© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/19 / 04. Januar 2019

„Die Stunde der Abrechnung naht!“
Vor einhundert Jahren wollten Kommunisten in den Berliner Januaraufständen die Regierung Friedrich Eberts beseitigen und scheiterten kläglich
Karlheinz Weißmann

Es ist in der Geschichtswissenschaft seit jeher üblich, zwischen Anlaß und Ursache eines historischen Vorgang zu trennen. Im Fall des Januar- oder Spartakus-aufstands 1919 war der Anlaß eine jener Nebensächlichkeiten, die in revolutionären Zeiten aber geeignet sind, erhebliche Wirkung zu entfalten. 

Gemeint ist der sogenannte „Eichhorn-Zwischenfall“. Ausgelöst wurde der durch den Rückzug der USPD aus der preußischen Landesregierung am 3. Januar 1919, weshalb der von den Unabhängigen eingesetzte Polizeipräsident Berlins, Emil Eichhorn, einem Vertreter der Mehrheits-SPD (MSPD) weichen sollte. Eichhorn gehörte zum linken Flügel der Unabhängigen. Die von ihm aufgestellte „Sicherheitswehr“, eine bewaffnete Miliz, agierte faktisch unabhängig von der Behördenorganisation, führende Positionen gingen an die „Revolutionären Obleute“ – eine Gruppe von Radikalen ohne Parteibindung – und es entstand eine aggressive Konkurrenz zur „Republikanischen Soldatenwehr“, die die Mehrheitssozialdemokraten organisiert hatten. Die Reichsregierung warf Eichhorn außerdem vor, während der „Blutweihnacht“ trotz der massiven Bedrohung des Kabinetts Ebert untätig geblieben zu sein. Eichhorn reagierte damit, daß er sich auf den Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräte als oberste Autorität berief, dem es allein zustehen sollte, ihn aus seinem Amt zu entfernen. 

Tatsächlich fällte das Gremium zügig eine entsprechende Entscheidung, aber da hatte sich die Entwicklung bereits in fataler Weise zugespitzt. Denn am 4. Januar war das Zentralkomitee der Berliner USPD mit den Revolutionären Obleuten zusammengekommen, um für den nächsten Tag eine Demonstration gegen die Absetzung Eichhorns vorzubereiten. Der Aufruf wurde von der KPD unterstützt. Am 5. Januar versammelte sich eine unerwartet große Zahl von Menschen auf den Straßen der Stadt – die Rede ist von mehreren zehntausend Personen – und protestierte nicht nur gegen die Entlassung des Polizeipräsidenten, sondern auch gegen die „reaktionäre Regierung“ der Mehrheitssozialdemokraten Ebert und Scheidemann. 

Vor allem eine Ansprache des KP-Führers Karl Liebknecht heizte die Stimmung an. Denn Liebknecht ging es nicht um die Causa Eichhorn, er forderte, die Revolution weiterzutreiben und gewaltsam gegen den Rat der Volksbeauftragten vorzugehen. Gegen Abend besetzte man das Polizeipräsidium am Alexanderplatz. Eichhorn, der USPD-Politiker Georg Ledebour und Liebknecht sprachen noch einmal zur Menge, die sich aber allmählich zerstreute. In der Folge kamen Vertreter der KPD, der Revolutionären Obleute und der Berliner USPD zusammen und faßten den Entschluß, bei den bisherigen Schritten nicht stehenzubleiben. Dafür, daß ein Vorstoß zum Sturz der Regierung Erfolg haben könnte, sprach ihrer Meinung nach die erregte Stimmung der Arbeiterschaft, die man als Revolutionsbereitschaft deutete, die große Zahl spontaner Besetzungen von Zeitungsverlagen – darunter das Gebäude des sozialdemokratischen Vorwärts – durch Bewaffnete und die Zusicherung Heinrich Dorrenbachs, eines Führers der „Volksmarinedivision“, daß deren etwa 1.800 „rote Matrosen“ für den Kampf gegen die Regierung bereitstünden.

