© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/18-01/19 / 21./28. Dezember 2018

Es begann mit einem spektakulären Attentat
40 Jahre Verfassung: Spaniens schwieriger Übergang von Franco zur parlamentarischen Demokratie
Jürgen W. Schmidt

Der Morgen des 20. Dezember 1973 war regnerisch in Madrid. Wie an jedem Tag rollte der neue, sechs Monate zuvor ernannte spanische Ministerpräsident und designierte Nachfolger von Staatspräsident General Franco, Admiral Luis Carrero Blanco, in einer gepanzerten schwarzen Limousine zu einer gegenüber der US-Botschaft gelegenen katholischen Kirche, um an der heiligen Messe teilzunehmen. Um 9.27 Uhr bestieg der Admiral wieder seinen Pkw und rollte, gefolgt von einem Auto mit Leibwächtern, gerade durch Straße Claudio Coello, als um 9.31 Uhr eine heftige Detonation die Luft erzittern ließ. Kurz danach erlag Admiral Carrero Blanco seinen bei dem Attentat erlittenen Verletzungen. Fünf junge ETA-Terroristen hatten im Rahmen der Operation „Ogro“ (Menschenfresser) vom Haus Nr. 104 der Straße Claudio Coello die Fahrbahn mühevoll mittels eines Tunnels unterhöhlt und im passenden Moment die Bombe gezündet. 

Damit waren die Pläne von General Francisco Franco gescheitert, welcher mit dem 69jährigen Admiral Blanco einen „starken Mann“ installieren wollte, der auch nach dem absehbaren Tod des mittlerweile 80jährigen Langzeitdiktators Spanien weiterhin im Sinne eines strengen politischen Konservatismus regieren sollte. General Franco hatte früh begonnen, das Land durch Einleitung sanfter Reformen auch nach seinem Tod in der konservativen Spur zu halten. 1967 erließ er ein Staatsgrundgesetz („Ley Organica del Estado“) über die Aufteilung seiner bisherigen Macht in das von ihm bekleidete Amt des Staatspräsidenten und eines davon unabhängigen Ministerpräsidenten sowie ein Gesetz über Religionsfreiheit. 1969 wurde die spanische Kolonie Ifni an Marokko zurückgegeben und der Bourbonenprinz Juan Carlos von General Franco zum spanischen Monarchen nach Francos Tod bestimmt. 

Annäherungen an die Europäische Gemeinschaft

1970 näherte sich Franco der EWG an und schloß mit ihr ein Zoll-Präferenzabkommen. Die EWG pochte damals übrigens nicht wie heutzutage streng auf demokratische Maßstäbe und allgemeinverbindliche Menschen- und Bürgerrechte, man war im Gegenteil über die unerwartete Annäherung des seit den sechziger Jahren einen erheblichen wirtschaftlichen Aufschwung durchlaufenden Spanien an die Europäische Gemeinschaft recht froh. Nur politisch gelang es Franco nicht, die seit dem Bürgerkrieg in sich gespaltene spanische Nation zu versöhnen. Zudem regten sich in den Gebieten mit baskischer Bevölkerung heftige separatistische Tendenzen und die baskische Terrororganisation ETA fühlte sich als deren bewaffnete Vorhut. 

Als im Sommer 1974 im benachbarten Portugal der dortige Diktator Marcelo Caetano durch eine Offiziersverschwörung („Nelkenrevolution“) gestürzt wurde und gleich anschließend auch das griechische Obristen-Regime, machte sich auch in Spanien eine Vorahnung über neue Zeiten breit. Der spanische Ministerpräsident Carlos Arias Navarro versuchte deshalb durch eine Politik der „apertura“ (Öffnung) so viel Dampf wie möglich aus dem politischen Kessel zu lassen. Am  20. November 1975 trat schließlich das lang Erwartete ein, Staatspräsident Franco starb. Kurz zuvor hatte sich Spanien noch unter internationalem Druck aus seiner Kolonie Spanisch-Sahara zurückgezogen. 

Zwei Tage nach Francos Tod war Spanien unter dem frisch proklamierten König Juan Carlos I. wieder eine Monarchie und der König stellte sogleich eine Demokratisierung des politischen Systems in Spanien unter Partizipation der Bürger in Aussicht. Ab sofort wurde Spanien in einem wahrhaft rasanten Tempo politisch umgebaut. Es gab nun wieder eine unabhängige Presse, politische Versammlungen und Zusammenschlüsse waren erlaubt, und unter dem neuen Ministerpräsidenten Adolfo Suarez wurde ein umfassendes wirtschaftlich-politisches Reformprogramm eingeleitet. 

