© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/19 / 11. Januar 2019

Gut vernetzt und abgesichert
Fethullah Gülen: Trotz kritischer Stimmen agiert Erdogans Erbfeind in seinem US-Exil weitgehend unbehelligt
Marc Zoellner

Viele Attraktionen bietet Saylorsburg seinen Gästen nicht: Gerade einmal zwei Kirchen der Methodisten- und Baptistengemeinde prägen das Stadtbild der lose durch ein Straßennetz verbundenen Einfamilienhäuser; hinzu kommt noch ein Tempel für die wenigen gläubigen Hindus vor Ort. Tiefe Wälder und üppige Felder beherrschen den Großteil der nur rund tausend Einwohner zählenden Siedlung in Pennsylvania. Wochenends findet regelmäßig ein gut besuchter Flohmarkt statt. Wenige Querstraßen weiter nördlich lädt ein Maislabyrinth Kinder auf Entdeckungsreise ein. Und selbst die Schießereien finden stets an gleicher Adresse statt – an der 1857 Mount Eaton Road, wo versteckt hinter dicht wachsenden Bäumen und Hecken die prächtige Villa des türkischen Exilanten Fethullah Gülen liegt.

Ankara sieht US-Politik von Gülen unterwandert

Ende Oktober hatten Unbekannte zuletzt versucht, auf dieses Gelände vorzudringen. Zäune und Mauern sind in diesem Teil Saylorsburgs, um Wildtieren freien Naturraum zu bieten, nicht gestattet. Ein zum Schutz des Areals angeheuerter privater Sicherheitsdienst, ausgestattet mit Handfeuerwaffen, mußte die ungebetenen Gäste, die unerkannt entkamen, gewaltsam vertreiben. Nicht zum ersten und sicher auch nicht zum letzten Mal – immerhin gehört Fethullah Gülen zu den am meisten gesuchten Personen in der Türkei. Die türkische Staatsanwaltschaft lastet dem Sektenführer die Planung und Ausführung des gescheiterten Putsches vom Juli 2016 an. Ein Auslieferungsantrag der Türkei ist seit über zwei Jahren kritischer Streitpunkt zwischen den Regierungen Ankaras und Washingtons.

Über Jahre durfte Gülen, der 1999 aus der Türkei in die Vereinigten Staaten floh, um einer drohenden Verhaftung zuvorzukommen, ein relativ ruhiges, von der US-Regierung unbehelligtes Leben genießen. 

Und er war dabei nicht untätig geblieben: Weltweit in über 120 Ländern aktiv, gründete die Hizmet-Bewegung, so die Selbstbezeichnung vieler der Anhänger Gülens, allein in den vergangenen drei Jahrzehnten ein mittlerweile 170 Einrichtungen umfassendes sowie 26 Bundesstaaten umspannendes Netzwerk an Schulen quer durch die USA – undurchschaubar organisiert, intransparent finanziert und doch, wie Kritiker Gülens behaupten, mit deutlicher Zielsetzung.

„Die Hizmet-Bewegung hat bereits die amerikanische Gesandtschaft in der Türkei infiltriert“, warnte der türkische Außenminister Mevlüt Çavusoglu im Dezember 2017. „Sie haben die amerikanische Justiz und den Kongreß unterwandert und sämtliche andere Institutionen, ob nun legal oder illegal.“ 

Çavusoglus Beschuldigungen sind nicht leichtfertig von der Hand zu weisen. Tatsächlich stieß die auflagenstarke Tageszeitung USA Today bereits im Oktober 2015 auf finanzielle Auffälligkeiten, die auf enge Anbindungsversuche der Gülen-Bewegung an Dutzende US-Abgeordnete beider großer Parteien, der Demokraten wie der Republikaner, hinwiesen. Hizmet, berichteten die Journalisten Paul Singer und Paulina Firozi, hat „seit 2008 insgeheim für mehr als 200 Reisen von Kongreßmitgliedern und ihren Angestellten in die Türkei bezahlt und dabei offenbar wiederholt die Regeln des Hauses und möglicherweise auch Bundesgesetze verletzt“. Über 700.000 Euro, ergaben ihre Recherchen, seien dabei über oftmals zwielichtige Kanäle geflossen – nicht mit eingerechnet zahllose belegfreie Inlandsreisen sowie persönliche Zuwendungen an diverse Politiker. „Diese Reisen hatten stets die gleichen Programmabläufe“, schreiben Singer und Firozi. „Mit Besuchen der gleichen historischen Stätten sowie Treffen mit gülenistischen Journalisten, Rechtsanwälten und Handelsverbänden.“

Angelpunkt sämtlicher Kritik sind die sogenannten Charterschulen: Privat geführte, vom Staat jedoch aus der Steuerkasse finanzierte Bildungseinrichtungen, die mit 70.000 Schülern und einer jährlichen Bezuschussung von 258 Millionen US-Dollar – allein in Texas – das lukrative Fundament der Gülen-Bewegung in den Vereinigten Staaten bilden. Zusammengeschlossen sind diese Schulen in Dutzenden Dachorganisationen, die wiederum selbst anderen Organisationen unterstehen.

