© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/18 / 14. Dezember 2018

Ein Pakt mit Geburtsfehlern
Marrakesch: Kaum hatte der UN-Migrationsgipfel begonnen, war er auch schon vorbei / Hinter den Kulissen aber werden die Weichen gestellt
Curd-Torsten Weick

Belgiens Premierminister Charles Michel kannte nur ein Ziel: Marrakesch. Dafür setzte er die Mitte-Rechts-Regierung aufs Spiel. Er zimmerte mit der Opposition eine  „Wechselmehrheit“. Die konservative Neu-Flämische Allianz (N-VA), die auf ihrer strikten Ablehnung des Migrationspakts beharrte, wertete dies als Affront und verließ die Regierung.

Endlich vor Ort pries Michel den globalen UN-Pakt für eine „sichere, geordnete und reguläre Migration“. „Ich wähle den Multilateralismus. Wir brauchen europäische und internationale Zusammenarbeit.“ Sein Land stehe „wieder auf der richtigen Seite der Geschichte“, betonte der liberale Wallone am Montag vormittag. Kurz zuvor – Kanzlerin Angela Merkel hatte noch nicht erklärt, daß Deutschland ein Land sei, das „aufgrund seiner demographischen Entwicklung Arbeitsmigration auch außerhalb der EU“ brauche –, hatten die Vertreter von 164 der 191 UN-Mitgliedstaaten   zum Auftakt der zweitägigen Konferenz dem UN-Papier (JF 47/18) bereits per Akklamation formal zugestimmt.

Kurz vor dem Gipfel setzte Moskau Zeichen

Am Sonntag hatte die UN-Sonderbeauftragte für Internationale Migration, Louise Arbour, noch einmal geklagt: „Es ist äußerst bedauerlich, wenn sich Staaten abrupt aus einem Abkommen zurückziehen, das sie kurz zuvor noch mitgeprägt und unterstützt haben“, erklärte die Kanadierin und zeigte sich darüber erstaunt, daß es so viele Fehlinformationen über den Pakt und seinen Inhalt gebe. „Es entsteht kein Migrationsrecht. Die Staaten werden nicht dazu gezwungen. Er ist kein sogenanntes ‘weiches’ Gesetz und nicht gesetzlich verbindlich. Er erlaubt den Staaten ausdrücklich, nach eigenem Ermessen zu unterscheiden – zwischen regulären und irregulären Migranten gemäß geltendem internationalen Recht“. Vor diesem Hintergrund zeigte sich die 71jährige davon überzeugt, daß der Pakt die „Zeit überdauern“ werde. 

Dies sieht Fredy Gsteiger, UN-Korrespondent des Schweizer Radios und Fernsehens (SRF), anders. Arbour, ja die ganze UN-Führung beschwöre weiterhin den „großen Moment“, doch durch die „Abstinenz, nicht etwa von Problemländern wie Nordkorea oder Syrien, sondern von demokratischen Rechtsstaaten“ leide der Migrationspakt „unter einem schweren Geburtsfehler“.

 Montag früh hatte sich Moskau den Pakt-Skeptikern in Washington, Wien, Bern, Jerusalem oder Canberra angeschlossen. Rußland halte den Migrationspakt für einen wichtigen Schritt in der Entwicklung der internationalen Zusammenarbeit, zitierte die Nachrichtenagentur Tass einen Vertreter der Ständigen Vertretung Rußlands bei der UN. Rußland, so der Diplomat, habe aber auch „wie jeder andere Staat das Recht, die Bestimmungen des UN-Paktes nicht zur Kenntnis zu nehmen, die mit seinen nationalen Interessen, seiner Gesetzgebung und seinen internationalen Verpflichtungen in Konflikt geraten könnten“.

Dagegen wertet der „Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe“ (Venro) Marrakesch als „Meilenstein“, dessen Erfolg nun von der Umsetzung des Pakts abhänge. Dieser „legt allen Mitgliedstaaten nahe“, „so bald wie möglich ambitionierte nationale Strategien zur Umsetzung des Globalen Paktes zu entwickeln und die Fortschritte auf nationaler Ebene regelmäßig“ zu überprüfen. 

Bernd Bornhorst, Venro-Vorstandsvorsitzender, erklärt lapidar: „Jetzt ist Deutschland gefragt. Der Erfolg des Pakts steht und fällt mit seiner Umsetzung, die an den Leitprinzipen des Migrationspakts orientiert sein sollte und einen entwicklungspolitisch kohärenten Regierungsansatz aller Regierungsressorts verlangt. Außerdem muß die Zivilgesellschaft und ihre Expertise in die Umsetzung einbezogen werden.“ Gerade auch „migrantische“ Vereine sollten beteiligt werden.

Dies fällt beim Co-Vorsitzenden des parallel in Marrakesch tagenden „Forum für Migration und Entwicklung“ (GFMD), Götz Schmidt-Bremme, auf fruchtbaren Boden. Der deutsche Diplomat hob nicht nur den „bereichernden“ Beitrag des Weltforums zur Debatte über dieses äußerst wichtige Thema hervor, sondern betonte zudem die wichtige Rolle der Zivilgesellschaft dabei. 

Die Bandbreite beim GFMD-Treffen war groß. Stephane Jaquemet, Politikchef der Internationalen Katholischen Kommission für Migration, erklärte: „Wir dürfen das Gift der Fremdenfeindlichkeit nicht zulassen. Mit dem Globalen Migrationspakt werden wir  zur Menschlichkeit zurückkehren.“ Auf der anderen Seite lobte Roberto Suarez-Santos, Generalsekretär der Internationalen Arbeitgeber-Organisation (IOE), den Pakt und seine Möglichkeiten. Der Spanier unterstrich, daß gerade der Privatsektor die Unabhängigkeit und die Fähigkeit besitze, die „nationale Migrationspolitik zu beeinflussen“. 

Österreich stimmt UN-Flüchlingspakt zu 

Das GFMD spielt bei der Umsetzung des Paktes eine wichtige Rolle. Es soll Raum für den jährlichen informellen  Austausch schaffen und dann dem „Überprüfungsforum Internationale Migration“ über die „innovativen Konzepte Bericht“ erstatten.

Zuvor jedoch soll der Migrationspakt am 19. Dezember in der UN-Generalversammlung in New York endgültig ratifiziert werden. Parallel dazu soll der UNHCR-Flüchtlingspakt (JF 48/18) angenommen werden. Österreich, das den UN-Migrationspakt ablehnt, kann sich mit den Inhalten des Flüchtlingspakts „identifizieren“ und wird ihm zustimmen. Er sei eben kein Abkommen, sondern nur eine Resolution im Rahmen eines UNHCR-Berichtes. „Diesen nehmen wir zur Kenntnis. Er hat keinerlei Auswirkung auf unsere Souveränität und Selbstbestimmung“, stellte Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) klar.