© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/18-01/19 / 21./28. Dezember 2018

Esoterischer Populist
Georg Picht als Medienintellektueller
Dirk Glaser

Mit der öffentlichen Wirkung seiner Artikelserie über die „deutsche Bildungskatastrophe“, 1964 erschienen im damals auflagenstärksten Wochenblatt Christ und Welt, konnte Georg Picht (1913–1982) wohl zufrieden sein. Mit ein paar Zeitungsartikeln hatte der „Bildungs-Esoteriker und politische Alarmist“ (Joachim Radkau) eine Debatte losgetreten, die ab 1969 von der sozialliberalen Regierung Brandt/Scheel in praktische Hochschulpolitik gegossen worden ist. 

Was die „Kassandra“ Picht forderte, war eigentlich unspektakulär und wenig originell. Wie vielen anderen Bildungsexperten war auch ihm aufgefallen, daß Schulen und Universitäten zuwenig qualifizierten Nachwuchs hervorbrachten, um langfristig die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit einer Industrienation zu gewährleisten. Um in breiten Volksschichten schlummernde intellektuelle Ressourcen zu erschließen, empfahl Picht daher die „soziale Öffnung“ des westdeutschen Bildungssystems.

Welche Inhalte mit dieser Öffnung vermittelt werden sollten, ob sie, wie Ulrich Raulff („Kreis ohne Meister“, JF 43/09) über den George-Anhänger und Internatslehrer am elitären Schwarzwälder Birklehof spottete, den gymnasialen Unterbau der Bonner Republik in ein einziges Landschulheim verwandelt hätten, läßt Nicolai Hannig in seiner Georg-Picht-Studie dahingestellt sein (Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 4/2018). Denn den Münchner Historiker interessiert weniger, was der Reformer Picht wollte, sondern wie er seine Botschaft transportierte, um ihr ausreichend öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Zwei Faktoren begünstigten den Erfolg des auf „Popularisierung“ seines Wissens bedachten „Medienintellektuellen“, der, wie Hannig aus den im Nachlaß überlieferten Korrespondenzen erfuhr,  „täglich in Kontakt mit Zeitungen und Rundfunksendern“ stand. Einerseits traf seine Intervention noch auf eine Politikergeneration, die während der eigenen, überwiegend vor 1933 absolvierten Schul- und Studienzeit in der aufgeklärt-neuhumanistischen Überzeugung aufgewachsen war, daß „ohne wissenschaftlich geschulte Vernunft“ keine verantwortliche Politik mehr möglich sei. 

Und zweitens setzte in den ausgehenden fünfziger Jahren ein Medienwandel ein. Innerhalb der recht kurzen Zeit eines Jahrzehnts „lösten sich die Redakteure aus dem Korsett der Staatsnähe“. So entstand für den Bildungspolitiker Picht ein einzigartiger Resonanzraum.