© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/19 / 11. Januar 2019

Der Flaneur
Unkorrektes Tütchen
Claus-M. Wolfschlag

Vor Jahren beneidete mich ein türkischstämmiger Kumpel. „Kannst du mir nicht deinen Namen leihen? Ich wünsche mir deutsche Klienten, bekomme aber wegen meines Namens keine. Statt dessen kommt lauter Pack zu mir“, sagte er. Doch die Zeiten haben sich geändert. Er wurde Beamter und hat keinen Streß mehr.

Ich solle doch mal an die Umwelt denken und künftig auf Plastik verzichten.

Ich laufe zum Supermarkt. Vorher werfe ich brav den Müll getrennt in die unterschiedlichen Tonnen. Irgendwer hat wieder Folien ins Altpapier geworfen. Und Plastikschachteln in die Biomülltonne. Türkische Kinder spielen mit Autoreifen, die schon seit Monaten auf der Wiese liegen.

Im Supermarkt kaufe ich Joghurt und Bananen. An der Kasse mustert mich eine jüngere blonde Kundin mit Brille. Dann spricht sie mich an: „Entschuldigen Sie, aber warum haben Sie sich das Plastiktütchen genommen? Sie haben doch einen Stoffbeutel dabei.“ Ich hatte die Bananen in ein kleines Obsttütchen gepackt. Durch das forsche Auftreten gerate ich in den Rechtfertigungsmodus: „Ich lege ungern Ware in meine Beutel. Das könnte mir als versuchter Ladendiebstahl ausgelegt werden“, sage ich. „Das interessiert die Mitarbeiter hier nicht“, weiß die Blonde. „Ich benutze die Obsttütchen auch als Müllbeutel,“ sage ich. „Das ist auch nicht nötig“, antwortet sie. Ich solle mal den Umweltschaden durch solche Tüten bedenken und deshalb künftig darauf verzichten.

Ich stelle mir vor, welche Fragen mir bald blühen: „Warum sind Sie mit dem Auto zum Markt gefahren und nicht mit dem Fahrrad?“ Oder: „Warum haben Sie Schnitzel im Angebot gekauft, statt den Veggie-Burger, für den kein Tier sterben mußte?“

Würde ich aussehen wie Ali oder Hakan, wäre ich kaum angesprochen worden. Als einer der letzten Biodeutschen im Markt aber werde ich zum Belehrungsobjekt. Mein türkischer Kumpel lacht: „Ich hätte ihr geantwortet, daß ich die Tütchen stets gerne in den Fluß werfe.“