© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/19 / 04. Januar 2019

Im Schatten kann der Spaltpilz wachsen
Jahresvorschau: Die kommenden Wahlen dürften den Volksparteien weiter zusetzen / Merkels Schicksal wird auch in Rom, Paris und Madrid entschieden
Paul Rosen

Die politisch stabilen Jahre der Bundesrepublik sind vorbei. Das wird auch 2019 so bleiben. Angela Merkels Kanzlerschaft hängt weniger von innenpolitischen, sondern mehr von europäischen Entwicklungen ab. Wenn Großbritannien die EU verläßt und damit die Position der auf wirtschaftliche Stabilität bedachten EU-Nordländer schwächt, hat der Süden (Italien, Frankreich, Spanien) in den europäischen Gremien faktisch ein Vetorecht, was für Deutschland teuer werden könnte. Zwar ist im Koalitionsvertrag die Bereitschaft zu höheren EU-Beiträgen verankert, die Frage ist aber, wann die Schmerzgrenze überschritten sein wird. 

Merkel kann von Glück sagen, daß ihr Widersacher Friedrich Merz im Kampf um den Parteivorsitz gegen Merkels Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer knapp gescheitert ist. Somit bleiben ihr Grabenkämpfe mit Merz um EU-Finanzierung, Steuern und Wirtschaftspolitik erspart. Mit Kramp-Karrenbauer hat Merkel ein gutes Arbeitsverhältnis. Der Kanzlerin dürfte selbst eine schwere Niederlage der CDU bei der Europawahl Ende Mai noch nicht besonders weh tun. Daß die Union wieder 35,3 Prozent wie vor fünf Jahren holen wird, erscheint so gut wie ausgeschlossen. Eine Niederlage würde Kramp-Karrenbauer mit nach Hause nehmen müssen; schließlich hat sie die Kampagne vorbereitet und geführt. 

Für die SPD erscheint aus heutiger Sicht beinahe sicher, daß ihr Europawahlergebnis von vor fünf Jahren (27,3 Prozent) ungefähr halbiert werden wird. Das schwächt die Parteivorsitzende Andrea Nahles nicht mehr weiter; sie ist ohnehin nur noch im Amt, weil es keine geeigneten Nachfolger gibt. Einen großen Teil der SPD-Verluste dürften die Grünen aufsaugen. Die Partei kann derzeit nicht viel falsch machen. In den Augen vieler Wähler hat sie hohe Klima- und Umweltkompetenz und ist Meinungsführerin bei allen „guten“ Themen. 

Der Ruf nach Merz könnte wieder lauter werden

In die Regierungsverantwortung würden die Grünen aber erst kommen, wenn die SPD die ungeliebte Große Koalition verlassen würde. Danach sieht es derzeit nicht aus. Zudem regiert Merkel allemal lieber mit den Sozialdemokraten als mit Grünen, die vor lauter Kraft nicht mehr laufen können und intern auf Neuwahlen spekulieren, um die winkende reiche Ernte beim Wähler einzufahren. Die Linkspartei hat nur ein eingeschränktes Potential, woran auch die „Aufstehen“-Bewegung von Sahra Wagenknecht nichts ändern wird. 

Hoffnungsvoll blickt die AfD ins neue Jahr. Sollte es zu einer neuen Finanz- und Bankenkrise (auch durch die Schuldenprobleme in Frankreich und Italien) kommen, könnte sich dies für die AfD schnell in höheren Wählerzahlen auszahlen – auch wenn das Damoklesschwert einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz über ihr schwebt. Die derzeitigen Versuche europäischer Regierungen, den Bankensektor durch Risiko-Vergemeinschaftungen und stärkere deutsche Haftung zu stabilisieren, sind sichtbarer Ausdruck der Angst, daß die nächste Krise vor der Tür steht. 

Im Herbst glaubt die AfD, bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen ein Heimspiel vor sich zu haben und vielleicht in Sachsen stärkste Partei zu werden. Die Rechnung könnte vor allem bei sich abschwächender Wirtschaft, Problemen der inneren Sicherheit und einer Neuauflage der Finanz- und Eurokrise aufgehen. Da die CSU an den Herbst-Wahlen nicht teilnimmt, kann sich die Partei auf die Vollendung des Generationswechsels konzentrieren. Markus Söder wird den Parteivorsitz Anfang des Jahres kampflos von Horst Seehofer übernehmen, der Innenminister im Bund bleiben will. 

Im Falle wirtschaftlicher Verwerfungen und Wahlniederlagen wird der Ruf nach Friedrich Merz in der CDU lauter werden, um eine Erosion wie bei der SPD zu verhindern. Merz hat zwar keine Funktion, aber über der Partei liegt sein langer Schatten, in dem auch der Spaltpilz wachsen kann.