© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/18 / 14. Dezember 2018

Pankraz,
die kühle Luft und Fuzzys ante portas

Ist der liebe Gott ein Digitalisierer, ein KI-Spezialist? Oder ist er vielleicht doch ein Fuzzy? So lauten neuerdings die Fragen, die von theologisch oder philosophisch interessierten Kreisen im Silicon Valley gestellt werden, seitdem sich die öffentliche Diskussion um Chancen und Risiken der Digitalisierung so zugespitzt hat. Das Gegenwort zu „Digitalisierer“, also „Fuzzy“, stammt von dem kalifornischen Wirtschaftswissenschaftler, Mathematiker und Professor für Elektrotechnik Bart Andrew Kosko (59), dessen einstiger Bestseller „Fuzzy-logisch. Eine neue Art des Denkens“ längst zum „Longseller“ geworden ist. 

„Fuzzy“ bedeutet auf deutsch soviel wie unscharf, verschwommen, vage, und genau so ist es auch von Kosko gemeint. „Während der asiatische, taoistische und buddhistische Denkstil“, lesen wir bei ihm, „schon immer auf Grautöne orientiert war, propagierte die abendländische Wissenschaft seit Aristoteles mit Vehemenz die binäre Logik und die Eindeutigkeit der Begriffe. Eine Sache sollte ‘wahr’ sein, und zwar stets zu hundert Prozent. Was nicht in dieses Schema paßte, wurde einfach weggelassen oder so lange zurechtgeschnitten beziehungsweise auseinandergezogen, bis es tatsächlich ‘paßte’.“ 

Zugegeben, räumt Kosko ein, man habe sehr viel („äußeren“) Erfolg mit solchen Methoden gehabt, es ließen sich damit eine Technik und eine Ethik modellieren, mit denen man zweitausend Jahre lang einigermaßen über die Runden kam und Macht über andere Kulturen gewann. Doch heute fange man an zu erkennen, wie urtümlich und grob diese Technik und diese Ethik waren. Sie wenden sich immer häufiger gegen sich selbst, produzieren unerwünschte „Nebenfolgen“ am laufenden Band und richten schlimmste Verheerungen an. Denn die Wahrheit ist eben „fuzzy“, und deshalb gehört die Zukunft der Fuzzy-Logik.


Kosko beruft sich in seinen Ausführungen auf eine erlauchte Ahnenreihe: Bertrand Russell etwa, Jan Lukasiewicz, Lotfi Zadeh und natürlich und vor allem auch Georg Cantor mit seiner Mengenlehre seien schon Fuzzys gewesen – obwohl die allesamt auch scharfe Logiker waren. Denn einzig die Fuzzy-Logik sei nicht selber fuzzy, sie sei hingegen messerscharf, sie taktiert durchaus im Stil der traditionellen mathematischen Logik, doch ihre Grundeinheit ist nicht die Zahl oder die homogene Menge, sondern das „Muster“, eine Menge mit unscharfen Grenzen, eben die „Fuzzy-Menge“. 

Der Begriff „Kühle Luft“ beispielsweise ist laut Kosko eine solche Fuzzy-Menge: ein „vages Konzept“, dessen Bedeutung mit den Sprechern und sogar bei demselben Sprecher mit der Zeit variiert. Dennoch bildet der Ausdruck eine Einheit. Mit derlei Bedeutungsmengen kann man nicht einfach „rechnen“, sondern man muß sie ständig zu optimieren suchen, so wie sich ein neuronales System im Gehirn ständig optimiert. Man kann das auch als „Lernen“ bezeichnen.

Der Fuzzy-Logiker ist ein unentwegt Lernender, er arbeitet nicht mit ein für allemal festgelegten Regeln und Funktionen, sondern er „lernt“, indem er arbeitet, seine Arbeit besteht vorwiegend aus Lernen, aus dem Erkennen von Mustern und aus der Bestimmung von deren  Abbildung und prozentualer Mächtigkeit. Das Anliegen der Fuzzys ist es, den Habitus der Fuzzy-Logik in möglichst viele gesellschaftliche Diskurse einzuführen und diese dadurch zu modernisieren, nicht nur in die Wissenschaft, sondern auch in die ethische Diskussion (zum Beispiel, um über die Zulassung von Stammzellenforschung entscheiden zu können).

Vor allem aber ist es Kosko darum zu tun, die Fuzzy-Logik in die Politik einzuführen. Das Kapitel in seinem Buch über die Fuzzifizierung der Politik ist zweifellos das interessanteste und heikelste. Es gibt dort Ausführungen zur modernen Kriegführung („Smart War“), die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen können. Nichts, so lernt man, ist bei Lichte betrachtet digital definierbar, alles ist eine Frage der prozentualen Anteile, alles geht ineinander über: Krieg und Frieden, Angriff und Verteidigung, Terror und Terror-Abwehr.


Und die verantwortlichen Kräfte operieren in der Regel wie Elefanten im Porzellanladen oder wie Neandertaler im Feinkostgeschäft, weil sie eben noch keine Ahnung von moderner Fuzzy-Logik haben. Am albernsten (und am gefährlichsten) sind diejenigen, die allen Ernstes glauben, sie hätten „das Gute“ für sich gepachtet und wüßten genau, wo die „Achsen des Bösen“ verlaufen.  Solchen Zeitgenossen, legt Kosko sarkastisch nahe, könne gar nicht früh genug ein smarter Fuzzy-Chip ins Gehirn eingepflanzt werden.

Pankraz seinerseits, gefragt, ob er denn nun ein Fuzzy-Logiker à la Kosko oder lieber ein Aristoteliker alten Stils sein möchte, würde sich eher doch auf die Seite des Aristoteles und des Abendlands schlagen. Gewiß, die Welt ist eine Ansammlung von Grautönen, aber wer sich als Mensch in ihr zurechtfinden will, muß fest an das Richtige und Gute glauben. Das Richtige und das Gute – das sind für ihn keine Bestandteile einer irgendwie „materiellen“ Wirklichkeit, sondern die  Grundvoraussetzungen einer transzendenten Spiritualität und Moral, ohne die sich gar kein menschliches Leben vorstellen läßt. 

Doch darin haben die Fuzzys unbedingt recht: Vernünftig, also wirklich digital operieren heißt am Ende nichts anderes, als das Leben als eine unendliche Skala von Grautönen zu akzeptieren und zu respektieren. Das sollten sich alle KI-Enthusiasten gründlich hinter die Ohren schreiben. Ironischerweise war es ja gerade die digitalisierende Chip-Industrie, die die Fuzzy-Logik so beflügelt hat.

Die technische Möglichkeit, ungeheure Summen von Entweder-Oder-Entscheidungen auf einem einzigen millimetergroßen Chip zu ganzen elektrischen Entscheidungssystemen zusammenzufassen, erlaubte es ja endlich, mit nunmehr größter Souveränität auf die unendlich feinen Graduierungen der wirklichen Welt zu reagieren! Das freute alle Fuzzys und treibt sie heute sogar ins Silicon Valley.