© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/18 / 14. Dezember 2018

Hand in Hand ins Wunderland
CDU: Die Partei setzt auf das „Weiter so“ / Neuer Generalsekretär soll Konservative versöhnen
Hinrich Rohbohm

Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. „Das war’s für mich, dieser Partei ist nicht mehr zu helfen“, kündigt ein Mitglied in einer unionsinternen WhatsApp-Gruppe seinen Austritt aus der CDU an. Das war am vergangenen Freitagabend. Gerade hatte Annegret Kramp-Karrenbauer auf dem CDU-Bundesparteitag in Hamburg die Stichwahl gegen ihren Kontrahenten Friedrich Merz mit 517 zu 482 Stimmen denkbar knapp für sich entschieden. Weitere Austritte sollten kurze Zeit später folgen. 

Entsetzte Gesichter bei den CDU-Konservativen. Fassungslosigkeit darüber, daß es für ihren Wunschkandidaten Friedrich Merz nicht reichte. Erleichterung dagegen unter den Merkel-Fans der Partei. Vielen von ihnen war während der Stimmenauszählung die Verzweiflung und Hilflosigkeit anzusehen. Selbst Angela Merkels Gesichtszüge entgleiten in dieser Phase und lassen jegliche Souveränität vermissen. Sie verschanzt sich hinter der weißen Pappe, die jeder Delegierte auf seinem Tisch stehen hat, um die geheime Wahl sicherzustellen. Nur die Augen der Kanzlerin wagen sich aus der Deckung, blicken vorsichtig über die weiße Schutzwand, hinunter in die Delegiertenreihen. Es sind Blicke voller Fragen: Stehen meine Truppen noch? 

Wenige Minuten später erhält sie Gewißheit. Sie stehen. Noch. Noch einmal kann sie die personellen Weichen stellen, noch einmal Chefin sein, ehe sie die Strippen des Parteiapparates anderen überlassen muß. „Es war mir eine Freude. Es war mir eine Ehre.“ Mit diesen Worten beendet sie ihre 18 Jahre dauernde Ära, in der sich die CDU wie unter keinem anderen Vorsitzenden von ihrem Markenkern entfremdet hat. Noch einmal brandet Applaus auf. Neun Minuten, 13 Sekunden. Applaus, den es bei einer erneuten Kandidatur nicht gegeben hätte. 

Zu groß war der Frust über ihren Linkskurs geworden, zu eindeutig die verheerende Bilanz ihrer Amtszeit. 200.000 Mitglieder hat die CDU im Laufe der 18 Jahre verloren. Bei nahezu allen Wahlen seit Beginn ihrer Kanzlerschaft 2005 hatte die Union Verluste hinnehmen müssen. Umfragen sahen die Partei zuletzt bundesweit bei 24 Prozent, ohne CSU unter 20 Prozent. Ein Negativwert, den die Union in ihrer über 70jährigen Geschichte niemals zuvor verzeichnen mußte. 

„Verrat“ oder „Dolchstoßlegende“?

Der Frust in der Partei und der Wunsch nach einem Kurswechsel waren zuletzt immer größer geworden. In den Landesverbänden, in der Bundestagsfraktion, der Jungen Union, der Mittelstandsvereinigung , im CDU-Wirtschaftsrat. Die Kanzlerin spürte das, konnte mit ihrem Verzicht auf den Vorsitz noch einmal Abschiedsjubel gewinnen, um in Würde abzutreten. 

Erleichtert liegen sich Merkel und  Kramp-Karrenbauer nach dem Wahlsieg in den Armen, Tränen fließen. Keine von beiden war sich sicher, ob ein Sieg noch einmal möglich ist. 

„Jetzt gibt es ein ‘Weiter so’ bis in die politische Bedeutungslosigkeit“, orakelt ein hessischer Delegierter, der wie zahlreiche andere Merz-Anhänger nach der Wahl frustriert den Saal verläßt. Draußen im Foyer wird an den zahlreichen Ständen der Aussteller aufgewühlt diskutiert. „Jetzt werden weitere Mitglieder die Partei in Scharen verlassen“, meint jemand. Andere um ihn herum nicken betreten. Gerüchte kommen auf. Darüber, ob es einer neuen Partei bedürfe. Konservativer als die Union, gemäßigter als die AfD. 

Doch dann platzt eine Nachricht wie eine Bombe in die Diskussion. „Paul Ziemiak soll Generalsekretär werden“, ruft einer. Der Hamburg-Abend, jener gesellige Teil des Parteitags, ist da noch nicht eröffnet. Ein kleines zeitliches Detail, das noch eine große Rolle spielen könnte. Von diesem Moment an kocht die Gerüchteküche. „Wir wurden verraten und verkauft“, schimpfen empörte Merz-Anhänger. Aus der Frustration wird plötzlich Wut, aus der Lethargie eine „Jetzt erst recht“-Stimmung unter den Konservativen.  

