© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/18 / 14. Dezember 2018

„Raus mit den Honduranern“
Mexiko: Nach dem Riesenansturm von Migranten aus den Nachbarländern leidet das Land unter dessen Folgen
Marc Zoellner

Noch immer erreichen vereinzelt Migranten Tijuana: junge Männer, die ihre Habe im Rucksack auf dem Rücken tragen, Mütter, die ihre Kinder an den Händen führen, auch Ältere, denen die Strapazen ins Gesicht geschrieben stehen. 

Über sechstausend Menschen hatten sich im Oktober dem Treck der Flüchtlinge angeschlossen. Wenige Dutzend treffen täglich in Tijuana noch ein. Was sie vorfinden, ist nicht, was sie erwarten.

„Das ist die schlimmste Unterkunft, in der ich je war“, berichtet die 29jährige Mirna Contreras dem US-Magazin CityLab. Zusammen mit dem Gros der Gestrandeten, unter ihnen weit über eintausend Kinder, wurde die Honduranerin von den mexikanischen Behörden im „Benito Juárez“-Stadion untergebracht, einer ehemaligen Sportarena, auf deren offenem Rasen sich nun zwischen Toilettenhäuschen und tiefen Schlammlöchern Zelt an Zelt reiht. Zweimal am Tag werden die Flüchtlinge hier vom mexikanischen Militär bekocht. Die Rationen sind karg.

Auch Mexiko verstärkt Grenzanlage 

Schon vor Wochen hatte die Stadtverwaltung von Tijuana die Regierung in Mexiko City um verstärkte finanzielle und personelle Hilfe gebeten. Doch der Staat weiß kaum mehr Ressourcen freizumachen und rief Ende November für Tijuana gar den humanitären Notstand aus, um die Vereinten Nationen zur Unterstützung zu bewegen.

Ihr Ziel, die USA zu erreichen, haben die meisten der Flüchtlinge bereits aufgegeben: Im großen Stadion zirkuliert „La Lista“, eine inoffizielle, von den Flüchtlingen geführte Rangliste, in der Neuankommende ihrer Notlage nach eine Nummer zugewiesen bekommen, nach welcher diese sich bei den US-Grenzbehörden melden dürfen. Einhundert Anträge auf Asyl, hatte Washington zugesichert, würden täglich bearbeitet. Meist sind es deutlich weniger, berichten die an der Grenze Wartenden. 

Über einhundert Grenzbrecher hatte Mexiko in den vergangenen Wochen nach Mittelamerika abgeschoben, unzählige weitere wurden von den US-Behörden, die fünftausend zusätzliche Soldaten in ihre südlichen Bundesstaaten abkommandiert hatten, inhaftiert. 

Neben den USA rüstet jetzt auch Mexiko die gemeinsame Grenze mit verstärkten Zäunen und Stacheldraht auf. Eine politische Lösung beider Staaten für die Flüchtlingskrise ist jenseits des Mauerbaus längst nicht in Sicht; und auch hier greifen Mexiko wie die USA vorerst zur Eigeninitiative.

Initiative, die Tijuana auch von den Flüchtlingen erwartet: „Das bloße Verhalten der Menschen hier, bezüglich der Sauberkeit und Hygiene nicht auf ihre Umgebung zu achten, schafft Infektionen und Gesundheitsprobleme, die unsere Arbeit sehr schwierig machen“, konstatiert Mario Osuna, Tijuanas Stadtratssekretär für kommunale Entwicklung. „Tijuana zuerst!“ fordern Demonstranten vor dem Camp. „Raus mit den Honduranern, wir wollen euch nicht hier.“ 

Gut siebzig Prozent der Mexikaner, ergaben jüngste Umfragen der mexikanischen Tageszeitung El Universal, seien dem lateinamerikanischen Flüchtlingszug gegenüber negativ eingestellt. Jeder zweite Mexikaner lehne zudem strikt Arbeitserlaubnisse für Einwanderer ab.

Die Stadt Tijuana verteilt letztere trotzdem großzügig unter den Insassen des Flüchtlingscamps – allein schon, um sich selbst finanziell zu entlasten.