© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/18-01/19 / 21./28. Dezember 2018

„Das Wichtigste bleibt ungeklärt“
Asylpolitik: Karlsruhe hat die Klage der AfD gegen die Grenzöffnung durch die Bundesregierung aus formalen Gründen abgewiesen
Jörg Kürschner

Mit spürbarer Distanz hat die AfD-Bundestagsfraktion auf den einstimmigen Beschluß des Bundesverfassungsgerichts reagiert, das deren Klage gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung als unzulässig verworfen hat. Die Fraktion habe nicht ausreichend dargelegt, daß sie durch die Entscheidungen zur Aufnahme von Flüchtlingen in ihren Rechten verletzt worden sei, heißt es in dem Beschluß. Die AfD hatte insbesondere dagegen geklagt, daß Flüchtlinge 2015 nicht abgewiesen worden waren. Das Verfahren sollte die „Herrschaft des Unrechts“ beenden, von der zuvor der damalige bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) gesprochen hatte.

„In der Sache hat das Gericht nichts entschieden und ausschließlich formelle Gründe angeführt“, kritisierte Fraktionsjustitiar Stephan Brandner den Richterspruch. Man habe erwartet, daß sich die Richter in der Sache mit „unseren sehr guten Argumenten“ auseinandersetzen und eine mündliche Verhandlung anberaumen würden. „Entscheidend ist, daß die AfD im Jahre 2015 nicht im Bundestag vertreten war, ansonsten hätten wir ganz andere Möglichkeiten gehabt.“ Fast trotzig heißt es in der Presseerklärung des Abgeordneten, „wir lassen auch künftig nichts unversucht, den Rechtsstaat vollständig wiederherzustellen“. Bei der Vorstellung der Organklage im Mai auf einer als „historisch“ bezeichneten Pressekonferenz hatte sich Brandner noch optimistisch gezeigt. „Diese Klage kann die Welt verändern. Und sie wird die Welt verändern, wenn sie erfolgreich ist.“ 

Die Richter widersprechen der Argumentation der AfD-Fraktion, die Flüchtlingspolitik der offenen Grenzen habe die Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte des Bundestags verletzt. Der Bundestag habe zwar eigene Rechte, er sei aber nicht dazu da, eine allgemeine Aufsicht über die Rechtmäßigkeit von Regierungshandeln vorzunehmen oder durchzusetzen, begründen die Richter ihren Beschluß. „Das Grundgesetz hat den Deutschen Bundestag als Gesetzgebungsorgan, nicht als umfassendes ‘Rechtsaufsichtsorgan’ über die Bundesregierung eingesetzt.“

Unter Vorsitz von Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle hält der Senat der AfD insbesondere vor, daß sie selbst an dem von ihr für notwendig gehaltenen Migrationsverantwortungsgesetz „am allerwenigsten“ mitarbeiten wolle. Es gehe der AfD also gar nicht um eine Beteiligung des Bundestags, „sondern um das Unterbinden eines bestimmten Regierungshandelns“, eben der Politik der offenen Grenzen. Das sei im Or-

ganstreitverfahren nicht möglich. Die rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker, stützte die Ansicht des Gerichts. „Es gibt im Organstreitverfahren keinen allgemeinen Verfassungsmäßigkeits-Prüfungsanspruch oder ähnliches, sondern es ist begrenzt darauf, eigene Rechte geltend zu machen.“

In der Tat heißt es in der Klageschrift der AfD wörtlich: „Am allerwenigsten würde sie solche Gesetze im Deutschen Bundestag auch noch selbst initiieren.“ Vorsorglich hatte die Fraktion der Ansicht widersprochen, „sie müsse erst einmal Gesetzesinitiativen in den Deutschen Bundestag einbringen, die ihren eigenen asylpolitischen Vorstellungen entsprechen würden“. Im Gegenteil, sie sei mit den bestehenden Gesetzen „zufrieden“, die allerdings eingehalten werden müßten. Der offene Dissens über die Frage, ob die AfD nicht vor Klageerhebung selbst in einer Gesetzesinitiative auf eine Wiederherstellung der Grenzkontrollen hätte dringen müssen, dürfte erklären, warum die Organklage formal gescheitert und somit inhaltlich nicht geprüft worden ist.

Fraktion muß die             Kosten der Klage tragen

Daß die AfD zu Beginn der Flüchtlingskrise 2015 noch nicht dem Bundestag angehört hatte, spielte für das Bundesverfassungsgericht keine Rolle. Da die Klage formal unzulässig sei, stehe dahin, daß die Partei erst 2017 in das Parlament gelangt sei. Die Fraktion muß die Kosten der Organklage tragen. Die Auslagen wären vom Staat übernommen worden, wenn das Verfahren „zur Klärung einer grundsätzlichen, über den konkreten Anlaß hinausgehenden verfassungsrechtlichen Frage beigetragen“ hätte. „Solche Gründe sind hier nicht ersichtlich“, heißt es in dem Beschluß lapidar. 

„Diese Auslegung des Bundesverfassungsgerichts spiegelt ohnehin nur die bestehende politische und mediale Situation wider“, faßt Ulrich Vosgerau, Verfahrensbevollmächtigter der AfD-Bundestagsfraktion, die Gerichtsentscheidung zusammen. „Die wichtigsten verfassungsrechtlichen Fragen der letzten Jahrzehnte werden nunmehr wohl ungeklärt bleiben.“