© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/18 / 14. Dezember 2018

Abschied in Etappen
Und tschüss? Heino wird 80 Jahre alt und behauptet, seine Karriere an den Nagel zu hängen
Georg Ginster

Nun, da die meisten Angehörigen der Kriegsgeneration längst von uns gegangen sind, vollendet auch Heino, man möchte kaum glauben, daß er noch so jung ist, am 13. Dezember das 80. Lebensjahr. Seine Frau Hannelore, so hat er die Öffentlichkeit wissen lassen, mit der er seit bald vierzig Jahren verheiratet ist, wird ihn an diesem Tag an einen unbekannten Ort entführen. Tempus fugit, amor manet, sagt der Lateiner. So viel hat sie für ihn geopfert. So sehr drängt ihn sein schlechtes Gewissen, Wiedergutmachung zu leisten und endlich sie und nicht mehr länger die Karriere in den Mittelpunkt zu stellen. 

Vor ein paar Jahren sah es schon einmal so aus, als wäre dafür die Zeit gekommen. Das unbarmherzige Treiben von Gevatter Tod riß unübersehbare Schneisen in sein Publikum, und das angestaubte Repertoire, an dem sich die traditionellen Fans so lange berauscht hatten, schien auf die nachfolgenden Generationen partout keine Faszination mehr ausüben zu wollen. Doch dann, er war schon beinahe 75 Jahre alt, beschloß Heino, sich neu zu erfinden, schlüpfte in eine Lederjacke mit Nieten, steckte einen Totenkopfring an den Finger und während er noch die legendäre und nun endlich passende Sonnenbrille zurechtrückte legte er auch bereits los, um als Gitarrenrocker mit Metal-Grabesstimme allen Parodien, die er in den Jahrzehnten zuvor hatte aushalten müssen, den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In seinen auf der CD „Mit freundlichen Grüßen“ vereinten Interpretationen von Hits etablierter Musiker der deutschsprachigen Popszene deckte er so unbeabsichtigt wie gnadenlos deren heimlichen Schlagerkern auf. Manche dieser Lieder, wie etwa „Junge“ von den Ärzten fanden erst durch seine Cover-Version zu einer Lesart, die ihnen angemessen ist, an die sich die Originalinterpreten aus Furcht um ihr Image jedoch nicht herantrauen wollten. Wehren konnten sich die Musiker, bei denen er Anleihen nahm, nicht. Solange Text und Melodie nicht verändert werden und die Rechtinhaber über die GEMA ihren Obolus erhalten, darf nach Herzenslust gecovert werden.

Die auf „Mit freundlichen Grüßen“ vereinnahmten Künstler reagierten höchst unterschiedlich. Der Froschstimmenimitator Jan Delay konnte seine Empörung nicht zügeln und beschimpfte Heino in einem Interview als Nazi. Der Preis dieser Äußerung wurde gerichtlich auf 20.000 Euro festgelegt. Die Toten Hosen fühlten sich angeblich brüskiert, hielten aber den Ball flach.

Die Rockband Rammstein hingegen bat Heino 2013 beim Wacken-Festival  auf die Bühne, um vor einem verblüfften Publikum den Evergreen „Sonne“ gemeinsam vorzutragen. Die Geduld der Pyrotechnikrocker mit dem Faible für das rollende „R“ scheint aber nicht grenzenlos zu sein. Angeblich sollen sie oder ihr Management oder ihre Plattenfirma es Heino verwehrt haben, nun auch ihr Lied „Engel“ für seine neueste CD zu nutzen. Kolportiert wird allerdings, daß dieser vermeintliche Disput bloß ein PR-Gag sei, einer der vielen, mit denen er sich durch provozierte oder lediglich vorgetäuschte Kontroversen im Gespräch gehalten habe.

Zu diesen vielleicht tatsächlich wohlkalkulierten Coups ist jedoch sicher nicht der Eklat zu zählen, der sich an Heino im Frühjahr dieses Jahres entzündet hat. Auch Nordrhein-Westfalen verfügt seit jüngstem über ein Heimatministerium, und in ihrer Verzweiflung, wie das ihr anvertraute Amt denn mit Leben zu erfüllen sei, hatte die CDU-Politikerin Ina Scharrenberg zu einem Heimatkongreß in die Fahrradfahrermetropole Münster eingeladen. Auch die sage und schreibe 47 „Heimatbotschafter“ des Ministeriums waren aufgerufen, an der Veranstaltung teilzunehmen. Von ihnen erschien aber leider nur Heino und überreichte der Politikerin eine kleine Auswahl seiner Veröffentlichungen. Das den Medien von der Pressestelle des Ministeriums zur Verfügung gestellte Foto zeigt die beiden dummerweise ausgerechnet mit dem 1980 erschienenen Doppelalbum „Die schönsten deutschen Heimat- und Vaterlandslieder“. Zu diesen zählte Heino seinerzeit, wie Opposition und Medien monierten, neben allerlei nur in seiner grundsätzlichen Tendenz Bedenklichem auch das 1814 komponierte, in der NS-Zeit später von der SS ebenfalls verwendete Volkslied „Wenn alle untreu werden“.

