© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/19 / 11. Januar 2019

Dexit oder Reform
Parteitag: In Riesa will die AfD ihr Europawahlprogramm konkretisieren / Wahl von weiteren Listenbewerbern
Jörg Kürschner

Knapp sechs Jahre nach ihrer Gründung als eurokritische Partei will die AfD auf einem Parteitag im sächsischen Riesa das Programm für die Europawahl beschließen und weitere Kandidaten für die Abstimmung am 26. Mai nominieren. Zu Beginn eines für die AfD wichtigen Wahljahres wird die Entscheidung über den Leitantrag der Programmkommission mit Spannung erwartet. Darin wird ein Austritt Deutschlands aus der EU ab 2024 für den Fall avisiert, daß die Staatengemeinschaft nicht nach den Vorstellungen der AfD reformiert werden kann. 

Für Parteichef Jörg Meuthen geht es ab Freitag in der Sachsenarena auch um seine Autorität, war er doch auf dem Magdeburger Parteitag im November zum Spitzenkandidaten gewählt worden. „Die derzeitige Formulierung im Leitantrag könnte ich nur sehr schwer vertreten“, warnte er wenige Tage vor Beginn des Treffens.  „Sollten sich unsere grundlegenden Reformansätze im bestehenden System der EU nicht innerhalb einer Legislaturperiode verwirklichen lassen, halten wir einen Austritt Deutschlands oder eine geordnete Auflösung der Europäischen Union und die Gründung einer neuen europäischen Wirtschafts- und Interessengemeinschaft für notwendig“, heißt es in dem 58 Seiten starken Antrag. Stichwort Dexit. „Ich halte diese Formulierung für zu rigoros. Wir müssen unseren Reformkonzepten mehr Zeit geben“, argumentiert Meuthen, der mit aller Kraft für eine Aufhebung der Fünf-Jahres-Frist kämpfen will. Zuversichtlich stimmt das Mitglied des Europäischen Parlaments (EP), daß die Befürworter eines raschen EU-Austritts in Magdeburg in der Minderheit geblieben seien.  

Diese können sich auf eine Umfrage unter den rund 32.000 Mitgliedern berufen, an der sich im vergangenen Herbst knapp 20 Prozent beteiligt hatten. Davon erklärten mehr als 80 Prozent, daß für sie „der Austritt aus der EU eine Option“ sei und „als letzte Option in das Wahlprogramm als prägnanter Ausdruck aufgenommen werden“ sollte. Harald Weyel, Obmann der AfD im Bundestagsausschuß für EU-Angelegenheiten, hält die Fünf-Jahres-Frist aus Gründen der Verhandlungspsychologie für sinnvoll, „unabhängig von der juristischen Erzwingbarkeit“. 

In seiner Position weiß er sich der Unterstützung der Europa-Politiker seiner Fraktion sicher. Dem Professor für Betriebswirtschaft an der Fachhochschule Köln geht es um „Substanzreformen“, etwa eine Abschaffung der Landwirtschaftssubventionen, wie er gegenüber der JUNGEN FREIHEIT betonte. Ein Dorn im Auge ist dem Parlamentarier auch die EU-Industriepolitik, die etwa Frankreich und Italien als Hersteller von Kleinwagen gegenüber Deutschland begünstige, das eher Autos der Oberklasse produziere. Weyel befürwortet die im Leitantrag geforderte Wiedereinführung der D-Mark „unter ggf. paralleler Beibehaltung des Euro“ sowie die Umwandlung des EU-Parlaments mit den seit 1979 gewählten Abgeordneten in eine Versammlung von maximal 100 Delegierten, nominiert von den nationalen Parlamenten. 

Auch Lars Patrick Berg, der es in Magdeburg auf Platz vier der Wahlliste geschafft hatte, lehnt die Fünf-Jahres-Frist für einen Dexit nicht grundsätzlich ab. „Nur wer andere Wege am Horizont aufzeigt, kann einen fehlerhaften Kurs korrigieren. Der Horizont ist dabei in Parlamenten meist die anstehende Legislaturperiode“, betonte der Landtagsabgeordnete aus Baden-Württemberg auf Anfrage der JF. Nicht nur die Eurokrise habe gezeigt, daß die derzeitige Kompetenzverteilung zwischen EU und Nationalstaaten nicht zukunftsfähig sei. „Oberstes Prinzip muß sein, nur solche Entscheidungen bei der EU anzusiedeln, bei denen auf nationaler Ebene keine funktionsfähigen Ergebnisse erzielt werden können“, meinte er gegenüber der jungen freiheit.

Störungen linksradikaler „Aktivisten“ erwartet

Prognosen über den Ausgang der Dexit-Abstimmung bis 2024 sind schwierig, hängen wesentlich davon ab, ob Meuthen mit seinem Änderungsantrag ausreichend Befürworter eines späteren Austritts mobilisieren kann. In Sachen EP dürfte es bei der Forderung des Leitantrages bleiben, die Abgeordneten durch Delegierte zu ersetzen. In Sachen D-Mark-Wiedereinführung könnte der Parteitag sogar für eine Verschärfung sorgen. In einem Änderungsantrag heißt es: „Die Worte ‘unter ggf. paralleler Beibehaltung des Euro’ werden gestrichen. Begründung: Vorbeugen des Mißverständnisses, daß der Euro bestehen bleibt, da er in seiner derzeitigen Gestaltung abgeschafft werden muß“. Neben originären EU-Themen wollen sich die Delegierten auch mit Problemen beschäftigen, etwa in der Familienpolitik, die nicht in die Zuständigkeit des EP fallen. Da die EU auch über Umwege versuche, Einfluß zu gewinnen, sei es wichtig, Themen zu erörtern, die nur indirekt einen EU-Bezug hätten, rechtfertigte Berg den umfangreichen Leitantrag der Programmkommission.

Neben der Verabschiedung des Wahlprogramms muß der Parteitag auch „nachsitzen“, eben die Kandidatenliste komplettieren. In Magdeburg konnte die AfD trotz der angesetzten vier Wahltage nur 13 von 40 geplanten Bewerbern nominieren. Das langwierige Verfahren lag auch daran, daß den Kandidaten zehn Minuten für ihre Vorstellung eingeräumt wurden. Der Parteitag in Riesa ist bis einschließlich Montag terminiert, massive Störungen durch linksradikale „Aktivisten“ eingeschlossen. Nach dem Sprengstoffanschlag auf ein AfD-Büro in Döbeln und der Gewaltattacke auf Bremens Landeschef Frank Magnitz (siehe Seite 4) hat der sächsische Verfassungsschutz vor Angriffen auf Parteitagsteilnehmer gewarnt.