© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/18-01/19 / 21./28. Dezember 2018

Ohne rechte Winkel
Gesinnungstest: Berliner Waldorfschule möchte das Kind eines AfD-Abgeordneten nicht aufnehmen
Ronald Berthold

Daß Wirte AfD-Wählern unter dem Motto „Kein Bier für Nazis“ die Bedienung verweigern oder Hauseigentümer AfD-Mitgliedern Mietverträge für Privatwohnungen kündigen, ist bisher auf große Zustimmung in der Zivilgesellschaft gestoßen. Insofern muß eine Berliner Waldorfschule überrascht gewesen sein, daß ihre Entscheidung, das Kind eines AfD-Parlamentariers abzulehnen, ein geteiltes Echo auslöst.

Inzwischen hat sich gar die Berliner Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) mit Kritik zu Wort gemeldet. Auch das erstaunt, weil soeben SPD-Familienministerin Franziska Giffey Deutschlands Kita-Erzieherinnen mit einer von der Amadeu-Antonio-Stiftung erarbeiteten Broschüre dazu aufgefordert hat, unter anderem Mädchen mit Zöpfen und sportliche Jungs als Kinder von „Nazis“ zu verdächtigen.

Der aktuelle Fall: Die Schule hatte das Kind, das durch den Besuch eines Waldorf-Kindergartens die besten Voraussetzungen für eine Aufnahme aufwies, aus politischen Gründen abgelehnt. Befürchtet wurde, so die Berliner Zeitung, „daß der AfD-Politiker Einfluß nehmen und durch ausländerfeindliche oder nationalistische Positionen den Schulfrieden gefährden“ könnte. Deshalb habe man sich zur Ablehnung entschieden. Gegenüber Intoleranten sei keine Toleranz angezeigt. 

Vor der Ablehnung hatten sich die Eltern einem Tribunal aus rund 20 Lehrern stellen müssen. Dieses hatte den Daumen gesenkt. Ein Grund dafür sei, so der Geschäftsführer des Trägervereins, daß Eltern an Waldorfschulen besonders aktiv seien, die Kinder zum Beispiel auch auf Fahrten begleiteten. Der Vater dagegen hatte beteuert, sich nicht im Schulverein engagieren zu wollen. Das half nichts: Nach Angaben der Schule entschied in diesem Fall nicht, wie sonst üblich, ein fünfköpfiges Aufnahmegremium, sondern das Kollegium aller 30 Lehrer: Das Kind eines AfD-Politikers ist unerwünscht. Warnungen vor „Sippenhaftung“ fanden kein Gehör – ebensowenig der Appell für „Meinungsfreiheit“.

Damit verstößt die Schule gegen die „Willenserklärung“ der Waldorfschulen. Darin hatten diese sich 2007 „gegen Diskriminierung“ ausgesprochen. Beschlossen wurde damals, daß „Waldorfschulen alle Menschen als frei und gleich an Würde und Rechten ansehen, unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, nationaler oder sozialer Herkunft, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung“. Problem: Damals konnte noch keiner damit rechnen, daß einst eine konservative Partei in alle Landtage und den Bundestag einziehen würde. 

Die Passage gelte weiter, meint der bildungspolitische Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft der Waldorfschulen Berlin-Brandenburg (LAG), Detlef Hardorp. Er betonte, daß die Schule die Entscheidung ohne Wissen der LAG getroffen habe. Prinzipiell sei er der Auffassung, daß „Menschen aller politischen Einstellungen ihre Kinder auf Waldorfschulen schicken können sollten“. Schon als es um die Aufnahme des Kindes in den Kindergarten gegangen sei, habe er sich gegen Ausgrenzung ausgesprochen – gerade weil dies angeblich AfD-Politiker tun: „Wir müssen uns in acht nehmen, nicht das mit ihnen zu tun – und schon gar nicht mit ihren Kindern.“

Kritik an der Entscheidung, das Kind wegen der politischen Einstellung des Vaters abzulehnen, kommt von der Vereinigung der Berliner Oberstudiendirektoren. Der Vorsitzende, Ralf Treptow, kritisiert, der Fall zeige, „welch ein Eigenleben die Privatschulen inzwischen entwickelt haben. Dafür ist die Bildungspolitik verantwortlich, die bei den staatlichen Schulen endlich das schaffen muß, was viele Eltern vermissen. Offensichtliche Diskriminierung darf es weder an staatlichen noch an privaten Schulen geben.“

Kinder nicht nach        Gesinnung auswählen

Am Wochenende meldete sich die angesprochene Schulsenatorin des rot-rot-grünen Senats zu Wort. Sandra Scheeres sieht es „sehr kritisch, wenn ein Kind für das politische Engagement der Eltern verantwortlich gemacht wird“. Die SPD-Politikerin erklärte, grundsätzlich könnten private Schulen selbst entscheiden, welche Schüler sie aufnehmen. Allerdings gelte in Berlin das Gleichbehandlungsgesetz. Demnach dürfe niemand wegen seiner „Weltanschauung“ benachteiligt werden. Freie Schulen dürften Kinder nicht nach Gesinnung auswählen. An einer öffentlichen Schule werde das Kind des AfD-Mannes selbstverständlich aufgenommen, versicherte Scheeres. Sie hatte die Schulleitung um eine Stellungnahme gebeten. Ob diese allerdings ihre Entscheidung revidiert, erscheint fraglich.

Denn der Berliner Fall ist nicht der erste, in dem Waldorfschulen Kinder wegen der politischen Haltung eines Elternteils diskriminieren. So flogen im Sommer zwei Mädchen, acht und zwölf Jahre alt, in Wien von der Schule, weil das Engagement der Mutter dem Kollegium nicht gefiel: Caroline Sommerfeld-Lethen soll der Identitären Bewegung nahestehen und veröffentlicht Bücher im rechten Antaios-Verlag. Die Frau, die mit dem linken Kulturwissenschaftler Helmut Lethen verheiratet ist, hatte zuvor bereits ihre Anstellung in der Waldorfschule verloren: Sie arbeitete dort als Köchin.

Bereits 2004 hatte ein Fall in Braunschweig für Aufsehen gesorgt. Die dortige Waldorfschule hatte die beiden Kinder ihres früheren Lehrers Andreas Molau verwiesen, nachdem der eine Tätigkeit für die damalige NPD-Fraktion im sächsischen Landtag aufgenommen hatte. Diese Vorgehensweise der Schulleitung stieß seinerzeit bei einem Teil der Lehrerschaft auf großes Unverständnis.