Da war die Erklärungsnot natürlich groß, aber die Ministerin zog sich mit einer bürokratischen Erklärung elegant aus der Affäre, und die SPD war so gnädig, nicht nachzukarten. Heino ist ein alter Mann, wird man sich gedacht haben, über ihn ist alles gesagt, das erledigt sich sowieso bald von selber. Anderen Greisen sieht man nicht nur ihre Macken nach, man verklärt sie zu Vorbildern. Aus Schmidt-Schnauze wurde plötzlich ein weiser Staatsmann, aus Whisky-Willy ein visionärer Patriot. Heino jedoch bleibt in der öffentlichen Wahrnehmung ein tumber Tor, der nicht wahrhaben will, daß von unserer kulturellen Überlieferung, wenn man sie auf den Prüfstand stellt, nur sehr wenig bewahrt zu werden verdient, und dessen Erfolg unsere Gesellschaft in ein bezeichnendes und unerfreuliches Licht rückt. 

Wie so häufig bei derartigen Klischees, ist auch dieses nicht ganz aus der Luft gegriffen. Als Heino, der eine abgeschlossene Berufsausbildung als Bäcker vorweisen kann, zu Beginn der sechziger Jahre seine musikalische Karriere startet, ist die Generation jener, die den Krieg bereits als junge Erwachsene erlebt und mitverloren haben, noch in Saft und Kraft. Die Dankbarkeit, nicht für ihre Taten zur Verantwortung gezogen zu werden, läßt viele ihren Frieden mit den neuen Verhältnissen schließen, und man benötigt sie auch, um die wirtschaftlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Republik allmählich das werden kann, was sie werden soll. Eine geprüfte Generation will sich ihr Bedürfnis nach naiver Heiterkeit und sentimentalem Weltschmerz nicht nehmen lassen, und die Populärkultur des Nachkriegs erfüllt ihr diesen Herzenswunsch so, als hätte es nie eine historische Zäsur gegeben.

Heino – seine erste Langspielplatte „Kein schöner Land in dieser Zeit“ erscheint 1967 – ist ein Nachzügler dieser Kultur und dank der Gnade der späten Geburt ihr Revolutionär zugleich, denn er transformiert die Lieder, die man einst sang, in Arrangements, die der Ästhetik der vollendeten Wirtschaftswundergesellschaft gemäß sind und sie damit für alle Zeiten unsingbar werden lassen, sofern man die seine für die gültige Interpretation hält.

Auf der soeben erschienenen Doppel-CD „... und Tschüss“ ist dies alles noch einmal vereint: der alte und der neue Heino, das berüchtigte Potpourri aus Wander- und Fahrtenliedern und der Schnulzenschlager, Klassiker wie „Blau blüht der Enzian“ und „Schwarzbraun ist die Haselnuß“, mit „Das Model“ ein Cover der Elektro-Pop-Band Kraftwerk, Xavier Naidoos „Dieser Weg“ und der Weihnachtssong, ein Duett mit Wolfgang Petry („Ich atme“), der Mackie-Messer und das La-Paloma-ohé. Außerdem gibt sein Enkel Sebastian, der nach abgebrochenem Medizinstudium nun ebenfalls Barde werden will, seine doppelbödige Hommage zum besten, und die liebe gute Hannelore erklärt – nicht weniger stimmgewaltig als einst die Knef – dem lieben guten Heino, daß für ihn rote Rosen blühen sollen. Und so weiter.

„Das letzte Album“ heißt es im Untertitel. Das glaube, wer will. Im nächsten Jahr steht erst einmal eine sogenannte Abschiedstournee auf dem Programm. Viele Zuschauer werden kommen und ihn feiern. Wer dürfte es ihm verdenken, wenn er sich dies dann zu Herzen nähme und seine Entscheidung revidiert?

Heino Und Tschüss Das letzte Album Sony Music, 2018  www.sonymusic.de

Im März 2019 geht Heino auf Abschiedstour, singt unter anderem in Nürnberg, München, Mannheim, Hamburg, Stuttgart, Oberhausen und Köln.

 www.heino.de