© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/19 / 18. Januar 2019

Geschmiedet im sächsischen Bayreuth
Dem Auge wie dem Ohr angenehm: Mit „Götterdämmerung“ schließt das Opernhaus in Chemnitz seine Neuinszenierung der Richard-Wagner-Tetralogie ab
Sebastian Hennig

Das Opernhaus Chemnitz verteidigt weiterhin erfolgreich seinen Ruf, ein „sächsisches Bayreuth“ zu sein. Viele Jahre lang fanden im April die Richard-Wagner-Festtage statt. Michael Heinicke hat sich dann 2016 mit „Die Meistersinger von Nürnberg“ als Chefregisseur und Leiter der künstlerischen Planung vom Opernhaus Chemnitz verabschiedet (JF 18/16). Zugleich mit ihm ist damals auch der Generalmusikdirektor Frank Beermann gegangen, der hier ein Jahrzehnt lang Wagners Musik zum Ereignis werden ließ.

Von 1998 bis 2000 hatte Hausregisseur Heinicke eine komplette Inszenierung von „Der Ring des Nibelungen“ erarbeitet, die weithin Bewunderung und Aufsehen erregte. Im Dezember ist nun mit der Premiere von „Götterdämmerung“ abermals eine Gesamtinszenierung der Ring-Tetralogie in Chemnitz vollendet worden. Komplette Aufführungszyklen werden im Januar, zu Ostern und zu Pfingsten stattfinden.

Weiblicher Blick auf den „Ring“ 

Abweichend von der üblichen Praxis wurden die einzelnen Teile von vier verschiedenen Regisseurinnen inszeniert. Das Publikum merkt die Absicht zunächst einmal nicht und hat darum auch keinen Anlaß, verstimmt zu sein. Erst in der Schlußszene der „Götterdämmerung“ sind äußerliche Anhaltspunkte für jenen „typisch weiblichen Blick“ auf den „Ring“ nicht mehr zu übersehen, über den die Chemnitzer Oper damit neue Erkenntnisse gewinnen will. Doch gerade im Finale braust die Musik besonders beherrschend über alles hinweg und etwaige typische Merkmale einer weiblichen Wagner-Rezeption gehen im Getöse unter. Die letzte Arbeit Wagners war ein Aufsatz „Über das Weibliche im Menschlichen“. 

Mitten im ausgiebigen Schlußapplaus tritt das Inszenierungstrio den Sängern zur Seite. Indem die drei Frauen die Statistin der Erda in ihre Mitte aufnehmen, unterstreichen sie die sonst eher zurückhaltende Tendenz ihrer Inszenierung. Gerade hatte sich der Weltenbrand auf der Bühne als ein Wärmetod der Erde ereignet. Statt Flammen züngeln zu lassen, wird sanfter Schnee herabgelassen.

Brünnhilde sammelt die Frauen und weiblichen Naturwesen um sich. Mit langen weißen Haaren und bodenlangem Gewand tritt Erda auf, obgleich das ewige Weib am zweiten Tag des Bühnenfestspiels vom Wanderer bereits in ewigen Schlaf verabschiedet wurde. Sie läßt Funken aus ihrem Feuerzeug springen. Neben ihr stehen die Nornen, die Rheintöchter und Waltraude. Sogar die tief verletzte Gutrune wird huldvoll in den Kreis aufgenommen. Brünnhilde hatte ihr die Pistole gereicht, damit sie ihren finsteren Halbbruder Hagen erschieße. Daß dieser nun plötzlich wieder mit dröhnendem Baß fordert: „Zurück vom Ring!“ ist zumindest irritierend.

Dieser allergiftigste Vertreter toxischer Männlichkeit bekommt bei Wagner das letzte Wort, bevor er in den steigenden Fluten ersäuft und die Rheintöchter als unschuldig spielende Naturkräfte den Ring wieder aufnehmen. Böse Männer haben die Welt heruntergewirtschaftet. Die Halle der Gibichungen geht unter, und übrig bleibt ein Frauenhaus.

Bis dahin aber hat die Inszenierung von Elisabeth Stöppler eine ganze Reihe ungezwungene und zutreffende Bildlösungen aufgeboten. Sie befreite den Siegfried vom oft dargestellten Habitus eines automatenhaften Trottels. Bei ihr darf er ein unschuldiges, wenn auch verblendetes Kind bleiben. „Sein Auge, das selbst durch die Lügengestalt leuchtend strahlte zu mir“, singt Brünnhilde, und so darf Siegfried hier wahrgenommen werden.

