© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/19 / 18. Januar 2019

Hat der Niedrigzins dem Steuerzahler 368 Milliarden Euro erspart?
Griechische Schummelei
Thomas Kirchner

Angeblich 368 Milliarden Euro haben Bund, Länder und Gemeinden laut Handelsblatt durch die EZB-Niedrigzinspolitik im Vergleich zu den Finanzierungsbedingungen vor der Krise bisher gespart. Das klingt gut für den Steuerzahler – aber niedrige und negative Zinsen haben auch Auswirkungen auf Sparer, Versicherungen, Banken, Immobilienpreise und Börsenkurse. Auch daß die Ersparnis mehr als genug wäre, die marode Infrastruktur wiederzubeleben ist offensichtlich, denn die staatlichen Investitionen schwanken seit der Finanzkrise zwischen 50 und 70 Milliarden Euro.

Und die Regierung bedient sich eines Rechentricks, der in der Privatwirtschaft seit der Pleite des US-Energiegiganten Enron als Bilanzmanipulation gilt. Die Bundesbank nennt dies „nicht kompatibel mit der Erfassung im Rahmen der europäischen Regeln“. Denn in der kreativen Buchhaltung des Bundes werden zukünftige Ersparnisse aus Negativzinsen schon vorab gebucht, so daß die laufenden Zinsaufwendungen niedriger aussehen, wobei in Zukunft entsprechend höhere Zahlungen anfallen.

Ein Beispiel: Am 8. Januar emittierte der Bund eine Anleihe mit 15 Jahren Laufzeit zum Kurs von 115,74. Zurückzahlen muß der Bund nur 100 Prozent bei Fälligkeit, zwischendurch jedoch jährlich 0,5 Prozent Zinsen zahlen. Das ergibt zusammen einen Negativzins von 0,83 Prozent, der aber nicht über 15 Jahre in den Haushalt einfließt. Stattdessen werden die 15,74 Prozent Ausgabeaufschlag (78,7 Millionen Euro) zur Verminderung der Zinslast in diesem Jahr verbucht. In den nächsten 15 Jahren muß der Bund jährlich 2,5 Millionen Euro Zinsen zahlen, insgesamt 37,5 Millionen. Insgesamt spart der Bund nur 41,2 Millionen Euro, nicht die 78,7 Millionen Euro, die 2019 verbucht werden. Insgesamt sechs Milliarden verbuchte der Finanzminister 2017 an Aufschlägen auf Kosten zukünftiger Kuponzahlungen. Wen dies an die Schummeleien Griechenlands erinnert, der liegt nicht weit daneben: Athen verbuchte einen Gewinn aus einem Swap zur Verminderung der Staatsschulden im ersten Jahr, mußte dies über die Laufzeit des Geschäfts jedoch wieder zurückzahlen. Das Geschäft funktioniert ganz analog und hatte ebenfalls nur kosmetische Folgen. Derzeit läuft die Bilanzierung im Sinne des Finanzministers. Doch bei steigenden Zinsen würde es schwierig: ein Abschlag bei Emissionskursen müßte als sofortige Zinsbelastung verbucht werden.

Das ändert nichts an der mittelfristig guten Verfassung der deutschen Schulden, besonders im Vergleich zum Rest der EU. Die Durchschnittsverzinsung ist von mehr als vier auf derzeit zwei Prozent gesunken. In den 1990er Jahren lag sie bei acht Prozent. Unter Wolfgang Schäuble wurde die Durchschnittslaufzeit um zwei Jahre verlängert. Die gute Lage hierzulande steigert aber natürlich die Begehrlichkeiten anderer EU-Länder zur Europäisierung der Staatsschulden.