© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/19 / 11. Januar 2019

San Francisco ist viel teurer als München
Wohnungsmarkt: Trotz aller Unterschiede haben die beiden Städte mehr gemein als gedacht
Elliot Neaman

München ist die teuerste Großstadt Deutschlands. Mieten von 25 Euro pro Quadratmeter sind gängig. Im Schnitt wurden für eine Mietwohnung in der bayerischen Landeshauptstadt 16,06 Euro pro Quadratmeter und Monat ohne Nebenkosten verlangt – sprich: Eine Wohnung für eine Familie mit zwei Kindern kostete warm anderthalb mal soviel, wie ein Mindestlöhner (etwa 1.250 Euro netto) seit diesem Januar monatlich bekommt. Amerikaner würden sich über solche Mietpreise hingegen freuen – zumindest wenn sie im 4,7 Millionen Einwohner zählenden Großraum San Francisco zu Hause sind. Die Stadt selbst mit 885.000 Einwohnern auf 600 Quadratkilometern (doppelt so groß wie München) und Stadtzentrum auf 121 Quadratkilometern an der Spitze einer Halbinsel kennt eine permanente Wohnungsnot. Gebaut werden kann nur in eine Richtung: nach oben. Dieser offensichtlichen Lösung aber stellen die Einwohner, die bereits ein Zuhause in der Stadt gefunden haben, zahllose Hindernisse in den Weg.

Städtische Mietpreisbremse bringt kaum Entlastung

Die mittlere Angebotsmiete für eine Drei-Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von 100 Quadratmetern beträgt laut offizieller US-Statistik 4.680 Dollar (umgerechnet 4.100 Euro) pro Monat. Der mittlere Verkaufspreis für ein Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von 185 Quadratmetern liegt bei 1,7 Millionen Dollar (1,5 Millionen Euro). Der Case-Shiller-Index zur Preisentwicklung am US-Immobilienmarkt verzeichnet seit 2012 einen Anstieg der Wohnkosten um durchschnittlich elf Prozent pro Jahr. In München waren es weniger als fünf Prozent.

Und in San Francisco wohnen die meisten zur Miete: Eigenheime machen nur 35 Prozent des Wohnbestandes aus. In München wohnen 20 Prozent nicht zur Miete, in Berlin 15 Prozent. Mehr als 60 Prozent der Gebäude – Mehrfamilienhäuser, die vor dem 13. Juni 1979 fertiggestellt wurden – unterliegen im demokratisch regierten San Francisco einer Mietpreisbremse. Vermietete Einfamilienhäuser sind davon ebenso ausgeschlossen wie Eigentumswohnungen. Für diese sowie Wohnungen in neueren Gebäuden gilt, daß Mieten bei Neuvermietung dem aktuellen Marktpreis angepaßt werden und sich dann jeweils entsprechend der Inflationsrate erhöhen. Allerdings sind trotz Mietpreisbremse viele Wohnungen nur für Haushalte erschwinglich, deren Jahreseinkommen mindestens dem regionalen Mittelwert von 75.750 Dollar (66.600 Euro) entspricht. Das Wachstum der Wohnungspreise liegt weit über der Inflationsrate, die seit der Finanzkrise von 2008 zwischen zwei und drei Prozent schwankt.

Auch ein Bauboom, der zum Neubau von 5.000 Mehrfamilienhäusern führte – weit über dem Schnitt von vor 2008 –, reicht nicht aus. Weniger als ein Drittel der neuen Wohnungen sind für Normalverdiener erschwinglich, die Neuzugezogenen sind meist Gutverdiener: 82 Prozent haben Einkommen von über 200 Prozent des regionalen Mittelwerts (189.400 US-Dollar für einen Zwei-Personen-Haushalt).

