© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/18 / 14. Dezember 2018

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Lange Zeit wurde die Annahme als naiv belächelt, daß unsere Volksmärchen einer Volksseele zu verdanken sind und über Generationen mündlich tradiert wurden, bevor sie etwa die Brüder Grimm niedergeschrieben haben. Aber eine neuere Untersuchung der Erzählungen mit Hilfe mathematischer Verfahren hat zwei Wissenschaftler, Sara Graca da Silva und Jamshid J. Tehrani, zu der Auffassung geführt, daß es sich doch um sehr alte Überlieferungen handelt, deren Urform in einer indoeuropäischen Sprache abgefaßt wurde. Nach Meinung der Forscher ist das Thema „Die Schöne und das Biest“ etwa viertausend Jahre alt. Dasselbe nehmen sie für das Motiv „Rumpelstilzchen“ an. Noch älter soll die Geschichte „Der Schmied und der Teufel“ sein, die von einem Mann handelt, der seine Seele dem Dämon überläßt für die Einweihung in geheime magische Künste. Gewisse Merkmale sprechen dafür, daß sie in der Bronzezeit, vor etwa fünftausend Jahren, entstand und sich mit den Völkern aus der Steppe nach Westen verbreitete, wo sie noch den Doktor Faustus eines Johann Wolfgang von Goethe inspirierte.

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Die Times erschien am 27. November mit der Schlagzeile „Inhaftiertem Vergewaltiger wird die Möglichkeit gegeben, das Kind seines Opfers zu sehen“. Sie nahm Bezug auf eine gerichtliche Entscheidung, der zufolge Arshid Hussain, einer der Haupttäter der Vergewaltigungsgangs mit Migrationshintergrund aus der Stadt Rotherham, verurteilt zu 35 Jahren Haft, das Recht erhalte, Umgang mit seinem Kind zu pflegen, das er durch die Vergewaltigung einer damals Fünfzehnjährigen gezeugt hatte.

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Die Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer zur neuen CDU-Vorsitzenden und das Scheitern von Friedrich Merz bedeuten zweierlei: erstens, daß man der Partei endgültig jedes Mark aus den Knochen geblasen hat; zweitens, daß es die Regel ist, daß soziale Einheiten, die zum Untergang verdammt sind, immer die letzten Rettungsmöglichkeiten verkennen, die ihnen bleiben.

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Seit Mitte des Jahres gibt es eine Debatte über den Umgang mit Büchern rechter Verlage in öffentlichen Bibliotheken. Schon auf dem Bibliothekartag im Juni standen sich diejenigen gegenüber, die Zutrauen in die Mündigkeit des Lesers verlangten, und die, die für mehr oder weniger massive Zensur eintraten. Der ersten Position scheint sich die Stadtbibliothek Bremens anzuschließen, die für die Nutzer grundsätzlich vorhält, was sie interessiert. Das läßt die Fraktion der Grünen in der Bürgerschaft nicht ruhen, die vom Kultursenator Aufklärung und Maßnahmen verlangen, die auf eine Kennzeichnung gefährlicher Publikationen hinauslaufen. Ganz neu ist das nicht. In der sogenannten wissenschaftlichen Literatur ist es längst üblich, mittels Vorwort oder Fußnote diejenigen Autoren zu markieren, die zwar unverzichtbar für die Arbeit sind, aber politisch inkorrekte Auffassungen vertreten, von denen man sich pflichtgemäß distanziert.

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Ein Reporter von Focus Online hat über die Ausschreitungen bei einem Vortrag Max Ottes an der Universität Köln berichtet. Linksradikale suchten die Veranstaltung durch Blockade und massive Einschüchterung der Besucher zu verhindern. Der Berichterstatter macht selbstverständlich klar, daß er keine Sympathie für den „AfD-nahen“ Ökonomen hege, aber doch der Meinung sei, daß man ihn reden lassen solle und es sich für Linke irgendwie nicht gehöre, solchermaßen gegen Andersdenkende vorzugehen. Welch ein Irrtum. Denn zur Erblast von ’68 zählt eben auch, daß seit fünfzig Jahren Meinungsfreiheit und Meinungsäußerungsfreiheit in diesem Land regelmäßig und exklusiv von links bedroht werden und die Linke sich nicht scheut, auch Gewalt anzuwenden, um mißliebige Personen mit ihren mißliebigen Auffassungen zum Schweigen zu bringen. Das ist auch keine Perversion einer im Grunde humanen Weltanschauung, sondern in die DNA der Linken seit alters eingeschrieben. Wenngleich nur wenige wie Auguste Blanqui so offen darüber gesprochen haben, daß Gewalt „das einzig sichere, das einzig praktische Mittel“ sei, um seine Ziele zu erreichen.

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Die dänische Fernsehserie „Die Wege des Herren“ (bei Arte) behandelt Irrungen und Wirrungen im Leben eines Propstes der Staatskirche Dänemarks. Was daran fasziniert, ist nicht nur die Verkörperung des Geistlichen durch Lars Mikkelsen als zerrissene Persönlichkeit, sondern überhaupt die Entschlossenheit, mit der hier von einem atheistischen Drehbuchautor – Adam Price – theologische Fragen als theologische Fragen behandelt werden: warum der Islam nur als Abirrung betrachtet werden kann, die Auferstehungsbotschaft zum Kern der christlichen Botschaft gehört, Gott eben nicht der „liebe Gott“ ist, sondern auch Luthers „deus absconditus“, der „verborgene Gott“, der leiden läßt, ohne daß sich uns der Sinn erschließt, der prüft und Zorn und Gericht über die Menschen bringt.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 4. Januar in der JF-Ausgabe 2/19.