Ab 1977 gab es auch wieder freie Gewerkschaften in Spanien, und im „Pakt von Moncloa“ schlossen Regierung und Opposition einen Burgfrieden zwecks Überwindung wirtschaftlicher Krisenerscheinungen, welche Spanien im Gefolge der weltweiten Ölkrise der siebziger Jahre erfaßten. Spanien wurde gleichfalls 1977 Mitglied des Europarates und das Baskenland sowie Katalonien erhielten durch Volksentscheid ein Autonomie-Statut. Vor vierzig Jahren, am 27. Dezember 1978, bekam  Spanien schließlich nach einer Volksabstimmung mit dem überwältigenden Ergebnis von 87,8 Prozent Ja-Stimmen eine neue, nunmehr demokratische Verfassung.

Doch selbst wenn man damals in  Spanien aus Gründen politischer Stabilität und Klugheit am Mythos Franco nicht zu rütteln wagte, gingen die eingeleiteten Reformen streng konservativen Militärs und Angehörigen der spanischen Sicherheitsorgane viel zu weit. Nachdem bereits im Jahr 1978 eine Militärverschwörung („Operation Galaxia“) aufgedeckt wurde, kam es 1981 zu dem operettenhaft anmutenden, gleichwohl innenpolitisch kreuzgefährlichen Putschversuch des spanischen Oberstleutnants Antonio Tejero Molina. 

Er besetzte waffenfuchtelnd mit knapp 200 Mann der Polizeitruppe Guardia Civil das spanische Parlament, verkündete hier das Ende der zivilen Gewalt und die Machtübernahme durchs Militär. Doch König Juan Carlos verlor in diesen aufgeregten Stunden nicht die Nerven, und gestützt auf die mächtigen Stabschefs von Heer, Marine und Luftwaffe behielt die Regierung die Oberhand. Gleich im nächsten Jahr 1982 wurde das nunmehr bürgerlich-demokratisch ausgerichtete Spanien durch Aufnahme als 16. Nato-Mitglied förmlich „geadelt“. 1986 wurde Spanien ebenso Vollmitglied in der EG. Man könnte den Übergang von der Franco-Diktatur zu einer bürgerlich-demokratischen ausgerichteten konstitutionellen  Monarchie in Spanien als eine wahre „Erfolgsstory“ beschreiben, wenn da nicht die leidige Gegenwart wäre. 

Durch Francos Umbettung brechen alte Konflikte auf

Obwohl die baskische Terrororganisation ETA ihre politisch völlig kontraproduktiven Aktionen eingestellt hat und das Baskenland gegenwärtig mit seinem Autonomiestatus weitestgehend zufrieden ist, so schien doch Spanien vor einigen Monaten durch den Separatismus in Katalonien am Rande einer schlimmen Staatskrise zu stehen. Die spanische Zentralregierung mußte massiv Angehörige der paramilitärischen Polizei Guardia Civil nach Katalonien entsenden, weil die regionalen Behörden und die regionale Polizei fest auf den separatistischen Kurs eingeschworen schienen. Nachdem sich nunmehr ein demokratisches System seit vierzig Jahren in Spanien fest etabliert hat, fällt das politische Establishment Spaniens zunehmend durch Korruption negativ auf. Im internationalen Korruptionsindex erzielte Spanien von insgesamt 176 erfaßten Staaten gemeinsam mit Costa Rica und Brunei einen unschönen 41. Platz. 

Gemeinsam mit den „Südländern“ der Europäischen Union wird Spanien schon seit mehreren Jahren im Rahmen der Euro- und Bankenkrisen durch wirtschaftliche Stagnationserscheinungen in Verbindung mit hoher Jugendarbeitslosigkeit gepeinigt. Und als wären das noch nicht genug gravierende Krisenerscheinungen, hat sich die gegenwärtige Regierung Spaniens entschlossen, einen ausgesprochen migrationsfreundlichen Kurs zu fahren, weshalb Spanien über seine nordafrikanischen Enklaven Ceuta und Melilla und über die Straße von Gibraltar von afrikanischen Migranten geflutet wird. Weiteres Öl ins Feuer goß Spaniens Regierungschef Pedro Sanchez mit seiner Ankündigung einer alsbaldigen Umbettung der Gebeine von General Franco aus seinem prachtvollen Mausoleum im „Tal der Gefallenen“ nordöstlich von Madrid. 

Damit brechen in Spanien alte, bislang tunlichst nicht angerührte Widersprüche jäh wieder auf. In Spanien ist aktuell von jener demokratischen „Erfolgsstory“ und Aufbruchsstimmung gegen Ende der siebziger Jahre nur noch wenig zu spüren. Dafür sind die Krisenzeichen unübersehbar, und die gegenwärtige EU-Politik ist nicht dazu angetan, Spanien in ein ruhigeres Fahrwasser zu geleiten. Franco und der Spanische Bürgerkrieg werfen einen langen Schatten.