© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/19 / 11. Januar 2019

Menetekel Weimar
Gespaltene Gesellschaft: Analogien werden sichtbar
Oliver Busch

Im satten westdeutschen „Es ist erreicht“-Behagen konnte die rein rhetorisch gemeinte Frage, ob der Bonner Demokratie jemals ein Weimarer Schicksal drohe, Abituraufsätzen oder Tutzinger Tagungen überlassen werden. 

In der Berliner Republik hingegen gehen Historiker und Politologen das Thema nicht erst seit dem Gedenkjahr 2018 ernsthafter an. Nicht von ungefähr fand der letzte Deutsche Historikertag unter dem Motto „Gespaltene Gesellschaften“ statt. Wie auf ein Menetekel  richteten sich dort die Blicke auf Weimarer Analogien.

Kein anderer Abschnitt der neueren deutschen Geschichte stehe wie die Weimarer Republik für extreme „soziale Spaltung“, findet auch Elke Seefried (Institut für Zeitgeschichte, Universität Augsburg). Aus ihr sei jene politische Polarisierung erwachsen, die 1932 das parlamentarische System paralysiert und die NS-Diktatur ermöglicht habe (Universitas, 73/2018). Ziehe man unter dem Aspekt der ökonomisch bedingten, durch Hyperinflation (1923) und Weltwirtschaftskrise (1929)  vertieften gesellschaftlichen Zerklüftung den Vergleich mit aktuellen Entwicklungen, scheint für Seefried aber kein Grund zu Beunruhigung über die Stabilität des Status quo zu bestehen. Seien doch die Probleme heute viel weniger drängend, Deutschland prosperiere, gelte als Gewinner der Globalisierung, biete sich deshalb auch für viele Menschen als „bevorzugter Zufluchtsort“ an. Zudem geben zumindest einige Ökonomen wie Clemens Fuest (Ifo-Institut) Entwarnung: Seit 2005 verschärfe sich die Einkommensungleichheit nicht mehr, und die Arbeitslosenzahl liege niedrig bei „nur“ 2,5 Millionen.

Gleichwohl ließen sich nun „gewisse Verbindungslinien zu Weimar nicht mehr übersehen“. Mit dem Einzug der AfD im Herbst 2017 sitzen erstmals seit 1949 sechs Fraktionen und sieben Parteien im Bundestag. Die „Bindungskraft“ der Volksparteien, die einst an die Stelle zahlreicher Weimarer Milieu-Parteien traten, lasse rapide nach. Das gegen die Eliten gerichtete „Freund-Feind-Denken“ begünstige den „Populismus“. Ursachen für diese dramatischen Erosionsprozesse, deren spezifische Gefährlichkeit für das heutige postdemokratische System sich gerade im Kontrast zu Weimar offenbaren würde, erkennt Seefried jedoch nicht. Lieber rätselt sie über eine nebulöse „Ablehnung von Komplexität“, als daß sie etwa mit der Masseninvasion über einen der „spaltenden“ rosa Elefanten im Raum spricht.