© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/19 / 11. Januar 2019

Pankraz,
H. Dorgerloh und das Museum der Räuber

Sehr amüsiert war Pankraz über die Nachricht, daß jetzt Island von Dänemark die Rückgabe („Restitution“) von einigen Urschriften der Edda verlangt, die seit Jahrhunderten in einer Kopenhagener Bibliothek wie ein Augapfel gehütet werden. Die Dokumente, sagen die Isländer, gehörten nach Reykjavík, in die isländische Hauptstadt, sie seien von den Dänen einst ruchlos „geraubt“ worden.

Merkwürdigerweise hatte bisher durch die Zeiten hindurch niemand etwas von dem „Raub“ bemerkt. Erst neuerdings, da die „Rückgabe“ von Kunstwerken und historischen Dokumenten überall zu einem höchst einträglichen Geschäft und zu einem Dauererregungzustand für die mediale Öffentlichkeit geworden ist, besinnen sich nun auch die Wikinger im hohen Norden darauf, daß ja auch sie etwas „zurückzufordern“ haben. Der Vorgang ist ebenso degoutant wie komisch. Aber er liefert immerhin willkommenen Anlaß für einige notwendige Richtigstellungen.

Vor allem wäre wohl ein gutes Wort für die Institution „Museum“ fällig. Museen sind keineswegs durch die Bank protzige Ruhmestempel für siegreiche Eroberer à la Napoleon, die als Symbole ihrer Triumphe den Besiegten geraubte Kunstschätze bei sich zu Hause ausstellen. Eher das Gegenteil ist der Fall. Schon die Etymologie des Wortes weist in ganz andere Richtungen. „Museum“ hieß in der Antike das Heiligtum der Musen, jener Göttinnen also, die völlig unpolitisch waren, denen es einzig um die ästhetische Qualität der Sachen, um ihre Schönheit ging.

Hinzu kam später, auch schon in der Antike und dann im Mittelalter, der Wunsch nach Kuriositätenkabinetten. Dinge, aus der Fremde mitgebracht oder seltene Funde zu Hause, erregten das Gefühl totaler Fremdartigkeit und wurden als solche eifrig vorgezeigt und angestaunt – deshab wurden sie „ausgestellt“. Das „Museum“, wie es sich schließlich im neunzehnten Jahrhundert als fester Begriff herausgebildet hatte, bedeutete eine Mischung aus Musendienst und Kuriositätenkabinett, aus Schönheitsanbetung und Vergnügen an der Entdeckung von Ungewöhnlichem.

Politik spielte dabei, wie gesagt, noch keine Rolle; die meisten der von Napoleon zusammengeraubten und in Paris ausgestellten Kunstschätze, darunter bekanntlich die Quadriga auf dem Brandenburger Tor in Berlin, wurden nach dem Sieg über den Imperator ohne jedes Aufheben zurückgegeben. Auch die damals voll anbrechende Kolonialzeit änderte daran nichts. Die aus den Kolonien stammenden Austellungsstücke, die in den Museen auftauchten, verdankten ihr Schicksal nicht Herrschaftsprotzereien, sondern eindeutig ihrem Exotismus, der „Kuriosität“, von der sie umgeben waren.

Verantwortlich für ihre privilegierte Unterbringung waren nicht Politiker, sondern Schriftsteller, Poeten, Maler, die vom ästhetisch verbrämten Realismus in der Kunst des neunzehnten Jahrhunderts die Nase voll hatten; die endlich zur „Wahrheit hinter dem bloß impressionischen Augenschein“ durchstoßen wollten – zum Expressionismus, zum Surrealismus. Sie hießen Paul Gauguin, Karl Schmitt-Rottluff, André Breton, sie kratzten ihre letzten Heller zusammen, um in Afrika und Ozeanien herumzureisen und jedes exotische Mitbringsel daheim mit einer künstlerischen Gloriole zu versehen.

Eines der berühmtesten Museumswerke des Surrealisten André Breton ist bekanntlich kein Gemälde aus eigener Hand, sondern eine fiktive Wand seines Arbeitszimmers, vor der er Sammelstücke aus der Kunst der damals so genannten Naturvölker aufgebaut hat, Masken, Speere, Schilde, alles im Grunde banale Alltagsgegenstände, doch von Breton eben mit höchstem Geschmack ausgesucht und raffiniert arrangiert, dazu manchmal ein meisterhaft ausgestopfter Ameisenbär, der auf einer Konsole steht und bei den Museumsbesuchern ebenfalls größte Aufmerksamkeit findet.

Wenn heute allenthalben der donnernde Ruf ertönt, westliche Museen sollten endlich die in der Kolonialzeit geraubten Kunstschätze an die Herkunftsländer zurückgeben, so wäre dem zu erwidern: In den allermeisten Fällen gibt es gar nichts zurückzugeben, denn der Wert der Sachen liegt nicht in ihnen selbst, sondern in dem, was die westlichen Arrangeure dazugedichtet haben. Als kürzlich in der Zeit Harmut Dorgerloh, der Intendant des Berliner Humboldt- Forums, mit geradezu inquisitorischer Wucht gefragt wurde, wann denn bei ihm nun endlich die große Zurückgabe beginne, antwortete er verwundert: „Das irritiert mich am allermeisten an der aktuellen Diskussion: daß wir in Europa schon wieder zu wissen glauben, wie es geht und was passieren muß. Erst mal würde ich gerne erfahren: Was sagen denn die Kollegen in Tansania oder in Namibia oder in Ozeanien (…) Kürzlich besuchte uns in Berlin der Präsident eines afrikanischen Landes, dessen Gebiet einst ebenfalls deutsche Kolonie war. Er fand es bedauerlich, daß aus seinem Land so wenig im Humboldt- Forum zu sehen sein wird, und fragte: ‘Was können wir tun, damit wir im Humboldt-Forum präsenter sein werden?’“

Die Verwunderung des Museumsdirektors Dorgerloh und seiner Kollegen ist sympathisch – und gibt wieder einmal Zeugnis davon, wie weit sich der bei uns zur Zeit herrschende medial- politische Komplex inzwischen von der gesellschaftlichen Wirklichkeit entfernt hat. Man weiß dort angeblich alles besser, obwohl man ganz offenbar von nichts mehr eine Ahnung hat. Und man schadet damit nicht nur dem eigenen Volk, sondern auch den außereuropäischen, einstmals kolonisierten Völkern, denen man angeblich helfen will. Diese (genauer: deren Eliten) bekommen mittels der „Restitutionspolitik“ – vielleicht – einige Millarden mehr in ihre (nur allzu oft korrupte) Hand, dafür verstricken sie sich schnell in Überheblichkeiten, die ihnen – mit ziemlicher Sicherheit – nicht gut bekommen werden. Denn die Kolonialzeit brachte ja nicht nur Fremdherrschaft, sondern auch weltverändernden technischen Fortschritt, dem man sich stellen muß (wenn man dergleichen überhaupt will und kann).