Import türkischer Lehrer erzürnt Gewerkschafter

Dieses Modell bietet den Gülenisten in den USA zwei positive Effekte: Sollte eine der Schulen in das Visier der Behörden geraten – so wie in Chicago, wo das FBI im Sommer 2014 aufgrund des Verdachts des Steuerbetrugs gegen die hiesige Hizmet-Lehranstalt ermittelte – bleiben alle anderen Einrichtungen unbehelligt. Überdies erschwert das verwirrende Modell der US-Steuerbehörde IRS, die finanziellen Transaktionen der Hizmet-Bewegung zu überblicken.

Wie beim „Pacifica Institute“ (PI), einem der kalifornischen Hizmet-Verbände, das in den vergangenen Jahren regelmäßig in Untersuchungsberichten auftauchte: Als Sponsor einer 5.000 Euro teuren Reise des kalifornischen Kongreßabgeordneten Mike Honda in die Türkei, bei welcher sich PI zum gemeinnützigen Verein erklärte. Bei der IRS, ergaben Recherchen privater US-Aufsichtsverbände, war PI jedoch zu keiner Zeit als gemeinnützig eingetragen. Zwei Jahre zuvor durfte Hondas Amtskollege Bob Filner gleich zweimal verreisen. „In einem Formular“, berichtet USA Today, „behauptete PI, ein Tochterunternehmen der Gruppe Global Cultural Connections zu sein. In einem anderen Stapel Formulare erklärte sich PI als Teil des West America Turkic Council.“ 

Der US-Botschaft in Ankara wiederum ist PI seit 2008 als Schwesterorganisation der „Bosphorus-Atlantic Association of Cultural Cooperation and Friendship“ (BAKIAD) bekannt, eines in der Türkei ansässigen Kulturverbands. Von dort wiederum stammen die meisten der Lehrkräfte in den Hizmet-Einrichtungen der USA. „Im Jahr 2009 erhielten die zu Gülen gehörigen Schulen 684 Arbeitsvisa genehmigt“, schreibt die Washingtoner Zeitung The Hill. „Zum Vergleich wurden Google Inc. im selben Jahr lediglich 449 Visa ausgestellt.“ 

Ihren Transfer türkischer Lehrkräfte in die Vereinigten Staaten ließ sich die Hizmet-Bewegung die vergangenen Jahre gut 26 Millionen US-Dollar an Steuergeldern kosten – und brachte dadurch mit ebensolcher Regelmäßigkeit US-Arbeitnehmerverbände gegen sich auf. „Das Vorhandensein von Charterschulleitungen, die von kürzlich angekommenen türkischen Männern dominiert werden, ist beispiellos in unserer Geschichte und kann nur als öffentliche Verschwörung beschrieben werden“, mahnt der prominente Gewerkschaftsführer Gene Bruskin. „Die Verwaltung unserer Bildungsstätten innerhalb der Grenzen unserer Gesetze sowie die Tradition der Trennung von Kirche und Staat werden vom Charterschulmodell der Gülenisten ernsthaft herausgefordert.“

„Der Mißbrauch von Steuergeldern summiert sich auf mindestens 243 Millionen US-Dollar“, rechnet auch Robert Amsterdam, Autor des 2017 erschienenen Buchs „Empire of Deceit“ („Reich der Täuschung“) über die Gülen-Bewegung, in einer E-Mail an den USKongreß vor. Doch den rasanten Ausbau des Gülen-Netzwerks dürfte selbst diese Ermittlung weder ausbremsen, noch den im Exil lebenden Gülen, dessen Privatvermögen auf rund 25 Milliarden Euro geschätzt wird, persönlich treffen. „Es existiert kein einziges Dokument mit Gülens Unterschrift darauf, welches eine Charterschule in Kalifornien oder Texas oder Ohio oder sonstwo gründet“, bestätigt der texanische Filmemacher Mark Hall, dessen kritische Dokumentationen sich vorrangig mit der Hizmet-Bewegung beschäftigen. Gülens Schicksal werde sich von daher nicht vor einem USGericht entscheiden, sondern einzig auf dem Parkett bilateraler Diplomatie.