© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/19 / 18. Januar 2019

Es gibt immer Alternativen
Rechte entdecken Karl Marx als brauchbaren Stichwortgeber gegen die One-World-Ideologie
Eberhard Straub

Niccolò Machiavelli galt für fast dreihundert Jahre als der verderblichste politische Ratgeber aller Zeiten, verantwortlich für sämtliche Rohheiten und Gewalttätigkeiten im Inneren der Staaten und im Verkehr zwischen den Staaten. Dem Feind im Wettbewerb wurde regelmäßig vorgeworfen, als Machiavellist ohne Rücksicht auf die göttlichen Gebote und weltliche Übereinkünfte seinen Vorteil zu suchen und die öffentliche Ruhe zu stören. 

Erst deutsche Philosophen und Historiker im 19. Jahrhundert würdigten Machiavelli als großen politischen Denker, der nie ein Machiavellist gewesen war. Sie entlarvten den Machiavellismus als das, was er war, als böswillige ideologische Konstruktion moralistischer Heuchler. Die Stelle Machiavellis nahmen im zwanzigsten Jahrhundert Karl Marx und die Marxisten mit ihrem jeweiligen Marxismus ein. Bücher haben ihr Schicksal, je nachdem, wem sie in die Hände fallen und wie sie verstanden oder mißverstanden werden. Die Gedanken sind frei und nicht vor Mißbrauch geschützt. 

Karl Marx war, wie er beteuerte, nie Marxist und wahrte ironische Distanz zu den selbsternannten Marxisten. Er begriff sich auch nie als Linken. Darauf weisen Benedikt Kaiser, Diego Fusaro und Alain de Benoist in dem Band „Marx von rechts“ hin. Sie möchten Antimarxisten dazu überreden, sich auf den Philosophen und Wirklichkeitswissenschaftler einzulassen. Denn auf die Analysen dieses systematischen Kritikers der bürgerlichen Gesellschaft und des zu ihr gehörenden Kapitalismus ist jeder immer noch angewiesen, der die nachbürgerliche und nachproletarische Welt des globalisierten Turbokapitalismus verstehen möchte. Sie soll zum schillernden Warenhaus für Kunden werden,  die überall einander zum Verwechseln  gleichen in der Einen Welt als einem Markt für die eine Menschheit. Ohne Karl Marx läßt sich dies Programm gar nicht richtig einordnen. Davon sind die drei Historiker, Soziologen und Philosophen überzeugt. 

Damit wenden sie sich aber auch polemisch gegen zeitgenössische Linke, die weder marxistisch noch auf den ursprünglichen Marx neugierig sind, nämlich jenen, der unverstellt von marxistischen Interpretationen ist. Alle drei und mit ihnen der Verleger Philip Stein in seinem Vorwort  sind sich darin einig, daß die sogenannte Linke von heute ökonomisch auf der Seite des Kapitalismus für den globalen freien Markt kämpft, auf dem alles zum Wert und zur Ware wird, kulturell und gesellschaftlich hingegen für Emanzipation aller möglichen Lebensentwürfe, Daseinsformen oder erotischen Variationen. Die Regenbogenfahne flattert ihnen voran. 

Dafür brauchen sie keinen Karl Marx, der als Bildungsbürger, der er auch war, für solche Absichten tatsächlich nicht taugt. Doch Karl Marx könnte den der Wirklichkeit entrückten Daseinsgefräßigen dazu verhelfen, ihr hemmungsloses Vertrauen auf den Markt und den entfesselten Wettbewerb zu überdenken. Davor kapitulierten sie wie vor natürlichen Mächten und renaturalisieren künstliche, vom Menschen gemachte Erscheinungen. 

Die sogenannten Linken versagen im Sinne der drei Autoren vor Karl Marx und seiner Lehre von der Geschichtlichkeit sämtlicher Wirklichkeiten, die immer von Alternativen widerlegt und  überholt werden. Alles in der Geschichte ist vergänglich, jede Epoche eilt ihrem Ende zu, das als Übergang zu neuen Entwicklungen und Lebensformen den historischen Prozeß vorantreibt und ein Ende der Geschichte in unbestimmte Zukunft hinausschiebt. Die Alternativlosigkeit der globalisierten Marktwirtschaft und der sie sittlich überhöhenden humanistischen Wertegemeinschaft ist längst zum Allgemeingut geworden. 

Der Blick von rechts auf Marx fordert daher alle heraus, auch diejenigen, die sich als konservativ ausgeben und sich zu den haltenden Mächten rechnen, die mitten in den schwer zu überschauenden Umbrüchen unsicher Gewordenen Zuversicht in Aussicht stellen wollen. 

