© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/19 / 18. Januar 2019

Wege zu mehr „Korrektheit“
Facebooks „Journalism Project“: Eine Funktion bindet Redakteure weltweit in die Inhaltsprüfung ein
Christian Schreiber / Gil Barkei

Nach heftiger Kritik vor allem aus der Politik hat Facebook ähnlich wie Google mit seiner „News Initiative“ (JF 14/18) vor zwei Jahren in ein eigenes Journalisten-Programm investiert. „Uns ist es wichtig, großartigen Journalismus zu unterstützen. Gemeinsam mit Nachrichtenorganisationen arbeiten wir an der Entwicklung von Produkten, Tools und Schulungen für Journalisten und Redaktionen auf der ganzen Welt“, heißt es euphorisch auf der Internetseite. 

So sieht das „Journalism Project“ unter anderem vor, den Austausch mit Medienunternehmen zu fördern, um sich genauer auf die Anforderungen von Redaktionen einstellen zu können. Dazu bietet das Unternehmen Lehrgänge für Programmierer und Redakteure an. Hinzu kommen Kooperationen: Im November hat die Hamburg Media School (HMS) ihr „Digital Journalism Fellowship“ gestartet. Das einjährige, kostenlose und berufsbegleitende Weiterbildungsprogramm ist das erste von Facebook geförderte Stipendienprogramm für Journalisten in Deutschland.

Analyse, wie Beiträge viral gehen 

Ziel des „Journalism Project“ ist es, das Verständnis für Nachrichten bei allen Nutzern zu fördern und an „neuen Wegen“ zu arbeiten, „um Menschen Informationen zu geben, damit sie kluge Entscheidungen zu den Nachrichten, die sie lesen, treffen können“. Im Zuge des Projektes wird auch an versöhnlich gemeinten Modellen getüftelt, um über Facebook die Abonnenten- und Leserzahlen der klassischen Medien zu erhöhen, die den US-Konzern für den Verlust erheblicher Werbeeinnahmen verantwortlich machen.

Ein weiteres Anliegen des Projekts ist es, das Verbreiten von „Fake News“ über die Plattform und die Einflußnahme auf Wahlen zu verhindern. So heißt ein Partnerprojekt „News Literacy Project“ und will Pädagogen und Journalisten zusammenführen, „um Schülern zu vermitteln, wie sie im digitalen Zeitalter Wahrheit und Fiktion unterscheiden können“. Die schon seit sechs Jahren bestehende Facebook-Gruppe „News, Media & Publishing“ wurde in das „Journalism Project“ integriert. Hier haben sich bereits fast 15.000 Journalisten und Menschen, die an den Partnerschaften und Produktteams von Facebook beteiligt sind, versammelt. Dort wird auch über zwei wichtige Neuerungen diskutiert: Seit Anfang November testet Facebook die Funktion von Eilmeldungen. Zudem wird für das Angebot „Watch“ (JF 38/18) die Palette an Nachrichtensendungen ausgebaut. 

Echtzeitinhalte, aktuelle Geschehnisse und Markenauftritte werden dabei zunehmend über Facebooks Crowd­Tangle koordiniert. Das digitale Werkzeug verfolgt und analysiert im Netz, welche Wege Nachrichten und Produkte zur Viralität nehmen. Trends und Influencer lassen sich erkennen. Damit ist es für die Anwender – darunter Journalisten bei BBC, Washington Post, BuzzFeed, Deutsche Welle und der RTL Group – ein wichtiges Programm, um Beiträge nach ihrer Reichweite, Beliebtheit und Wertigkeit zu beurteilen. Nutzer können nicht nur den Erfolg der eigenen Seiten und Geschichten messen, sondern auch die Leistung der Konkurrenz verfolgen. 2011 gegründet, kaufte Facebook 2016 die Plattform, die auch für Twitter und Reddit anwendbar ist. Das soziale Netzwerk hält sich zwar zum Kaufpreis von CrowdTangle bedeckt, bietet aber um so offener Schulungen innerhalb seines „Journalism Project“ an – eine heißt zum Beispiel „Social Media-Content mit CrowdTangle entdecken und überwachen“. 

„Viele Redakteure bei Bild nutzen CrowdTangle, nicht nur die Mitarbeiter des Plattform-Teams. Es ist ein hilfreiches Tool für unsere regionalen Redakteure, aber auch für Redakteure anderer Abteilungen in Berlin“, wird der Social-Media-Chef von Bild, Andreas Rickmann, stolz auf der Netzseite von „Facebook for Media“ zitiert. Mehr als 75 verschiedene Facebook-Seiten betreibt Bild demnach. Wenn eine Story auf einer kleineren Seite gut funktioniere, „testen wir sie auf einer Seite mit einer noch größeren Reichweite“.

Seit Oktober verlagert Facebook einen Teil der Verantwortung für die Richtigkeit von Inhalten an die weltweiten redaktionellen Nutzer. „Crowd­tangler“ haben die Möglichkeit, Videos, Fotos und Links in Beiträgen als „False News“ zu kennzeichnen und damit an Facebooks „Misinformation Team“ zu melden, welches dann über Maßnahmen entscheidet. Facebook selbst bezeichnet dies als einen „Weg zu mehr Korrektheit“ im Netz, und die mitwirkenden  Journalisten und Redaktionen erhalten über den Umweg ihre fast schon verloren geglaubte „Gatekeeper“-Funktion zumindest teilweise zurück. Eine Anfrage zu Zahlen, wie viele „falsche Nachrichten“ von deutschen Journalisten über Crowd­Tangle bisher gemeldet wurden, und wie viele daraufhin von Facebook gelöscht wurden oder zu einer Sperre ihrer Verfasser beziehungsweise Verbreiter geführt haben, ließ Facebook unbeantwortet. 

Sollte die Funktion „positive Resultate“ erzielen, hält sich Facebook offen, sie auch bei anderen Diensten wie In-stagram einzuführen.