Geringverdiener hingegen können sich Wohnraum im Stadtbereich nur leisten, wenn sie wie Studenten in Deutschland Wohngemeinschaften bilden. Das erklärt, warum der Anteil von Familien in der Stadt schrumpft und warum in vielen Haushalten mehrere Erwerbstätige ihre Einkommen zusammenlegen, um die Miete zu stemmen. Knapper Wohnraum bedingt höhere Preisen. Diese sollten als Anreiz wirken, der zu mehr Neubauten und damit letztlich zur Normalisierung der Preise führt. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Wohnraum jedoch von anderen Marktgütern: Angebot und Nachfrage werden häufig durch politische Verzerrungen außer Kraft gesetzt. So auch in San Francisco, wo in den 1980er Jahren angesichts der Errichtung zahlreicher Hochhäuser in der Innenstadt Warnungen vor einer „Manhattanisierung“ laut wurden. In München wurde durch den Bürgerentscheid von 2004 verhindert, daß in der Isarmetropole Neubauten höher als die beiden Türme der Frauenkirche (99 Meter) sein dürfen.

Keine Baugenehmigungen für Wolkenkratzer

Daher wurden für die Außenbezirke rigide Vorschriften erlassen: So dürfen neue Gebäude höchstens eine Stunde vor Sonnenuntergang Schatten auf öffentliche Parks oder Plätze werfen. Andere per Volksabstimmung erlassene Regelungen räumen Anwohnern ein Mitspracherecht bei Baugenehmigungen für Hochhäuser ein. Infolgedessen glaubt man sich in vielen Teilen von San Francisco eher in einer Kleinstadt zu befinden als in einer typischen US-Großstadt: Geschäfte liegen auf Erdgeschoßhöhe, und Wohnhäuser haben höchstens drei oder vier Stockwerke.

Die kalifornische Verfassung erlaubt den Bürgern, Maßnahmen zu erlassen, die ihre gegenwärtigen Interessen auf Kosten zukünftiger Generationen schützen – die Bemühungen, Immobilienpreise auf Spitzenniveau zu halten und gleichzeitig Neuzuzügler aus der Stadt auszusperren, veranschaulichen diese Tendenz. Die Stadtverwaltung hat Vorschriften zum Mieterschutz erlassen und neue Grundsteuern erhoben. Der Bau von Hochhäusern ist aber weiterhin nur im Innenstadtbereich zugelassen. Zudem müssen bei jedem Neubauprojekt einige erschwingliche Wohneinheiten für Geringverdiener vorgesehen sein. Im Verbund mit dem Widerstand der Alteingesessenen gegen ein weiteres Wachstum der Stadt führen diese Vorschriften dazu, daß sich zunehmend nur Arbeitnehmer mit sehr hohem Einkommen – allen voran Beschäftigte im Finanz- und Technologiesektor – eine Wohnung in San Francisco leisten können. Die Folge ist – wie in München – ein akuter Mangel an Lehrern, Polizisten, Feuerwehrleuten und Arbeitnehmern im Dienstleistungssektor: vom öffentlichen Nahverkehr bis hin zu Gastronomie und Einzelhandel.

Die einzige Alternative – ein täglicher Massenexodus ins Umland – führt zum Verkehrschaos auf den Straßen, die ohnehin schon notorisch stauanfällig sind. Bemühungen des Bundesstaats Kalifornien, durch Unterfinanzierung des öffentlichen Straßenbaus und Subventionen den ÖPNV zu fördern, waren bislang wenig erfolgreich und haben eher zur Verschlimmerung der Verkehrsprobleme beigetragen. Die Zersiedlung erreicht mittlerweile auch Gebiete, die noch vor kurzem landwirtschaftlich genutzt oder naturbelassen waren.

Wer Wohneigentum in der Stadt oder eine Mietwohnung in einem Gebäude mit Mietpreisbremse ergattert hat, kann sich glücklich schätzen, in einer Stadt zu leben, die nicht zuletzt dank ihrer malerischen Holzhäuser mit Erkerfenstern und farbenfrohen Fassaden Touristen aus aller Welt anzieht. Besucher sind ganz hin und weg vom Anblick der glitzernden Bucht und Golden Gate Bridge, fahren mit den drei Kabelstraßenbahnlinien und bummeln an der Küstenstraße Embarcadero entlang durch das Hafenviertel. Im Bemühen, den alteuropäischen Charme einer fußgängerfreundlichen Stadt mit hoher Lebensqualität zu wahren, laufen die Einwohner indes Gefahr, San Francisco in ein Freilichtmuseum für Touristen zu verwandeln.






Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt europäische Geschichte an der University of San Francisco