© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/19 / 04. Januar 2019

Pankraz,
Machiavelli und die Macht der Füchse

Auffällig: Niccolò Machiavelli wird in letzter Zeit immer häufiger zitiert und als notwendiges Vorbild für moderne Politologen herausgestellt. Kürzlich hat ihn der einflußreiche Berliner Staatswissenschaftler Herfried Münkler (in einem Gespräch mit Arno Widmann in der Frankfurter Rundschau) in geradezu enthusiastischer Weise gelobt. Während die meisten Politikbeobachter, so Münkler, sich nur darum kümmerten, was Politiker jeweils sagen oder tun, habe Machiavelli stets auch und höchst subtil die persönliche, psychologische Struktur von Politikern ins Auge gefaßt. Daran gelte es wieder anzuknüpfen.

Tatsächlich ist einiges dran an Münklers Befund. Natürlich wird auch und gerade heute – im Zeitalter des Internets – viel über das „persönliche Innenleben“ von Politikern „berichtet“, aber daß dabei etwas vernünftig Verallgemeinerbares für die Wissenschaft abfiele, wagt wohl selbst der wildeste Apologet nicht zu behaupten. Es wimmelt da ja, wie längst bekannt, von übelsten „Fake News“, von frechen Lügen, monströsen Übertreibungen, Unterstellungen. Und die dann oft im Fernsehen nachgereichten, oft wichtigtuerischen  „Faktenchecks“ verschlimmern die Lage nur.

Als verwertbares Resultat bleibt bestenfalls übrig, daß alle Politiker typische Machtmenschen sind, daß sie nach Macht über Menschen und Institutionen streben, entweder um gewisse allgemeine Ziele durchzusetzen oder weil es ihnen Spaß macht, „oben“ zu sein und Befehle erteilen zu können.

Doch zur Erlangung solcher Einsicht bedarf es keiner Wissenschaft, so etwas weiß jeder Zeitgenosse ohnehin. Es kommt vielmehr darauf an, den tieferen Antrieben des Machtstrebens auf die Schliche zu kommen und sie in Sprache abzubilden, sie also für gelassene Diskurse nutzbar zu machen.


Machiavelli hat sich durchaus in diese Richtung bewegt; leider ist in dem langen Münkler-Gespräch mit Widmann davon kaum die Rede. Der große Renaissancegelehrte, der „Erfinder der Wissenschaft von der Politik“, als den ihn Max Weber gerühmt hat, klammerte alle Fragen nach der Moral in der Politik zunächst einmal resolut aus seinen Überlegungen aus, richtete seine Aufmerksamkeit exklusiv auf Lebensformen in der Natur, bei denen es um Machterringung und Machterhalt ging. Und was ihm dabei ins Auge fiel, war die deutliche   Differenz zwischen „Löwen“ und „Füchsen“.

Um es kurz zu machen: Machiavelli kam zu der Überzeugung, daß politische Machtkämpfe, wo auch immer, stets entweder von „Löwen“ oder von „Füchsen“ geführt werden, will sagen: entweder von starken Platzherren beziehungsweise -verteidigern, die ihre Stärke „brüllend“, also ungeniert vorzeigen, oder von weniger starken, doch um so schlaueren Füchsen, die viel weniger laut und offen operieren, ihre wahren Ziele gern verhüllen oder sie als „gesetzmäßig notwendige“ Entwicklungen hinstellen, für die sich jeder vernünftige Zeitgenosse spontan einsetzen müsse. 

Der Renaissancemensch Machiavelli, dem es viel mehr um die Erziehung eines echt  wirkmächtigen Politikertyps,  des berühmnten „uomo virtuoso“, als um die Schaffung einer „idealen Gesellschaft“ zu tun war, neigte spontan den Löwen zu, war allerdings realistisch genug, um zu sehen, daß der „uomo virtuoso“ eine Menge füchsische Schlauheit entwickeln mußte. um an den Schalthebeln zu bleiben. Machiavelli war ja, dem Titel seines um 1513 entstandenen Hauptwerkes „Il Principe“ zum Trotz, kein Monarchist, sondern ein glühender Anhänger der altrömischen Senatorenrepublik à la Cicero. 

Politische Herrschaft war für ihn keineswegs eine Sache „an sich“, die es um ihrer selbst willen zu analysieren galt; vielmehr sah er sie als notwendiges Moment einer durch Herkunft und Tradition verbundenen Menschengemeinschaft (Polis, res publica, Staat), welche sich ständig in der Spannung zwischen Aufstieg und Verfall befindet zwischen „virtù“ und bloßer „fortuna“, wie er formulierte. „Virtù“ war der Wille des einzelnen oder der Kollektive, alles für die Stabilität und Blüte der Polis zu geben, und der Brennpunkt der „virtù“ lag im herausgehobenen einzelnen.


Der „uomo virtuoso“ wußte über die Wankelmütigkeit und Verführbarkeit der Menschennatur Bescheid, er wußte, daß sie unbequemen, aber notwendigen Entscheidungen ausweicht, sie immer wieder vertagt und zerredet und daß also jeder gute Politiker solche Entscheidungen schnell, energisch und frühzeitig fällen und durchsetzen muß. Er wußte auch, daß es den Polismitgliedern zwar nie ganz schlecht, aber auch nie zu gut gehen darf, weil dann „fortuna“ Macht gewinnt samt Schlendrian und Anarchie. Gute Herrscher sind nach Machiavelli immer strenge Herrscher, streng gegen das Volk, strenger gegen Opponenten, am strengsten gegen sich selbst.

Es war dieser Ruf nach Strenge um der Zielgenauigkeit willen, der Machiavelli durch die Jahrhunderte hindurch so sehr in Verruf gebracht hat. Zahlreiche „Anti-Machiavellis“ erschienen, zunächst aus christlich-theologischen Kreisen, später auch von berühmten Aufklärern, darunter bekanntlich Friedrich der Große von Preußen.

Hannah Arendt argumentierte noch im zwanzigsten Jahrhundert mit sanfter Kritik: „Machiavelli hat als erster die Heraufkunft oder die Wiederkehr eines rein weltlichen Bereichs antizipiert, dessen (…) moralische Wertsetzungen von keiner Transzendenz mehr gegründet und begründet sein würden. Dies ist der eigentliche Sinn seiner vielfach mißverstandenen Lehre, daß es in der Politik darum gehe, zu lernen, ‘nicht gut zu sein’ (…).“

Hält man die jüngsten positiven Äußerungen Münklers dagegen, so ist der Unterschied bemerkenswert. Münkler ist offenbar zumindest der Meinung, daß das Füchsische in der Politik zu groß geworden ist und daß das guter Politik schadet. Es wird zu vieles zu lange demagogisch hin und her gewendet. Machiavelli hätte ihm da zugestimmt.