© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/19 / 18. Januar 2019

„Unfaßbare Übertreibung“
Identitäre Bewegung: Eine Plakataktion vor dem taz-Gebäude sorgt für Aufregung / Berlins Bürgermeister sieht einen „Angriff auf die Werte aller Demokraten“
Lukas Steinwandter

Den Vorwurf, sie hätten Parteien und Redaktionsräume attackiert, weisen die Identitären zurück: „Von einem ‘Angriff’ oder einer ‘Attacke’ zu sprechen wegen ein paar Plakaten, einem Banner und einem abgeladenen Steinhaufen, stellt eine unfaßbare Übertreibung dar“, sagte der Regionalleiter Berlin-Brandenburg der Identitären Bewegung Deutschland (IBD), Robert Timm, der JUNGEN FREIHEIT. Zuvor hatte die taz behauptet, eine ihrer Mitarbeiterinnen sei am Montag morgen zur Arbeit gekommen und habe die Gruppe daran hindern wollen, ein Plakat am Redaktionsgebäude anzubringen. „Daraufhin wurde sie gepackt und am Hals angegriffen.“ Mehrere Medien, darunter die Welt und der RBB, griffen dies auf.

Die Mitarbeiterin habe die IBD-Mitglieder beleidigt, schilderte Timm. Anschließend habe sie eine seiner weiblichen Mitstreiterinnen bedrängt. „Danach versuchte die Mitarbeiterin, einige Aktionsmaterialien und Flugblätter zu entwenden, woraufhin ich sie daran hinderte und leicht zur Seite schob.“

Ein Video des Vorfalls, das von der IBD auf Twitter veröffentlicht wurde, zeigt: Die taz-Mitarbeiterin reißt zunächst Plakate von der Glasfassade. Als sie versucht, eine rote Fahne von einem Steinhaufen zu entwenden, den die IBD-Mitglieder vor dem Gebäude plaziert haben, schiebt Timm die Frau zur Seite. Diese greift den Mann um den Hals, reißt an seinem Schal und schubst ihn weg. Anschließend gehen die beiden auseinander. Die Auseinandersetzung dauert nur wenige Sekunden. 

Die taz änderte später die Mitteilung auf ihrem Hausblog im Laufe des Montags. Nun steht dort: „Daraufhin wurde sie gepackt und am Oberkörper getroffen.“ In der entsprechenden Anmerkung am Ende des Textes ist zu lesen: „Wir haben das korrigiert: Es war ein Schlag auf die Brust.“ Die Berliner Polizei teilte mit, der Staatsschutz ermittle wegen Hausfriedensbruchs. Die IBD hatte am Montag deutschlandweit Redaktionsgebäude verschiedener Medien sowie Parteizentralen mit Plakaten gegen linke Gewalt beklebt. Betroffen waren unter anderem das ARD-Hauptstadtstudio und die Frankfurter Rundschau sowie Büros von SPD, Grünen und Linkspartei.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) verurteilte die Aktion „auf das schärfste“. Sie sei ein Angriff auf die grundlegenden Werte aller „Demokratinnen und Demokraten, die engagiert für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung gegen Rechtspopulisten, Rechtsextreme, Antisemiten und Fremdenfeinde einstehen“, hieß es in einer Pressemitteilung Müllers. Die bundesweite „Attacke auf Parteien und Medien zeigt auf, wer und was diesen Leuten ein Dorn im Auge ist: die Repräsentanten unserer parlamentarischen Demokratie“, zu der auch „freie und kritisch berichtende Medien“ gehörten, meinte der Senatschef. Seiner Meinung nach wollten die Identitären „ein Deutschland, in dem die Freiheiten und Grundrechte nicht mehr gelten“. Dem habe man sich „quer durch alle Parteien und gesellschaftlichen Gruppen“ entgegenzustellen. „Es geht um unsere Freiheit“, so Müller. 

IBD-Regionalleiter Timm hingegen kritisierte die Reaktionen auf die Aktion als hysterisch. „Während allein in der letzten Woche ein AfD-Bundestagsabgeordneter brutal zusammengeschlagen und einem Aktivisten der Identitären Bewegung das Auto angezündet wurde, spricht man heute von ‘Attacken’, die lediglich mit Plakaten und Bannern symbolisch und friedlich das Problem linksextremer Gewalt und ihrer Fürsprecher thematisierten.“ Beim Brandanschlag auf das Auto eines IB-Mitglieds habe hingegen „heuchlerisches Schweigen“ geherrscht. „Die Art und Weise der heutigen Berichterstattung über unsere Aktion bestätigt uns in unserer Kritik.“