© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/19 / 04. Januar 2019

Den Augiasstall ausmisten
BND in den Sechzigern: Ein Dienst in der Krise
Jürgen W. Schmidt

Im Studienband 8 der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des BND untersucht der Kölner Emeritus Jost Dülffer aufgrund erstmals einsehbarer Geheimdokumente aus dem BND-Archiv die akut gewordenen Krisensymptome innerhalb des Geheimdienstes in den sechziger Jahren. 

Der Leiter der Gegenspionage des BND, Heinz Felfe, ein früherer SD-Offizier des Reichssicherheitshauptamtes, wurde Ende 1961 als Sowjetspion enttarnt. BND-Chef Reinhard Gehlen entging im Gefolge der Spiegel-Affäre 1962 gerade einmal so der ihm drohenden Verhaftung, nachdem Bundeskanzler Konrad Adenauer ihn fälschlich verdächtigt hatte, seine Politik mittels des Spiegel zu konterkarieren. 

Im BND bekämpften sich unterdessen die Mitarbeiter in internen Rankünen sowie in Durchstechereien an politische Parteien und die Presse gegenseitig. Das Betriebsklima war mehr als eisig. Am 8. Oktober 1968 beging schließlich der BND-Vizepräsident Horst Wendland depressionsbedingt in seinem Pullacher Dienstzimmer Selbstmord. Reinhard Gehlen schien dies alles jedoch wenig zu bewegen, denn er kämpfte nur noch um seinen Nachruhm. 

Gehlen bemühte sich deshalb über die Schaffung von BND-Tarnorganisationen und durch sogenannte „Pressesonderverbindungen“, darunter auch Marion Gräfin Dönhoff von der Zeit, ein rosarotes Bild vom BND und dessen angeblichen, weltweiten Erfolgen zu malen sowie über die drohende kommunistische Gefahr aus dem Osten aufzuklären. Eingeleitete Reformversuche griffen zu Mitte der sechziger Jahre kaum. 

Obwohl pro forma dem Kanzleramt unterstellt, verweigerte sich Gehlen mitsamt dem BND eben dieser Kontrolle hartnäckig und geschickt. Ebenso gelang es dem nunmehr eingerichteten Parlamentarischen Vertrauensmännergremium des Bundestages noch nicht, den BND der heutzutage üblichen parlamentarischen Kontrolle unterzuordnen. Erst nach Gehlens pensionsbedingtem Abtritt gelang es unter dem neuen Chef Gerhard Wessel, den von Dülffer so bezeichneten „Augiasstall“ im BND schrittweise auszumisten. Doch der „neue“ BND nach dem Wendejahr 1968 ist schon nicht mehr Inhalt von Jost Dülffers detaillierter Studie.

Jost Dülffer: Geheimdienst in der Krise. Der BND in den 1960er Jahren. Ch. Links Verlag, Berlin 2018, gebunden, 672 Seiten, Abbildungen, 50 Euro