© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/19 / 18. Januar 2019

Die Verbalartillerie schweigt
Führungswechsel: Markus Söder wird CSU-Chef / Kantige Charaktere sind passé
Paul Rosen

Sitzmöbel von Franz Josef Strauß stehen wieder in der Münchner Staatskanzei. Und den von Vorgänger Horst Sehofer verschmähten Neujahrsempfang in der prachtvollen Münchener Residenz hat Nachfolger Markus Söder wieder eingeführt – stundenlanges Defilee inklusive. Die stürmischen Zeiten will Söder, der am Wochenende auf einem CSU-Parteitag in München problemlos auch zum neuen CSU-Vorsitzenden gewählt werden dürfte, aber nicht wiederhaben. Der große Streit nach der Asylbewerberwelle 2015 habe „allen massiv geschadet ... Daraus habe ich persönliche Lehren gezogen. Streit bringt wenig“, ließ Söder wissen. Die bayerische Verbalartillerie am Weißwurst-Äquator soll schweigen und die Demarkationslinie zwischen CSU und CDU Friedensgrenze werden, so die Botschaft an die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer. 

Zunächst geht es der CSU darum, den Generationswechsel von Seehofer zu Söder geräuschlos abzuschließen. In seinen letzten Tagen als Vorsitzender erlebt man einen wehmütigen Seehofer, der es als seinen größten politischen Fehler bezeichnet, 2013 seinen Rückzug aus der Politik angekündigt zu haben: „Man darf als Politiker nicht ankündigen, daß man aufhören will.“ Der Satz zeigt eine für Seehofer typische Selbsttäuschung. Seine ständige Unentschlossenheit, sein Zögern und das häufige Wechseln von Positionen haben seinem Ruf und seiner Partei mehr geschadet als die Festlegung des persönlichen Rentenbeginns. 

Man kann nicht der Regierung Merkel eine „Herrschaft des Unrechts“ unterstellen, etwas später genau in diese Regierung eintreten und selbst nach quälenden Vorgängen wie um den Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen am Sessel kleben, als sei Berlin für einen Bayern der schönste Platz der Welt. Seehofer wackelt wohl weiter im Innenministerium dahin, bis eine Regierungskrise oder ein Skandal ihn hinwegfegen dürfte. Beim jüngsten Politiker-Datenleck wurde es schon ganz schön eng, als die digitale Inkompetenz des Ministers allgemein klar wurde.

Immerhin steht Seehofer für den letzten großen Wahlsieg der CSU: 2013 holte er mit 47 Prozent die absolute Mehrheit bei einer Landtagswahl. Es sah so aus, als sei die vom vorher agierenden Führungsduo Günther Beckstein/Erwin Huber verursachte Scharte ausgewetzt und wieder Anschluß an Edmund Stoibers legendäre Erfolge gefunden worden. Doch die Talfahrt wurde nur verlangsamt. Söder bekam letztes Jahr noch 35 Prozent, was CSU-Generalsekretär Markus Blume mit einer halben Million preußischer Zuwanderer erklärt und im Spiegel lamentiert: „Die Menschen, die nach Bayern gezogen sind, haben nur zu 25 Prozent CSU gewählt.“   

„Kein Verlust an Profil,  sondern Gewinn an Stil“

Ob Söder den Trend bei der Europawahl im Mai und bei den Kommunalwahlen 2020 aufhalten kann – man weiß es nicht. Fränkischer Poltergeist in Straußscher Tradition will Söder nicht sein. Man müsse in Berlin einen Neustart hinlegen, aber „die Streitkultur von 2018 ändern. Das ist kein Verlust von Profil, sondern Gewinn an Stil.“ Ungewohnte Töne stimmt Söder auch gegenüber der neuen CDU-Chefin an: „Bei der CDU gibt es eine Frischluftzufuhr. Die Chance ist, daß neue Parteivorsitzende auch vieles neu konzipieren. Wir haben einen guten Draht.“ Der Draht soll offenbar gut bleiben, so daß Landesgruppenchef Alexander Dobrindt die von ihm noch 2018 propagierte „konservative Revolution“ schnell in einer Flasche verschloß, in der schon der „Kreuther Geist“ einer Trennung der Unionsparteien sicher untergebracht ist. 

Blume sinniert derweil, wie aus der früheren Volkspartei, die für Konservative, Liberale und Soziale wie den „Herz-Jesu-Sozialisten“ Seehofer (parteiinterner Spott) gleichermaßen attraktiv war, aber nicht mehr ist, eine „digitale Mitmachpartei“ werden kann, in der die Mitglieder „einfach von zu Hause aus“ aktiv werden können. 

Aber auch eine „digitale Mitmachpartei“ braucht Führung. Und da werden Defizite sichtbar. Die junge CSU-Riege verkörpern etwa Stefan Müller, ein Parlamentarischer Geschäftsführer, der wirkt, als habe er schon als Kind Anzüge mit Bügelfalten getragen und Dorothee Bär, die sich zu den „digatal natives“ (digital Aufgewachsenen) zählt, in Wirklichkeit aber digital naiv daherkommt. Aus der Personalreserve der CSU kommen keine kantigen Charaktere wie Gerold Tandler, Edmund Stoiber, Alois Glück oder Theo Waigel mehr. Die junge CSU-Generation ist mit Jens Spahn, Philipp Amthor oder Paul Ziemiak von der CDU verwechsel- und austauschbar.  

Zentrale Figur auf dem CSU-Schachbrett soll Manfred Weber werden, in der Partei seit vielen Jahren die erste Adresse für Europa – ein unauffällig, aber zuverlässig agierender Mann. Als Ausdruck der neuen Gemeinsamkeit der Schwestern hob auch die CDU Weber auf den Schild des Spitzenkandidaten für die Europawahl. Vor fünf Jahren hatte die CDU mit David McAllister noch einen eigenen Spitzenkandidaten. 

Die CSU will noch mehr: Weber soll Nachfolger des Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker werden. Dann würde ein Bayer erster Mann Europas sein. Für diesen Coup brauchen die CSUler den ganzen Einsatz der CDU und vor allem der früher so geschmähten Kanzlerin Angela Merkel. Auch das erklärt Söders neue Rolle des braven bayerischen Buben.