-Mentalität, der Planungseuphorie und der im modernen, nicht auf das „Zeitalter der Extreme“ beschränkten Totalitarismus wurzelnden Menschenverachtung der „Täter“.