© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/19 / 04. Januar 2019

„Stück aus dem Tollhaus“
Buch zur Eurokrise: Markus C. Kerber rechnet mit dem System Draghi ab / Vor allem Frankreich und Italien gefährden die Währungsunion
Bruno Bandulet

In der Riege deutscher Juristen und Ökonomen, die sich kritisch mit dem Euro auseinandersetzen, ist Markus C. Kerber eine Ausnahmeerscheinung. Der Professor für Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik an der TU Berlin verbindet intime Kenntnisse nicht nur des Eurosystems, sondern auch der innenpolitischen Kräfteverhältnisse in Frankreich und Italien mit einer deutlichen Sprache. In seinem neuen Buch nennt er EZB-Chef Mario Draghi einen „Paten“ und Außenminister Heiko Maas (SPD) „Zwerg Nase der deutschen Außenpolitik“.

Kerber spricht von einer „Verschwörung gegen die Bürger Deutschlands“ und von einem „Stück aus dem Tollhaus“, wenn ausgerechnet jener Draghi, der mit dubiosen Methoden italienische Banken über Wasser gehalten hat, inzwischen auch noch zum faktischen Chef der Bankenaufsicht in der Eurozone aufsteigen konnte. Der mit 123 Seiten zeitsparende, präzise und prägnant formulierende Text untersucht das Klumpenrisiko des italienischen Bankensektors und die Pläne der neuen italienischen Regierung, die darauf hinauslaufen, einen Teil der gigantischen Auslandsschulden im „Sarkophag“ der EZB-Bilanz zu beerdigen und die Euro-Partner mit der Drohung eines Euro-Austritts zu erpressen.

Im Kapitel „Macrons Vision und Draghis Traum“ wird dargestellt, wie die Achse der Euro-Südländer beabsichtigt, ihre hausgemachten Probleme durch eine Vertiefung der Währungsunion verschwinden zu lassen, indem mittels europäischer Einlagensicherung (Edis, JF 22/18) die deutschen Sparer in Haftung genommen werden und der Rettungsfonds ESM mißbraucht werden soll, um die ungenügende Feuerkraft des Bankenabwicklungsfonds zu verstärken. Sehr interessant in diesem Zusammenhang das Eigeninteresse der drei französischen Großbanken, die in Italien gefährlich exponiert sind, wo das Bankgeschäft, so Kerber, immer noch „tutto in famiglia“ betrieben werde.

Kerber weist auch darauf hin, daß die deutschen Sparkassen und Genossenschaftsbanken harten Widerstand gegen den Zugriff auf ihre Konten leisten und daß die Bundeskanzlerin bisher den Forderungen Draghis und Emmanuel Macrons nicht nachgekommen ist. Angela Merkel versuche, sie hinzuhalten. Mit der Frage, ob ihr Nachfolger den Marsch in die totale Transfer- und Schuldenunion nicht doch antreten wird, konnte er sich noch nicht beschäftigen.

Eine hohe Meinung von der Qualität der politischen Klasse Deutschlands hat der Autor nicht. „Daß auch deutsche Fachpolitiker sich nicht bemühen, die italienische Presse zu studieren oder zumindest aufmerksam die Meinungsentwicklung wahrzunehmen“, schreibt er, „spricht Bände über den Verlust des Politischen in Deutschland“. Draghi, der mächtigste Finanzpolitiker Europas, verdanke seine Machtfülle dem deutschen Machtverzicht. Bei wesentlichen Weichenstellungen der Euro-Finanzpolitik habe die Führung der zentralen Macht Europas „tief und fest“ geschlafen.

Es lohnt sich, Kerbers Abrechnung mit dem System Draghi zusammen mit der Neuauflage von „Europa ohne Frankreich?“ (Edition Europolis 2017) zu lesen, einem Buch, das tiefe Einblicke in das Selbstverständnis und das Funktionieren der französischen Oligarchie vermittelt. Kerber ist Frankreich-Kenner, Frankreich-Liebhaber und überzeugter Europäer in dem Sinne, daß er von der derzeitigen EU und dem Euro-Konstrukt eben nicht überzeugt ist. Die Deutschen sollten, so empfiehlt er, keine Angst haben, gegen die kalte Enteignung durch Draghis Geldpolitik zu protestieren, keine Angst, die Haftung für italienische Banken abzulehnen, und keine Angst, „das Abenteuer namens Euro zu beenden, wann wir es wollen“. Ein Buch, das aufklärt, die Augen öffnet und Mut macht.

Markus C. Kerber: Die Draghi-Krise. FinanzBuch Verlag, München 2018, 123 Seiten, broschiert, 9,99 Euro






Dr. Bruno Bandulet war Chef vom Dienst bei der Welt und Vizechef der Quick. Der Goldexperte gibt den „Deutschland-Brief“ heraus.