© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/18-01/19 / 21./28. Dezember 2018

Die Schallmauer leise durchbrechen
Neue Überschallflieger von Airbus und Boeing wollen Concorde und TU-144 beerben
Fabian Schmidt-Ahmad

Immer mehr Passagiere, immer sparsamere Triebwerke, doch in einer Hinsicht stagniert der Luftverkehr. Ein Flug von Berlin nach New York dauert immer etwa acht Stunden. Bedingt ist dies durch die Schallmauer, jenseits derer sich die aerodynamischen Anforderungen für Flugkörper erheblich ändern. So reisen seit Jahrzehnten Passagierflugzeuge mit etwa 85 Prozent der Schallgeschwindigkeit, die je nach Luftdichte und -temperatur zwischen 1.000 und 1.300 Kilometern pro Stunde (Mach 1) liegt.

Wer schneller unterwegs ist, gehört zum Militär. Ändern wollen dies Unternehmen, wie Aerion mit der AS2, ein Mach 1,5 schneller Geschäftsflieger für zwölf Passagiere. Hinter dem Projekt steht der texanische Milliardär Robert Bass, der zusammen mit Lockheed Martin die AS2 bis 2021 in die Luft bringen will. Zwei Jahre später soll sie zu Stückkosten von rund einhundert Millionen Dollar zu haben sein.

Andere wie Boeing arbeiten an Konzepten für den Hyperschallbereich von Mach 5 und mehr. Diesen Sommer präsentierte der Konzern eine Konzeptstudie, die Flüge von 6.000 Stundenkilometern in dreißig Kilometern Höhe ermöglichen soll. Freilich ist das Zukunftsmusik. In zwanzig bis dreißig Jahren, schätzt der Konzern, seien die Voraussetzungen gegeben.

Deutsche Entwickler, deutsche Technologie

Wer auch immer künftig den Markt überschallschneller Zivilflugzeuge beherrschen wird: Fakt ist, daß er auf der Arbeit deutscher Ingenieure aufbaut. Ende der dreißiger Jahre waren diese der Konkurrenz enteilt. Wahrscheinlich war es auch ein deutscher Jagdflieger, der als erster Mensch schneller als der Schall flog. Doch Deutschland hatte zu Kriegsende andere Sorgen als die Anerkennung von Rekorden. So war es der Amerikaner Chuck Yeager, der 1947 mit dem Raketenflugzeug Bell X-1 offiziell das Zeitalter der Überschallflüge einläutete. 

Danach gab es kein Halten mehr. Bereits zwölf Jahre später donnerte die North American X-15, die Teil des amerikanischen Raumfahrprogramms war, mit bis zu siebenfacher Schallgeschwindigkeit in hundert Kilometern Flughöhe durch den Himmel – bis heute unübertroffen. Entworfen hatte sie wiederum ein Deutscher, Walter Dornberger, zuvor Kommandant der Heeresversuchsanstalt Peenemünde. Die X-15 selbst beruhte auf der A9, einer bemannten Version der deutschen V2.

Auch die zivile Luftfahrt ließ sich von dieser Euphorie anstecken. Vor fünfzig Jahren, am 31. Dezember 1968, hob die Tupolew TU-144 zu ihrem Jungfernflug ab, drei Monate vor ihrer bekannteren Rivalin, der französisch-britischen Concorde. Eigentlich sollten die Flieger ein neues Zeitalter überschallschneller Passagierflugzeuge einleiten. Doch wirtschaftlicher Erfolg war keinem beschieden, sie blieben Prestigeobjekte. Ein amerikanischer Konkurrenzentwurf, die Boeing 2707, wurde nie gebaut.

62 Meter lang, 180 Tonnen schwer und Mach 2,4

Als Hauptproblem erwies sich für die Zivilluftfahrt der Überschallknall. Dieser Effekt tritt ein, wenn sich in einem Medium Objekte schneller als der Schall bewegen. Durchbricht ein Flugzeug die Schallmauer, bilden sich zwischen Bug und Heck Stoß- und Sogwellen, die sich hinter ihm wie ein Schleppnetz ausbreiten. Diese Wellenfront, deren Stärke vor allem durch den Objektquerschnitt bestimmt ist, wird von außen als Knall wahrgenommen. Selbst in großer Höhe kann so ein Überschallflugzeug erheblichen Lärm am Boden verursachen.

Die 62 Meter lange, rund 180 Tonnen schwere und bis zu Mach 2,4 schnelle Concorde sorgte für ein majestätisches Grollen, das bereits 1972 bei einem Werbeflug über mehrere Kontinente zu wütenden Protesten führte. Die USA, nach Projektende der Boeing 2707 ohnehin wenig an überschallschnellen Passagierflugzeugen interessiert, schränkten daraufhin den Luftraum ein. Auch in Europa durfte die Concorde bewohntes Gebiet nur im Unterschall passieren. Erst über dem offenen Meer konnte sie ihre Muskeln spielen lassen.

Das reichte aber aus, um die bis zu hundert Passagiere in drei Stunden über den Atlantik zu bringen. Die Belastung für die Concorde war enorm. Durch den Luftwiderstand erhitzte sich ihre Außenhaut auf über hundert Grad, sogar die isolierten Bullaugen erwärmten sich. Nur spezielle Materialien konnten den Höllenritt überstehen. Die Formgestaltung sorgte für ungünstige Eigenschaften beim Unterschallflug. Über drei Kilometer brauchte eine Concorde zum Abheben.

Das eigentliche Manko, dessentwegen die TU-144 nie in den regulären Liniendienst nahm, war der Kerosinverbrauch. Selbst die aerodynamisch besser gestaltete Concorde verbrauchte mit ihren vier Triebwerken etwa doppelt soviel wie ein damaliger Jumbo – bei einem Viertel der Passagierkapazität. Nach dem Ölpreisschock konnten sie nur die staatseigenen Luftfahrtgesellschaften Aeroflott beziehungsweise British Airways und Air France unterhalten. Heute sind die Rivalinnen gemeinsam im Technikmuseum Sinsheim zu besichtigen.

Neue Triebwerkstechniken und leichtere, hitzefeste Materialien versprechen nun die Grenze zur Wirtschaftlichkeit zu erreichen. Große Erwartungen werden auch an verbesserte aerodynamische Konzepte gestellt. Das Experimentalflugzeug X-59, von Lockheed für die Nasa entwickelt, soll den Überschallknall im Bodenbereich auf erträgliche 65 Dezibel drücken. Ob das alles aber gelingen wird, ist noch offen. So lange bleibt das Kapitel, welches die TU-144 vor fünfzig Jahren begann, weiterhin unvollendet.

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