Der Hintergrund: Nach dem ersten Wahlgang hatte Kramp-Karrenbauer  45 Prozent der Stimmen errungen, Friedrich Merz 39,2 Prozent. 15,7 Prozent hatten für Jens Spahn votiert. Stimmen, die vor allem aus der Jungen Union gekommen waren und dem Münsterländer einen Achtungserfolg sichern sollten. „Danach war eigentlich klar, daß der Großteil davon Merz wählen wird“, sagt ein Delegierter aus der JU. Doch es kommt anders. Überraschend viele von ihnen votieren für Kramp-Karrenbauer . Sollte es dafür mehr Gründe als nur die schwache Rede des Sauerländers gegeben haben? 

Ein Gerücht lautet: Ziemiak habe wenige Tage vor der Wahl zahlreiche Delegierte aus der JU angerufen und sie im Falle einer Stichwahl zu einer Stimmabgabe für Kramp-Karrenbauer bewegen wollen. Schon da sei ihm der Posten des Generalsekretärs angetragen worden. Kramp-Karrenbauer habe dem Spahn-Lager etwas anbieten müssen, weil es sonst gegen Merz nicht gereicht hätte. Der Deal: Ziemiak wird Generalsekretär, Philipp Amthor zu Beginn des nächsten Jahres neuer Chef des CDU-Nachwuchses. Letzterer hat sich inzwischen öffentlich dazu bekannt, Kramp-Karrenbauer  gewählt zu haben. Doch auch die JU-Landeschefs Florian Braun (NRW) und Tilman Kuban (Niedersachsen) werden als Nachfolger Ziemiaks gehandelt. 

Andere Jungunionisten dementieren, sprechen von „Unwahrheiten“ und einer „Dolchstoßlegende“. „Wir können doch froh sein, daß die JU mit Paul jetzt den CDU-Generalsekretär stellt. Er ist ein Konservativer, der nun die Chance hat, den Kurs der Partei zu korrigieren“, meint einer von ihnen zur JF. Ziemiak betont, den Posten zwar im Vorfeld bereits angeboten bekommen, aber abgelehnt zu haben. Erst auf dem Hamburg-Abend habe er eingewilligt, nachdem ihn Kramp-Karrenbauer erneut darum gebeten habe. Eine Version, die Kramp-Karrenbauer ebenfalls so erzählt. Die Wahl Ziemiaks einen Tag später fällt dürftig aus. Nur 62 Prozent der Delegierten stimmen für ihn.

Schnell wird klar: Kramp-Karrenbauer wird sich noch deutlich weiter auf die Partei-Rechten zubewegen müssen, will sie die Lager wieder zusammenführen. Dabei könnte entgegen vieler Erwartungen auch Friedrich Merz wieder auf dem politischen Spielfeld erscheinen. Seine Anhänger würden ihn gern als Wirtschaftsminister in der Regierung sehen. Merz selbst ist nicht abgeneigt, möchte aber von Merkel gebeten werden. 

Für die Kanzlerin ein heikles Angebot, mit dem sie Gräben zuschütten kann, bei dem sie aber ihren engen Vertrauten Peter Altmaier opfern müßte. Das allerdings wäre nach der Abwahl von Volker Kauder eine weitere Schwächung ihrer Position. Nicht zuletzt die im nächsten Jahr anstehenden Wahlen könnten einer „Weiter so“-Politik schnell ein Ende setzen und Merkels letzten Sieg in einen Pyrrhussieg verwandeln.





Kurskorrektur?

Eine „deutlich stärkere Einbindung des konservativen Flügels“ der Partei fordert die Werte-Union von der neuen CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Ihren auf den Regionalkonferenzen ausgesprochenen Worten hinsichtlich einer echten Erneuerung der CDU müßten nun auch Taten folgen, so der Vorsitzende des konservativen Partei-Zusammenschlusses, Alexander Mitsch. Eine „deutliche Kurskorrektur“ sei vor allem beim Thema Migration, aber auch in der Inneren Sicherheit sowie der Wirtschafts- und Finanzpolitik notwendig. Der Parteitag indes sandte ein anderes Signal: Dem auch intern umstrittenen UN-Migrationspakt stimmten die Delegierten mehrheitlich zu. Der Antrag der Werte-Union, zügig einen Zeitplan zu entwickeln, wie der Beschluß des  Bundesparteitags der CDU vom Dezember 2016 zur Optionspflicht („Beschränkung Doppelpaß“) umgesetzt werden kann, wurde an die Bundestagsfraktion überwiesen. Die von Berliner CDUlern erhobene Forderung, den Gruß der türkisch-nationalistischen Grauen Wölfe zu verbieten, lehnte eine Mehrheit ab.