Nur kurz fallen ihm durch Brünnhildes Liebe die Schuppen von den Augen. Es bedarf dazu kaum des Trunks. Zum Trauermarsch wäscht sie Siegfrieds Leichnam. Dessen vom Tod verschleierter Blick will die Geliebte wiedererkennen. Doch Brünnhilde ist gleichfalls zurückverwandelt und nimmt den Gefallenen als eine Walküre auf, gleichsam amtlich.

Geschmacklosigkeiten bleiben dem Publikum erspart. Kostüme und Bewegungen wirken anmutig. Der Verzicht auf unsinnige Details und banale Alltagsdinge entspricht dem archetypischen Gehalt des Geschehens. Zum Teil kann die Inszenierung beziehungsreiche Bilder aufbieten. Da schleichen die Nornen des Vorspiels auf gefiederten Beinen und unter Polarmützen gleich monströsen Schleiereulen durch den weißen Dunst. Als Sklaven sind sie an das Seil gebunden, das die Vergangenheit durchzieht, doch keine Zukunft mehr erreicht.

Als der Nebel sich legt, wird Brünnhildes Felsen sichtbar. Daniel Kirch als Siegfried und die Brünnhilde, Stéphanie Müther, zeigen sich als ein Heldenpaar von vitaler Kraft einander gewachsen. Die eindrucksvollsten Sänger des Abends aber sind Marius Bolos als Hagen und die Waltraude. Anne Schuldt fleht ihre Warnung der Schwester mit berückendem Schmelz entgegen. Da bleibt keine Leerstelle, nichts wird verschluckt oder flüchtig übergangen. Die dramatische Figur füllt sie vollständig aus, und ihre Stimme ist in den fahlen Tönen ebenso präsent wie in den stimmhaft perlenden. Nun ist sie mit einem Auftritt freilich auch nicht derart gefordert wie die anderen, die entsprechend mit ihren Ausdrucksmöglichkeiten haushalten.

Das Treiben zerfällt nicht in Gewimmel

Sobald sich Waltraude unverrichteter Dinge entfernt hat, treffen Gunther und Siegfried in widerlich-gelben Skianzügen mit dunklen Schneebrillen auf dem Felsen ein. Siegfried agiert wie ferngesteuert, und doch ist er von Brünnhildes Bestürzung seinerseits bestürzt. Ohne daß sie ihm zu Bewußtsein gelangt, macht ihn doch die Last eigener Schuld schwankend.

Die Halle der Gibichungen ist eine holzgetäfelte Hotelbar. Annika Haller brauchte keine zweite Ebene in ihr Bühnenbild zu bauen, mit dieser Theke hat sie ein Podest geschaffen, von dem Hagen zuweilen herausfordernd herabsingt. Die Ausfälle der handelnden Personen stimmen gut mit dem musikalischen Verlauf überein. Brünnhilde bemächtigt sich des Speeres, auf den sie den Eid leisten soll, und treibt als eine gerechte Furie damit die Gibichungen in Scharen durch ihre eigene Halle. Bei aller Expressivität zerfällt das Treiben nicht in hyperaktives Gewimmel. Die Figuren sind immer zu klaren Volumen gegliedert. Die Inszenierung bleibt dem Auge wie dem Ohr angenehm.

Kleine Ausrutscher ins gewöhnliche bleiben angesichts des Gesamteindrucks verzeihlich. So wird die Jagdgesellschaft ein weiteres Mal zur aggressiven und schießwütigen Soldateska verzerrt. Die Jäger fuchteln mit den Flinten und legen auf Siegfried an, für den freilich Hagen weit feinere Schlingen ausgelegt hat. Den Speer nimmt er dafür nicht wieder zur Hand und bedient sich der Feuerwaffe. Im Schlußbild ist der Tresen verschwunden. Dafür ragt der dampfende Felsen in die Halle. 

Der neue Chemnitzer Generalmusikdirektor Guillermo García Calvo erweist sich in dieser außergewöhnlichen Herausforderung als ein würdiger Nachfolger Frank Beermanns am Pult der Robert-Schumann-Philharmonie.

Die nächste Vorstellung der „Götterdämmerung“ am Opernhaus Chemnitz, Theaterplatz 2, findet am 26. Januar statt. Zu Ostern und Pfingsten 2019 ist der komplette „Ring“-Zyklus zu sehen. Kartentelefon: 03 71 / 40 00-430

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