© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/18 / 14. Dezember 2018

Mal eben die Lage falsch eingeschätzt
Frankreich: Präsident Macron will die Lage befrieden, doch die „Gelbwesten“ zeigen sich skeptisch
Friedrich-Thorsten Müller

Drei Wochen lang hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zu den Protesten Hunderttausender „Gelbwesten“ geschwiegen und seine Regierung vorgeschoben, die Lage zu befrieden. Nicht wenige Kritiker und Demonstranten legten ihm das als „präsidiale Arroganz“ aus, was gut zu dem seit Abschaffung der Vermögenssteuer aufkommenden Bild vom „Präsidenten der Reichen“ paßte. Am vergangenen Montag hat er in einer Fernsehansprache an die Nation nun endlich auch persönlich Stellung bezogen. 

Dabei ist er über die schon Ende vergangener Woche von Premier Édouard Philippe angekündigte Aussetzung der Kraftstoffsteuererhöhung für das kommende Jahr deutlich hinausgegangen. Außerdem entschuldigte er sich bei den Franzosen, die Proteste „falsch eingeschätzt zu haben“, allerdings nicht ohne gleichzeitig auch die vielfache Gewalt am Rande der Demonstrationen zu verurteilen. 

Viele Forderungen der Protestler bleiben unerfüllt  

Unter dem Motto „Wir wollen ein Frankreich, in dem man würdevoll von seiner Arbeit leben kann“ kündigte er an, ab Januar den Mindestlohn um 100 Euro pro Monat anzuheben. Dies soll aus Steuermitteln finanziert werden und für die Arbeitgeber somit kostenneutral sein. 

Darüber hinaus werden Überstunden künftig generell steuer- und sozialabgabenfrei gestellt werden. Der von den „Gelbwesten“ geforderten Wiedereinführung der Vermögenssteuer erteilte der Präsident dagegen mit Verweis auf den internationalen Wettbewerb eine klare Absage. 

Insgesamt blieb in Macrons Ansprache offen, wie die von Staatssekretär Olivier Dussopt geschätzten acht bis zehn Milliarden Euro Kosten der Zugeständnisse gegenfinanziert werden sollen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund sinkenden Wirtschaftswachstums. Die Banque de France hat inzwischen unter dem Eindruck der Proteste das erwartete Wachstumsziel für das vierte Quartal von 0,4 auf 0,2 Prozent gesenkt.

Am vergangenen Wochenende war es in Frankreich wieder in vielen Städten zu Blockaden, Demonstrationen und auch Ausschreitungen gekommen. Insgesamt 136.000 Bürger hatten sich am Samstag in ganz Frankreich an den Aktionen beteiligt, davon allein über 10.000 in Paris. Insgesamt 120.000 Sicherheitskräfte waren dabei im Einsatz, wobei es zu über 2.000 Festnahmen kam. Darüber hinaus gab es 264 Verletzte, darunter auch 39 Sicherheitskräfte. Paris beklagte nach Angaben von Emmanuel Grégoire, dem ersten Beigeordneten der Bürgermeisterin, nochmals einen deutlichen Anstieg der Vandalismusschäden im Vergleich zum vorangegangenen Wochenende.

Ob sich in Frankreich durch Präsident Macrons Einlenken die Lage nun beruhigen wird, ist ungewiß. Viele Forderungen der Bewegung, wie die nach Wiederabschaffung des Tempolimits von 80 km/h auf Landstraßen, bleiben weiter unerfüllt. 

Die „Gelbwesten“ versuchen sich darum inzwischen über die Sozialen Medien zu organisieren, um sich auch eine Sprecherstruktur geben zu können und den Protest zu verstetigen. Hinzu kommt nach Einschätzung des Abgeordneten Jean-Luc Mélenchon, „daß viele Unzufriedene, wie Arbeitslose, Teilzeitbeschäftigte, Rentner oder Studenten von Macrons Zugeständnissen keinen Vorteil haben werden. Seine Ankündigungen werden darum vergebens sein“, so der 67jährige kommunistische Fraktionssprecher in der Nationalversammlung. Indes verglich Trumps früherer Chefstratege, Steve Bannon, bei einem Auftritt mit der RN-Vorsitzenden Marine Le Pen in Brüssel die „Gelbwesten“ als Menschentyp mit den Brexit- und Trumpwählern.