© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/19 / 11. Januar 2019

„Gefahr für die freien Völker“
Furcht vor Pekings „Ein-China-Politik“: Hongkong und vor allem Taiwan rufen die Weltgemeinschaft um Hilfe
Christian Junkaris

Ein Meer aus blauen Flaggen wehte über den Straßen, soweit das Auge reichte: Erneut waren auch an diesem 1. Januar Tausende Hongkonger Bürger in den Central District der chinesischen Millionenmetropole gepilgert, um beim traditionellen Neujahrsmarsch des „Democracy Camp“, der Demokratiebewegung ihrer Stadt, für freie Wahlen, die Achtung der Meinungsfreiheit und der Bürgerrechte zu demonstrieren. Erneut brachten unzählige Hongkonger ihre gelben Regenschirme mit zum Protest; in Erinnerung an die Unruhen von August 2014, als Hongkonger Demonstranten der Zentralregierung in Peking die Stirn boten (JF 52/14). Neu war nun, daß Hunderte blaue Schildchen mit einer schlichten Botschaft auftauchten: „Hong Kong Independence! – Unabhängigkeit für Hongkong!“

China droht mit „Anwendung von Gewalt“

„China ist eine Gefahr für die freien Völker dieser Welt“, mahnte Chan Ho-tin, Gründer der 2016 etablierten separatistischen „Hong Kong National Party“ (HKNP) im vergangenen August in einer vielbeachteten Rede. „Immer wieder hat unsere Regierung bewiesen, daß ihre Behauptung, sie hielt ‘Freiheit’ und ‘Demokratie’ aufrecht, nichts als kommunistische Illusionen sind.“ Er sollte recht behalten: Nur einen Tag nach Chans Ansprache verbot die pro-chinesische Stadtverwaltung unter Führung von Pekings Wunschregentin Carrie Lam die HKNP.

Es sind Zustände, vor denen sich nicht nur die Bürger Hongkongs fürchten: Auch in Taiwan wächst die Sorge vor dem Herrschaftsanspruch Pekings über die seit 1949 de facto unabhängige Inselrepublik. Im Rahmen seiner in den 1970er Jahren konzipierten „Ein-China- Politik“ betrachtet Peking sich nicht nur als alleinigen Vertreter chinesischer Interessen, sondern ebenso den Staat Taiwan als Bestandteil der Volksrepublik China. Offiziell hatte Taiwan sich nie für souverän erklärt; nicht nur, um eine militärische Konfrontation mit dem hochgerüsteten Festlandchina zu vermeiden. Denn auch Taipeh verfolgt seine eigene „Ein-China-Politik“ – und sieht sich als einzig rechtmäßige Regierung der seit 1912 bestehenden „Republik China“, die territorial derzeit jedoch allein auf Taiwan sowie einige umliegende Inseln beschränkt sei. In Hongkong verständigten sich beide Seiten damals auf den sogenannten „Konsens von 1992“, die gegenseitige Anerkennung des jeweils anderen Standpunktes, die zum Fundament künftiger bilateraler Beziehungen beider Chinas zueinander erwuchs.

Doch just am 2. Januar dieses Jahres, nur einen Tag nach den Neujahrsdemonstrationen von Hongkong, kündigte Peking den brüchigen Burgfrieden mit Taipeh auf. „China ist vorherbestimmt, sich wiederzuvereinigen“, erklärte Pekings Staatspräsident Xi Jinping zum Jahreswechsel in einer martialischen Rede vor Vertretern der Kommunistischen Partei in der „Großen Halle des Volkes“. „Wir werden nicht versprechen, auf Anwendung von Gewalt zu verzichten. Die Unabhängigkeit Taiwans ist ein schädlicher Verlauf der Geschichte und eine Sackgasse.“

Worte, die in Taipeh die Alarmglocken schrillen ließen – und ebenso in den Vereinigten Staaten. Ende Oktober erst hatte US-Verteidigungsminister James Mattis seinen geplanten Arbeitsbesuch in Peking annulliert. Der Absage vorausgegangen war ein Zwischenfall im Südchinesischen Meer, als ein chinesisches Kriegsschiff unweit der von China beanspruchten Spratley-Inseln versuchte, einen US-amerikanischen Kreuzer zu rammen. Ein Einzelfall in einer ganzen Reihe geplanter Provokationen Pekings, um Washingtons Handlungsspielraum auszuloten: „China sollte mehr maritime Gefechtsübungen mit echter Munition durchführen, insbesondere um Flugzeugträger versenken zu können“, führte am 3. Januar die Global Times, das englischsprachige Propagandablatt der KP China, das Säbelrasseln fort. „Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung, damit könne Washington unglücklich gemacht werden. Denn der ganze Sinn dieser Übungen besteht darin, sie ernsthaft besorgt zu machen.“

„Ein Land, zwei Systeme“ ist ein „leeres Versprechen“

Angesichts der militärischen Drohgebärden der Volksrepublik seinem Nachbarn gegenüber hat Taiwan mittlerweile um internationalen Beistand gebeten. „Wir hoffen, daß die Weltgemeinschaft diese Bedrohung ernst nimmt und uns hilft“, erklärte Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen am Sonntag. „Denn falls sich die internationale Gemeinschaft nicht für uns ausspricht, während wir einer solchen Situation gegenüberstehen, müssen wir uns fragen, welches Land das nächste sein wird.“

In Taiwan selbst, ergaben jüngste Umfragen der „Cross-Strait Policy Association“ immerhin, stünde gerade einmal jeder fünfte Befragte einer Wiedervereinigung mit dem Festland positiv gegenüber – und kaum über sieben Prozent glauben, daß Taiwan bereits jetzt Bestandteil der Volksrepublik China sei.

Mit Blick auf die Vielzahl der gebrochenen Vereinbarungen nach der Übernahme Hongkongs 1997 dürfte in Taiwan selbst das von Peking propagierte Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ kaum mehr Anklang finden. „Auf keinen Fall werden wir Taiwaner unsere Freiheiten und unsere demokratische Lebensart aufgeben“, verkündete Wang Ting-yu, Abgeordneter der Regierungspartei DDP und enger Vertrauter von Präsidentin Tsai, unlängst auf Twitter. „Das ‘Ein Land, zwei Systeme’-Modell hat sich für Hongkong als leeres Versprechen erwiesen. Glaubt die Kommunistische Partei, wir Taiwaner wären einfacher zu belügen?“