Also bildete man ein „Revolutionskomitee“ aus 53 Männern, dessen Vorsitz Liebknecht, Ledebour und Peter Scholze als Repräsentant der Revolutionären Obleute übernahmen. Geplant war, daß dieses Gremium an Stelle des Rates der Volksbeauftragten die vollziehende Gewalt übernehmen sollte. Für den nächsten Tag rief man die Arbeiterschaft zum Generalstreik auf. Allerdings zeigte sich rasch, daß hinter diesen Maßnahmen kein echtes Konzept stand. Kennzeichend für alles, was das Revolutionskomitee jetzt und später tat, war eine „unglaubliche Inkompetenz“ (Eric Waldman). Als Desaster erwies sich schon die Übersiedlung in den Kaiserlichen Marstall, der von der Volksmarinedivision besetzt worden war, die aber keine Anstalten machte, die Zusage Dorrenbachs einzuhalten.

Minister Noske stellte sich Revolutionären entgegen

Trotzdem schien die Situation der Regierung prekär. Faktisch hatte sie keinerlei militärischen Schutz und sah sich gezwungen, direkt an ihre Anhängerschaft zu appellieren. Daraufhin strömten zahlreiche Arbeiter, darunter viele Frauen, vor der Reichskanzlei zusammen und forderten Waffen, um ihre Regierung zu verteidigen. Allein auf diese lebende Mauer wollte sich das Kabinett nicht verlassen. Der Vorschlag des preußischen Kriegsministers Walter Reinhardt, mit Hilfe eines Freiwilligenverbandes, der Garde-Kavallerie-Schützen-Division, gegen den Aufstand vorzugehen, wurde akzeptiert. Allerdings wurde die Übernahme des Kommandos durch einen Militär abgelehnt, da man fürchtete, daß das selbst für die Gemäßigten unter den Arbeitern das falsche Signal sein konnte. Gustav Noske, der damalige Volksbeauftragte für Heer und Marine, schilderte die Situation in seinen Erinnerungen so: „Ich forderte, daß ein Entschluß gefaßt werde. Darauf sagte jemand: ‘Dann mach du doch die Sache’. Worauf ich kurz-entschlossen erwiderte: ‘Meinetwegen. Einer muß der Bluthund werden, ich scheue die Verantwortung nicht.’“

Im Grunde war damit die Entscheidung über den weiteren Gang der Dinge gefallen. Alle Vermittlungsversuche, die noch unternommen wurden, schlugen fehl. Am 8. Januar, als sich deutlich abzeichnete, daß die Regierung den Aufstand militärisch niederschlagen werde, veröffentlichte das Revolutionskomitee noch eine „Kriegserklärung“, in deren Zentrum der Appell an die Arbeiterschaft stand: „Zeigt diesen Schurken Eure Macht! Ergreift die Waffen! Setzt diese Waffen ein gegen Eure Todfeinde Ebert und Scheidemann! Vorwärts im Kampf!“ 

Die Antwort der Regierung war unmißverständlich. Ein von ihr in Umlauf gebrachtes Flugblatt begann mit dem Satz „Spartakus kämpft jetzt um die ganze Macht!“ und endete mit dem Satz „Die Stunde der Abrechnung naht!“ Im Laufe des Tages stürmten Truppen der Berliner Garnison mehrere besetzte Gebäude, in der Nacht vom 10. auf den 11. Januar griff das in Potsdam stationierte Regiment das Verlagshaus des Vorwärts an und zwang die 300 Verteidiger nach Artilleriebeschuß zur Kapitulation. Am Morgen rückte Noske an der Spitze der loyalen Truppen in Berlin ein, und das Armeekorps Lüttwitz begann mit der Säuberung des Stadtgebietes von letzten Widerstandsnestern. Das Eingeständnis des Fiaskos kam auf denkbar klägliche Weise: Am 13. Januar forderten die Revolutionären Obleute und die Berliner USPD ihre Anhänger auf, wieder an die Arbeitsplätze zurückzukehren.

Wie viele Opfer der Januar-Aufstand gefordert hat, ist unklar. Die höchste Schätzung liegt bei eintausend Toten, die niedrigste bei etwa 150, offizielle amtliche Quellen führen 200 an. Strittig ist auch die Frage der Verantwortung. Die Bezeichnung als „Spartakus-Aufstand“ entsprach der Behauptung der Regierung, daß faktisch die Kommunistische Partei der Drahtzieher der Ereignisse gewesen sei. Dafür sprach nicht nur die führende Beteiligung Liebknechts, sondern auch die ausdrückliche Solidarität der KP-Führung mit den Aufständischen. 

