© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/18 / 14. Dezember 2018

Teure Arbeitslosigkeit
Kohleausstieg: Sachsen und Brandenburg fürchten Schadenersatzforderungen der Kohleindustrie und eine mögliche Insolvenz der Leag
Paul Leonhard

Die Energiearbeiter im Kraftwerk Lippendorf und die Kumpel in den Braunkohletagebauen rund um Leipzig werden bei den Landtagswahlen 2019 gewiß nicht die SPD wählen. Hat ihnen doch der Sozialdemokrat Burkhard Jung gerade die Solidarität aufgekündigt. „Wir müssen damit leben, daß wir mit dieser Entscheidung Lippendorf vor den Kopf stoßen“, so der Leizpziger Oberbürgermeister zu den Folgen seiner Ankündigung, daß die Messestadt spätestens ab 2023 keine Fernwärme mehr aus dem Kraftwerk beziehen, sondern komplett auf erneuerbare Energien setzen werde.

Studie „Vattenfall Leaks“ warnt vor Milliardenkosten

Damit kann das Braunkohle-Dampfkraftwerk der Lausitz Energie AG (Leag) nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden. 150 Millionen Euro will Jung aber unter anderem in den Bau von Gasturbinen investieren. Die Grünen jubeln, die CDU bleibt skeptisch, allein die AfD steht zur Braunkohle. Der Leipziger Alleingang werde Hunderte Arbeitsplätze kosten, warnt der CDU-Landtagsabgeordnete Georg-Ludwig von Breitenbuch. Die Bundes-CDU will die Braunkohle-Verstromung nach 2030 beenden.

Im November hatte noch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) gegenüber seinem Brandenburger Amtskollegen Dietmar Woidke (SPD) den Zusammenhalt unter dem Motto „Erst neue Perspektiven, dann der Ausstieg“ beschworen (JF 49/18). Beide treibt zudem die Angst um, daß sie bei einem Kohleausstieg vor 2045 auf den Kosten für die Renaturierung der Bergbaufolgelandschaften in Milliardenhöhe sitzenbleiben. Deswegen sind die von Greenpeace im Schwarzbuch „Vattenfall Leaks“ veröffentlichten, bisher geheimen Details um den Verkauf der Tagebaue vor zwei Jahren durch den schwedischen Staatskonzern an die Leag, das Teil des Konsortiums Energetický a Prumyslový Holding (EPH) des tschechischen Milliardärs Daniel Kretínský ist, so interessant.

Aus einem vertraulichen Dokument der schwedischen Regierung geht nach Greenpeace-Angaben hervor, daß Vattenfall mit mindestens drei Milliarden Euro für die Renaturierung der zerstörten Lausitzer Landschaft nach dem Kohleabbau haftbar gemacht werden könne. Bisher hieß es, daß allein die Leag für die Folgekosten aufkommen muß.

Der Leag wird das nur bedingt zugetraut. Ein Gutachten des Landes Brandenburg besagt, daß die EPH zwar Rücklagen von 1,4 Milliarden Euro gebildet hat, diese aber bei einem früheren Kohleausstieg nicht ausreichen. Die Praxis der Rückstellung entspreche nicht „der Natur einer Sicherheitsleistung“. Das vorzeitige politische Aus für die Tagebaue oder neue wirtschaftliche Rahmenbedingungen seien nicht berücksichtigt. Bei einer Stillegung Ende 2016 hätten die Rückstellungen ein Gesamtdefizit von 43 Prozent aufgewiesen.

Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangten die Hamburger Wirtschaftsprüfer von Cordes + Partner. Die Umweltorganisation bezweifelt zudem, daß die von Vattenfall an die Leag gezahlten 1,7 Milliarden Euro für spätere Renaturierungen „angesicht der undurchsichtigen EPH-Strukturen mit Briefkastenfirmen in Steueroasen“ gesichert sind. Überdies kann die EPH ab 2021 von der Leag erwirtschaftete Gewinne entnehmen.

Eine Einschätzung des sächsischen Landesrechnungshofes vom Februar über die Höhe der EPH-Rücklagen wurde von der sächsischen Staatsregierung als geheim eingestuft. Als Reaktion auf den Bericht forderte Sachsen von den EPH-Tochterunternehmen Mibrag und Leag Sicherheitsleistungen für die Tagebaue Schleenhain und Nochten. Tatsächlich unterzeichneten die Unternehmen nach Angaben des Sächsischen Oberbergamtes Anfang Dezember eine Vereinbarung, nach der sie ein insolvenzsicheres Sondervermögen in Höhe von knapp 1,5 Milliarden Euro für die Wiedernutzbarmachung der durch den Tagebau devastierten Flächen aufbauen und an Sachsen verpfänden wollen.

Unklar ist noch immer, ob die EPH für die Verpflichtungen des Tochterunternehmens Leag, dessen Stammkapital lediglich 14 Millionen Euro beträgt, haftet. EPH-Vorstand Jan Špringl versicherte im Magazin Capital, daß die Holding nur für Tagebau-Folgekosten aufkommen werde, wenn „die Politik uns die Garantie gibt, daß sie die Rahmenbedingungen unseres Geschäfts nicht ändert“. Kohle werde auch in Deutschland noch mindestens 25 bis 30 Jahre gebraucht, sagte Špringl. Die vereinbarte Laufzeit der Tagebaue reiche bis ins Jahr 2045.

Greenpeace verweist auf ein geheimes Gutachten für die schwedische Regierung, in dem es heißt, daß Vattenfall als „Verkäufer nach deutschem Recht (Umwandlungsgesetz) während eines Zeitraums von fünf Jahren gesamtschuldnerisch für die Verbindlichkeiten der Zielgesellschaften (einschließlich der Umwelthaftung für die zehn stillgelegten Anlagen)“ haftet. Im Fall Vattenfall läuft die Haftungsklausel Ende 2019 aus, weswegen Greenpeace Sachsen und Brandenburg aufgefordert hat, das Geld schnell einzutreiben, „damit am Ende nicht die Bürger auf den mindestens drei Milliarden Euro sitzenbleiben“.

Das größte Problem für Sachsen sind derzeit die eigenen Bergbaugenehmigungen, die einen Kohleabbau weit über den jetzt von der Bundesregierung gesetzten Zeitplan vorsehen. „Würden diese Genehmigungen und Zulassungen durch Aktivitäten des Bundes ‘inhaltslos’ werden, könnten sich Schadenersatzforderungen der Unternehmen zuerst an die die Genehmigungen und Zulassungen erteilenden Behörden der Bundesländer richten“, warnt Sachsens Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD): „Gegen diese Schadenersatzforderungen müssen sich die Bundesländer gegenüber dem Bund absichern.“ Eine Reaktion aus Berlin steht noch aus.

Greenpeace-Studie „Schwarzbuch Vattenfall-Leaks – In den Händen von Zockern“:  www.greenpeace.de/