© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/19 / 11. Januar 2019

Viel Lärm um alles
Kino: Die finnische Komödie „Heavy Trip“ über laute Musik in der Provinz
Sebastian Hennig

Kaum mehr als zwei Jahrzehnte müssen vergehen, dann ist ein subkulturelles Milieus im Unterhaltungsgeschäft angekommen. Das ist zugleich der Zeitrahmen, in dem die Rebellen zu Familienvätern, Veteranen und Unternehmern geworden sind. Von Halluzinogen besessene Tänzer im Maschinentakt kamen unlängst mit dem Film „Climax“ in die hiesigen Kinos. Die roboterhaften elektronischen Sequenzen des Techno werden von den jungen Städtern geschätzt, während der sich archaisch gebende Heavy Metal die braven Dorfbewohner fesselt. Eine liebenswürdige Filmparodie darauf erreicht nun diese Woche mit „Heavy Trip“ die deutschen Kinos.

Das finnische Dorf Taivalkosk ist die Potenz ländlicher Abgeschiedenheit. Vier Jungs erstreben die Teilhabe an der weiten Welt, indem sie Musikstücke der legendären Vorbilder nachspielen. Im übrigen leben sie ihren völlig normalen Alltag. Der Gitarrist  Lotvonen (Samuli Jaskio) unterstützt den Vater in dessen Rentierschlachthof. Sänger Turo (Johannes Holopainen) arbeitet in einem Pflegeheim. Der langhaarige zarte Junge mit dem femininen Habitus wird von der Dorfjugend verlacht und als „Homo“ angepöbelt. Diese Distanz zum Normalen bedingt aber nicht nur das Leid, sondern auch den Stolz des Quartetts.

Ein Mädchen spielt auch eine Rolle. Miia (Minka Kuustonen) ist die Tochter des Polizisten und arbeitet im Blumenladen. Der ölige Entertainer Jouni (Ville Tiihonen) wirbt um sie und glaubt ihrer Neigung sicher zu sein. Dabei stolpert ihm immer wieder Turo in seine Anbahnungsversuche. Der Schnulzensänger Jouni hält den Spatz der lokalen Prominenz in der Hand, während die Langhaarigen im Probenraum vom großen Ruhm in ihrer Szene träumen, die im Dorf allerdings nur durch sie repräsentiert ist.

Die bekannten Klischees können sie nicht verlassen. Für jeden Versuch, etwas Eigenes zu spielen, kann der kenntnisreichen Bassist Pasi (Max Ovaska) sogleich die unbewußt konsultierten Vorbilder nennen. Immer wieder verfallen sie in die vertrauten Muster. Erst als die Säge klemmt, ist der richtige Ton getroffen. Durch Unaufmerksamkeit hat Lotvonen ein großes Rentier samt Werkzeug im Fleischwolf verkantet. Die vier lauschen andächtig dem grausigen Geräusch der rotierenden Maschine. Rasch wird der infernalische Lärm mit Instrumenten nachgebildet. Sie nennen es „Symphonic-Post-Apocalyptic-Reindeer-Grinding-Christ-Abusing-Extreme-War-Pagan-Fennoscandian-Metal“.

Nun fehlt nur noch ein Name für die Gruppe. Der muß ebenfalls widerwärtige Assoziationen wecken. Die Entscheidung fällt auf „Impaled Rektum“, also rückwärtig gepfählt. Die vier Jungs sind in Wirklichkeit die sanftmütigsten Zeitgenossen, indem sie Aggressivität nur artistisch abreagieren.

Eine vage Möglichkeit wird für die Wirklichkeit gehalten  

Als es märchenhaft zufällig einen norwegischen Musikmanager auf den Hof verschlägt, erhält er die Tonkassette mit dem einen Titel zugesteckt. Die Hoffnung, auf dem berühmten Festival im Nachbarland zu spielen, verdichtet sich in der sehnsüchtigen Phantasie zum Selbstbetrug. Was eine vage Möglichkeit ist, wird immer stärker für eine Wirklichkeit gehalten. Die Ausgestoßenen beginnen damit zu renommieren. Nur Turo weiß um die Fragilität dieser Aussicht, die er als Gewißheit verbreitet. Derweil gewinnen sie an Achtung, werden aufgefordert, im Vorprogramm des Schnulzensängers Jouni im Gasthof des Ortes zu spielen, bevor sie in die weite Welt ziehen.

Die passende Attitüde ist ihnen wichtiger als Klang. Pasi hat sich eine martialische Vermummung für den Charakter des „Xytrax“ gewählt, den er fortan verkörpert. Der Trommler Jynkky (Antti Heikkinen) zündet sich beinahe selbst an bei dem Versuch, seine Sticks zum Leuchten zu bringen. Das Desaster endet mit dem Eingeständnis von Turo, das es eine Einladung nach Norwegen nie gab. Doch das verzweifelte Sehnen der anderen verschließt sich dieser banalen Wahrheit.

Während einer Irrfahrt nach Norwegen ufert die Handlung phantastisch aus. Der tödlich verunglückte Schlagzeuger wird im Sarg mitgeführt und ersetzt von einem pathologischen afrikanischen Gewalttäter, den Turo auf der Isolierstation des Heims mit Metal-Musik aus dem Kopfhörer ruhiggestellt hat. Frei nach dem Motto „Jedem Kind ein Instrument“ wird Oula (Chike Ohanwe) von „Impaled Rektum“ sozialisiert und trommelt nun anstatt zu prügeln. Auf seinem Hemd steht „I bring the Black in the Black Metal“.

Der übermütige Film steckt voller unkorrekter Scherze. Der Grenzübertritt führt zu Verwicklungen mit einer paramilitärischen Miliz zur Landesverteidigung unter dem Kommando eines Flintenweibs. Doch die mischt irrtümlich eine Junggesellenabschieds-Truppe in arabischen Kostümen auf, während die Musiker von einem Wikingerboot aufgenommen werden und auf dem Seeweg zum erstrebten Festival gelangen. Dort werden sie als Berühmtheiten begrüßt. Auch in Liebesdingen geht natürlich alles gut aus, aber zuvor müssen sie spielen, denn es gilt: Erst Metal, dann Mädel.

Die Musik der fiktiven Kapelle Impaled Rektum hat Lauri Porra gemacht. Er ist Bassist in der bekannten finnischen Metal-Gruppe Stratovarius und zugleich auch ein Urenkel von Jean Sibelius. Das finnische Lokalkolorit und die originellen Charakterzeichnungen der Protagonisten tragen wesentlich dazu bei, daß „Heavy Trip“ auch ganz ohne Kenntnis der Besonderheiten dieser Szene als eine kurzweilige Kinokomödie zu genießen ist.

Der Film startet am 10. Januar 2019