© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/19 / 04. Januar 2019

Stupid German Money
Chemieindustrie: Nach der Monsanto-Übernahme droht dem Traditionskonzern Bayer die Aufspaltung / Wiederholt sich der Fall Hoechst?
Jörg Schierholz

Disziplin, Pünktlichkeit, Fleiß und Ingenieurskunst sind Eigenschaften, die man in Amerika mit Deutschland in Verbindung bringt. Zu den jüngeren Tugenden zählt das „Stupid German Money“. Der Begriff wurde um die Jahrtausendwende in Los Angeles geprägt, nachdem die US-Filmwirtschaft zum Gutteil aus Geldern geschlossener deutscher Medienfonds finanziert worden war – in der Regel mit beträchtlichen Verlusten für die Anleger. Bei der 51 Milliarden Dollar schweren Übernahme von Voicestream durch die Deutsche Telekom unter Ron Sommer wurden 22.043 Dollar pro Kunde bezahlt, was sich nie wirklich rentierte. Die Chrysler-Übernahme 1998 und die Rückabwicklung 2007 kosteten Daimler Milliarden.

Roundup-Klagen werden ein lohnendes Geschäft

Kurz vor dem Platzen der Immobilienblase 2007/2008 flossen aus Deutschland 60 Milliarden Euro von staatlichen Instituten wie der HSH Nordbank oder der Bayerischen Landesbank in die USA. Die Staatsbank KfW erlangte ein „super-stupid“ Weltniveau, als sie 2008 an die insolvente Lehman Brothers noch 319 Millionen Euro überwies. Das Geld ist, wie die Steuerzahler erfahren durften, zum Großteil weg. Laut Internationalem Währungsfonds (IWF) belasten die Hilfszahlungen an die Finanzinstitute den deutschen Steuerzahler mit rund 290 Milliarden Euro – das entspricht elf Prozent der Wirtschaftsleistung. Nur in Griechenland und Irland kostet die Rettung der Finanzbranche den Steuerzahler – gemessen an der Wirtschaftskraft – noch mehr. Für die US-Steuerzahler war die Bankenrettung ein Geschäft.

Nun gerät eine Branche in den Fokus, die für 200 Milliarden Euro Jahresumsatz sorgt: die deutsche Chemieindustrie – nach Auto- und Maschinenbau der drittgrößte Industrieumsatzzweig. 453.000 Mitarbeiter werden hier in etwa 2.200 Unternehmen beschäftigt. Doch die – nach BASF – Nummer zwei der deutschen Chemiebranche, die Leverkusener Bayer AG (Beschäftigtenzahl in Deutschland: 31.000) ist mutwillig in schweres Fahrwasser gekommen: Die mit 65 Milliarden Euro deutlich überteuerte Übernahme des US-Skandalkonzerns Monsanto ist eine Neuauflage von „Stupid German Money“. Der Aktienkurs rutschte vergangenes Jahr von 105 auf unter 65 Euro. Nur der Kurs der Deutschen Bank hat sich 2018 noch schlechter entwickelt. Der US-Hedgefonds Elliott verlangte im Dezember sogar schon die Aufspaltung des 156 Jahre alten deutschen Traditionskonzerns.

Die mehr als 25 Milliarden Dollar, die Anwälte, Kunden, Händler, Behörden und staatliche Stellen im Zuge von „Dieselgate“ in den USA von dem VW-Konzern erhalten werden, waren der Bayer-Führung offenbar keine Lehre. Denn was im Fall Volkswagen Abgaswerte und Stickoxide sind, könnte für Bayer das Monsanto-Herbizid Roundup und der Wirkstoff Glyphosat werden: Sogar das Promiehepaar Neil Young und Daryl Hannah war im Gerichtssaal des Superior Court for the County of San Francisco mit dabei, als dem früheren Hausmeister Dewayne Johnson erwartungsgemäß eine 289-Millionen-Dollar-Entschädigung zugesprochen wurde. Der 46jährige führt seine Krebserkrankung auf die Folgen der Anwendung von Roundup zurück. Über 9.000 ähnliche Klagen gibt es inzwischen. Mit Anzeigenkampagnen in lokalen TV-Sendern und im Internet ködern US-Kanzleien potentielle Mandanten. Roundup könnte ein ebenso lohnendes Geschäft werden wie der Kampf gegen Asbest oder die Zigarettenindustrie. Agenturen sammeln die Adressen von klagewilligen Amerikanern und verkaufen sie an die US-Klageindustrie (Law Firms) – ein juristischer Tsunami baut sich auf.

Mit seiner eingebrochenen Marktkapitalisierung paßt Bayer endlich ins Beuteschema der Haifische der Investment- oder Private-Equity-Branche. Der aktivistische US-Großinvestor Paul Singer sprach nur offen aus, was Experten längst wußten: Der Bayer-Konzern soll in das Pharma- und das Agrogeschäft aufgespalten werden. Randaktivitäten müßten verkauft werden. Damit könnte nach dem Weltkonzern Hoechst das zweite deutsche Chemie-Großunternehmen von der Weltbühne verschwinden.

Die Parallelen sind unübersehbar: Ein überfordertes Topmanagement bei Hoechst scheiterte an einer Monsanto- Übernahme, führte reihenweise überteuerte Übernahmen durch und wurde am Ende mit Hilfe des französischen Staates von der deutlich kleineren Sanofi übernommen. Den Reibach dabei machten 1999 die Investmentbanken und Beratungskonzerne. Der Hoechst-Chef Jürgen Dormann – als Ökonom der erste Nichtchemiker in dieser Position – erhielt für seine Leistung einen französischen Orden, die erste biotechnologische Produktionsanlage für Insulin ist heute als Museum zu bewundern.

Vor dem Ersten Weltkrieg war die deutsche Chemiebranche in vielen Bereichen Weltmarktführer und das Kaiserreich der innovativste Standort, gemessen an der Vielzahl der Nobelpreise für Chemie, Medizin und Physik. Danach wurde der Großteil des deutschen Auslandsbesitzes enteignet, samt der Patente und Produktionsverfahren. Nach dem Zweiten Weltkrieg verlief es ähnlich. Dennoch bewerkstelligten die Branchenkernstücke den Wiederaufbau in Rekordzeit. Neue Produktsparten kamen hinzu. In vielen Bereichen ist Deutschland wieder Weltmarktführer und nach China, den USA und Japan viertgrößte Chemienation. Das alles wird gefährdet. Das Vabanquespiel mit der Monsanto-Übernahme könnte das nächste Kapitel von „Stupid German Money“ werden – mit Folgen für den gesamten Industriestandort Deutschland.

Verband der Chemischen Industrie:  vci.de/