Allerdings war nicht nur die Zurückhaltung Rosa Luxemburgs, sondern auch die Sowjetrußlands auffällig. Karl Radek als dessen Vertreter in Deutschland hatte von Anfang an gewarnt, daß die Stellung der Kommunisten zu schwach sei und die fehlende Vorbereitung zu einer Niederlage führen werde. Bestenfalls könne man erwarten, daß eine Art „Berliner Commune“ entstehe, isoliert innerhalb des Reichsgebiets, das der Gegenrevolution jede Menge Reserven bot. Auch Rosa Luxemburg sah die Defizite zu deutlich, um sich Illusionen über die Erfolgsaussichten hinzugeben. 

In zwei Artikeln der Tageszeitung Die Rote Fahne, die am 7. und am 8. Januar 1919 erschienen, rechtfertigte sie zwar die neue Bewegung als Etappe der gesetzmäßigen revolutionären Entwicklung, aber der Vorbehalt blieb deutlich spürbar. Immerhin betonte sie, daß man nun jene Selbsttätigkeit der Massen beobachten könne, schrieb sie, die zu den Kennzeichen der sozialistischen Revolution gehöre: „Die Proletarier sind durch die Schule der letzten Wochen, der jüngsten Ereignisse politisch enorm gewachsen. Sie sind sich ihrer Macht bewußt geworden, und nichts fehlt ihnen, als von dieser Macht Gebrauch zu machen.“ Allerdings bedürfe es zu diesem Schritt der entschlossenen Führung, und die könnten weder die „pflaumenweichen Elemente“ in der USPD noch die Revolutionären Obleute bieten, die gar nicht begriffen, worum es eigentlich gehe: „Die Frage, wie man den Kampf um die Wegräumung der Ebertschen Regierung führt, wie man die bereits erreichte Stufe der inneren Reife der Revolution in Taten und Machtverhältnisse umsetzt. Nichts hat diese Schwächen und Mängel so kraß aufgezeigt wie die letzten drei Tage.“

Eberts „Gegenrevolution“ wurde zum linken Mythos

Nach der Niederschlagung des Januaraufstands vollzog Rosa Luxemburg allerdings eine bemerkenswerte Kehrtwende bezüglich der Deutung der Ereignisse, insofern als sie jetzt der Verschwörungstheorie Vorschub leistete, die seither die linke Sicht der Dinge bestimmt: das Proletariat habe nicht nur auf eine Provokation der Regierung Ebert reagiert, sondern auch deren gegenrevolutionäre Machenschaften durchkreuzt: „Die revolutionäre Arbeiterschaft war gezwungen, zu den Waffen zu greifen. Ja, es war Ehrensache der Revolution, sofort den Angriff mit aller Energie abzuschlagen.“ Diese Rechtfertigung, man habe lediglich Gewalt mit Gegengewalt beantwortet, war fadenscheinig. Denn in vielen Städten, darunter Braunschweig, Dortmund, Düsseldorf, Nürnberg, Hamburg und Wolfenbüttel, brachen Aufstandsbewegungen aus. In Bremen wurde eine Sowjetrepublik proklamiert, an der Ruhr ein weiterer Generalstreik ausgerufen. Alle diese Erhebungen endeten in mehr oder weniger blutigen Auseinandersetzungen. Zu deren Opfern gehörten auch Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.

Ihr Tod wird regelmäßig gegenüber den Ereignissen isoliert. Das hat auch mit der Absicht zu tun, die eigentliche Ursache des gewaltsamen Konflikts zwischen gemäßigter und radikaler Linker zu verschleiern: Während die Mehrheitssozialdemokraten angesichts der dauernden Bedrohung durch die Siegermächte entschlossen waren, die innere Ordnung aufrechtzuerhalten und die Reichseinheit zu verteidigen, folgten Teile der USPD zusammen mit der KPD einer bornierten Weltanschauung, die es zu erlauben schien, von allen Bedingungen politischer Existenz abzusehen und den totalen Umsturz herbeizuführen. 

Eine Annahme, die fatale Konsequenzen haben sollte. Nicht zuletzt für Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Unter dem Eindruck der Nachricht vom Tod der beiden KP-Führer sagte Philipp Scheidemann: „Sie haben Tag für Tag das Volk zu den Waffen gerufen und zum gewaltsamen Sturz der Regierung aufgefordert. Sie sind nun selbst Opfer ihrer eigenen blutigen Terrortaktik geworden.“