© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/18 / 14. Dezember 2018

Mein Künstler, dein Spitzel
Praktischer Totalitarismus: Die „Soko Chemnitz“ tarnt sich als Aktionskunst, die Denunziation ist ganz real
Thorsten Hinz

Mit der neuesten Aktion des „Zentrums für politische Schönheit“ hat die Eskalationsschraube der Denunziation eine neue Drehung bekommen. Eine sogenannte „Soko Chemnitz“ installierte einen Internetpranger, auf dem die Chemnitzer Demonstranten, die im August gegen die blutigen Folgen der Grenzöffnung in ihrer Stadt protestierten, zur Fahndung und anschließenden Anzeige bei ihren Arbeitgebern ausgeschrieben wurden. Um die Kündigungen „aufgrund charakterlicher Eignung“ (gemeint war Nichteignung) oder „wegen Rufschädigung“ zu erleichtern, wurden Vordrucke bereitgestellt.

Die vorgeblichen Künstler sind Büttelnaturen und gleichzeitig Überzeugungstäter. Sie spinnen die längst widerlegte, aber regierungsamtliche Legende von einer „rechten Hetzjagd“ fort und leiten aus ihr die totale Selbstermächtigung über Andersdenkende ab.

In den Auftritten und Interviews von Philipp Ruch, dem Chef des „Zentrums“, verbinden sich die eiskalte Stringenz des Psychopathen mit dem Charme des Tscheka-Offiziers. Trotzdem haben der Kultur- und Medienbetrieb sowie staatliche Instanzen sein Treiben als Aktionskunst, als Satire, als phantasievolle Grenzüberschreitung anerkannt und gefeiert. Manche tun es bis heute. Der einzige Fehler von Stasi-Minister Erich Mielke und seinen offiziellen und inoffiziellen Mitstreitern wäre demnach gewesen, nicht beizeiten dem Deutschen Bühnenverein beigetreten zu sein und den Mauerstaat zur künstlerischen Freiluftinszenierung erklärt zu haben.

Die Denunzianten-Plattform wurde inzwischen abgeschaltet, doch im Raum bleibt die Drohung stehen, daß niemand, der sich öffentlich gegen Merkels Politik wendet, dem Auge und dem rächenden Arm des Großen Bruders entgeht.

Im Grunde haben die Radikal-Jakobiner nur die Tendenzen und Intentionen, die in Staat und Gesellschaft wirksam sind, konsequent zugespitzt. Die Bestrebungen staatlicher und semistaatlicher Institutionen, oppositionelle Äußerungen und Aktivitäten bis in die Verästelungen des privaten und sozialen Lebens der Protagonisten zu kontrollieren und abzublocken, sind evident. Unter dem Deckmantel der Kunst haben Ruch & Co. nun totalitäre Herrschaftsmuster vorexerziert und eine Zukunft antizipiert, in welcher der Zugang zu Arbeitseinkommen, aber auch zu Wohnraum, Bankkonto, ärztlicher Versorgung usw. direkt an politisches Wohlverhalten gekoppelt ist.

Der Totalitarismus-Begriff bleibt gewöhnlich für den Kommunismus und den Nationalsozialismus reserviert, obwohl längst klar und nachgewiesen ist, daß auch das liberale System totalitäre Züge annehmen kann. Praktischer Totalitarismus heißt, tradierte Lebenszusammenhänge als falsch und überholt zu verdammen und die Menschen aus ihnen herauszulösen, um die isolierten Individuen als funktionale Größe in neue, ideologisch begründete Strukturen einzufügen. Das Handeln wird auf ein teleologisches Ziel ausgerichtet, das in früheren Totalitarismen in der klassenlosen Gesellschaft oder einer rassischen Hierarchie bestand. Heute ist es das Zukunftsmodell einer grenzenlosen Welt, die von herkunfts- und ortlosen Arbeitsbienen und Konsumdrohnen besiedelt wird.

Wurden in den Ländern des real existierenden Sozialismus die Menschen mit Kampagnen zu Plan­erfüllungen, mit oktroyierten Selbstverpflichtungen zu Ehren von Parteitagen und Staatsjubiläen auf Trab gehalten, formiert die „offene“ Gesellschaft die Menschen mit Willkommensoffensiven, mit dem „Kampf gegen Rechts“ und einer Klimareligion, die von Sünde, Einkehr, Buße und möglicher Erlösung erzählt. Da sich nicht jeder freiwillig in die Gleichschaltung fügt, lauert im Hintergrund die Gewaltandrohung des sozialen Totschlags.

Was das „Zentrum für politische Schönheit“ noch als Kunst apostrophiert, ist in der Realität bereits angekommen. Ein aktuelles und besonders widerwärtiges Beispiel ist die Kita-Broschüre der Amadeu-Antonio-Stiftung, die Handreichungen zur Entlarvung politisch unzuverlässiger Elternhäuser enthält und durch ein Vorwort der Bundesfamilienministerin mit regierungsamtlichen Weihen versehen wurde. Die Kitas sollen in ein informelles Informations- und Spitzelsystem integriert werden, das in die Eltern-Kind-Beziehung eingreift, Mißtrauen, Denunziationsfurcht und politischen Anpassungszwang in den Familien sät und damit die – laut Karl Marx – „kleinste Zelle der Gesellschaft“ aufspaltet. So wären die Kinder von Anfang an dem Zugriff öffentlicher, politischer und medialer Gewalten ausgeliefert.

Wenn Philipp Ruch seine Aktivitäten als Beitrag zur permanenten „Entnazifizierung“ begründet, agiert er keineswegs im luftleeren Raum. Spätestens seit das Grundgesetz höchstrichterlich als „expliziter Gegenentwurf“ zum Nationalsozialismus klassifiziert wurde, ist die staatliche Existenz der Bundesrepublik auf eine dezidiert ideologische, nämlich antifaschistische Interpretation festgelegt, die der etablierten Politik als bequemer Legitimationsgrund dient. Um ihren Erklärungsanspruch über eine dynamische Wirklichkeit aufrechtzuhalten, müssen Ideologien beziehungsweise ihre Vertreter und Nutznießer ebenfalls eine Dynamik entwickeln. Je dysfunktionaler ihre Politik sich auswirkt, um so vehementer unterstellen der Politik-, Medien- und angeschlossene Kulturbetrieb ihren Kritikern die Neigung zum Faschismus.

Die sich als künstlerische Tabubrecher in Szene setzen, sind Vollstrecker einer beschränkten Staatsräson, die sich einen ebenso beschränkten „homo bundesrepublicanensis“ geformt hat. Die Lust am gefahrlosen Denunzieren ist ihm genauso eingeschrieben wie die Angst und das Zurückweichen vor wehrfähigen Gegnern.

Welche Prognose kann man einem Staat noch stellen, der solche Eigenschaften heranzieht und nötig zu haben glaubt?