© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/18-01/19 / 21./28. Dezember 2018

Ländersache: Thüringen
Manches bleibt besser im dunkeln
Paul Leonhard

Wer war die „Dunkelgräfin“? Jene Frau, die zwischen 1807 und 1837 in Hildburghausen und im nahen Schloß Eishausen lebte. Die nie ohne grünen Schleier auf die Straße trat und die mit ihrem Partner ein kostspieliges Leben führte, bis sie schließlich am 25. November 1837 starb und in einem Grab ohne Inschrift auf einem Grundstück am Stadtberg beigesetzt wurde.

Seit mehr als 200 Jahren spekulieren die Einwohner der kleinen Stadt in Thüringen über die geheimnisvolle Frau. Und viele waren sich gewiß, daß es sich nur um eine Prinzessin gehandelt haben konnte. Im Idealfall um die französische Königstocher Marie Thérèse, die als einzige die Mordorgien der Revolution von 1789 überlebt hatte. Erstmals stellte die These von „Madame Royal“ der Sohn des Eishäuser Pfarrers in einem 1852 veröffentlichten Buch „Die Geheimnisvollen im Schlosse von Eishausen“ auf. Und für seine Recherchen sprach, daß Marie Antoinette und die Mutter der Herzogin von Sachsen-Hildburghausen miteinander bekannt waren. 

Mehr als 200 Jahre beschäftigte das Geheimnis der Herrschaften, die als Comte et Comtesse des Ténèbres, als Dunkelgrafen, bezeichnet wurden, Historiker. Sie recherchierten, daß in der Nacht zum 8. Februar 1807 eine Kutsche in dem Residenzstädtchens vorfuhr und aus dieser ein vornehmer Herr, der sich als Graf Vavel de Versay ausgab, und eine verschleierte Dame stiegen, die unter dem Schutz von Herzog Friedrich und Herzogin Charlotte von Sachsen-Hildburghausen standen. Zuvor war das mysteriöse Pärchen zwischen 1800 und 1806 in Gotha, Jena, Schweinfurt, Heidelberg, Ingelfingen, Wien und in den Niederlanden gesichtet worden. Immer wenn die Neugier der Mitbürger zu groß wurde, waren sie weitergezogen. Inzwischen weiß man, daß es sich bei dem Herrn um Leonardus Cornelius van der Valck handelte, einen reichen Holländer, der bis 1799 Sekretär an der niederländischen Botschaft in Paris war. Das Inkognito der Dame konnte jedoch nicht enthüllt werden.

Der Mitteldeutsche Rundfunk gönnte jedoch Hildburghausen das kleine Geheimnis nicht. 2014 vermeldete der Sender, man wisse dank eines interdisziplinären Wissenschaftsprojekts, daß der genetische Fingerabdruck der exhumierten Toten nicht mit dem anderer Mitglieder der französischenKönigsfamilie übereinstimmt. Der Mythos von „Madame Royal“ schien erledigt. Mitte Dezember vermeldete der Sender stolz, Chemiker hätten anhand von Knochen und Zähnen des Skeletts fetsgestellt, daß die Begrabene „in derselben Region die letzten Lebensjahre verbracht hat, in der sie auch geboren und aufgewachsen ist“. Eine Einheimische also. Der MDR mußte aber zugeben, daß Spachwissenschaftler, die das einzig existierende Schriftstück der „Dunkelgräfin“ untersucht haben, zu einem anderen Ergebnis kommen: Sie schlossen zwar aus, daß der Brief von Marie Thérèse stammt, vermuten jedoch die Heimat der Schreiberin in Westfalen, wo damals teilweise niederländisch gesprochen wurde. 

Bereits der „Dunkelgraf“ hatte 1839 für das Sterberegister angegeben, es handle sich um die in Westfalen geborene 58jährige Sophie Botta. Aber die taucht in keinem Taufregister auf. Und so wirbt die Stadt weiterhin auf ihrer Internetseite mit dem „Rätsel von Hildburghausen“ und fragt: Wer war die Dame?