Der Entfremdete findet nur Erlösung im freien Markt

Die dem Lebensernst entrückten Elemente in nachbürgerlichen Zeiten sind selbstverständlich Marktliberale, dauernd mit der Abwehr markt- und konkurrenzfeindlicher Anschläge beschäftigt. Diese werden seit eh und je mit dem Marxismus verbunden. Gleichwohl hatten manche Wirtschaftsliberale oder konservative und bürgerliche Antikapitalisten von Adolf Wagner bis zu Werner Sombart, Ernst Jünger, Hans Zehrer und dessen Gefährten im Tat-Kreis um 1930 keine Angst davor, sich gründlich mit Karl Marx auseinanderzusetzen, durchaus begierig, unter den Zwängen einer dogmatisierten Marktfreiheit, Möglichkeiten zu einer wirklichen Bewegungsfreiheit die Bahn zu brechen. Daran erinnert eindringlich Benedikt Kaiser in seinem Beitrag. Solche Entwürfe erübrigten sich im Kalten Krieg und in der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus der Sowjetunion und deren Versuch, die gesellschaftliche Zukunft nach fertigen, theoretischen Modellen zu gestalten. 

Der Eifer im Einsatz für das westliche, auch als bürgerlich ausgegeben, Lager ermunterte die kämpferischen Marktwirtschaftler, gerade wenn sie sich konservativ nannten, nicht dazu, Karl Marx, den Philosophen des Klassen- und Systemfeindes, aufmerksam zu studieren und ihn im Zusammenhang mit den deutschen Philosophen von Fichte über Schelling zu Hegel zu begreifen, in den Marx gehört, worauf Diego Fusaro verweist. So geriet Marx in der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik und für alle moralisch aufgerüsteten Westeuropäer zu einem polemischen Schlagwort ohne jeden Inhalt, aber desto wirkungsvoller im ideologischen Krieg mit seinen Kampfparolen. 

Der Zusammenbruch der Sowjet-union und des Kommunismus verführte liberale Utopisten der Erlösung durch den freien Markt zu der triumphalen  Gewißheit, nun sei das Ende der Geschichte erreicht und nichts könne mehr die Handels- und Konsumfreiheit gefährden, die jedem zu seiner menschlichen Bestimmung verhelfe, sich auf dem Markt als souveräner Konsument zu bewähren. 

Hat die Geschichte ihr Ziel erreicht, dann verbieten sich Alternativen als geschichtswidrig. Dann gilt nur noch mit Diego Fusaro der Appell: Völker aller Länder, globalisiert euch! Wer anders denkt, macht sich verdächtig, ein unverbesserlicher Ideologe zu sein. Denn die freie Wirtschaft und das freie Kapital beanspruchen, ideologiefrei zu sein und sich entsprechend ihrer Natur und der ihr innewohnenden Dynamik zu entfalten. Diego Fusaro wehrt sich mit dem ideologiekritischen Karl Marx gegen dieses jede Freiheit unterdrückende Dogma: „Die perfekte Ideologie ist jene, die sich dadurch unsichtbar macht, indem sie das Ende der Ideologie zelebriert.“ Zur Freiheit in der Welt als Geschichte gehört die Denkbarkeit und die Kategorie eines möglichst anderen Seins gegenüber dem, was ist. An die Existenz anderer Weltformen zu denken, wird bereits von wehrhaften Sinnstiftern der Marktfreiheit als moralische Unzuverlässigkeit aufgefaßt und diskriminiert. 

Ein anderes Denken erachten allerdings die drei Zeit- und Kulturkritiker und ihr Verleger als dringend geboten, um gegenüber dem totalen Ökonomismus, der sich alles unterwirft, die Freiheit des Politischen und mit ihr das Recht auf Anders-Sein und Anders-Denken zu behaupten. Eine junge europäische Rechte kann und will sich nicht wie einst die Pietisten in Sekten vor der Welt verschließen. Rechts und links sind für sie konventionelle Begriffe. 

Rechts heißt für die vier Analytiker unserer Gegenwart, sich nicht von den Fiktionen der ökonomischen Weltdurchdringung überwältigen zu lassen. Deswegen lohnt sich ein Blick von rechts auf Marx, den konsequenten Historiker. Auch unsere Gegenwart ist nur eine Phantasie der immer beweglichen und unzuverlässigen Zeit. Es gibt immer Alternativen. Gerade deshalb kommt an Karl Marx niemand vorbei. Der Größe dieses Namen wird wie bei Machiavelli kein Lob gerecht. 

Benedikt Kaiser, Alain de Benoist, Diego Fusaro: Marx von rechts. Jungeuropa Verlag, Dresden 2018, gebunden, 144 Seiten, 22 Euro