Hier wird stark geblitzt“, sagt der Verkäufer an der Aral-Tankstelle, unweit der Bundesstraße 14 am Stuttgarter Neckartor. Ein Platz, der die höchste Luftverschmutzung Deutschlands aufweist. Dieser Befund geht zumindest aus Daten einer am Neckartor aufgebauten Luftmeßstation hervor. Sie bilden die Grundlage für ein von der grün-schwarzen Landesregierung in Baden-Württemberg verhängtes Fahrverbot für Dieselautos in Stuttgart, das seit dem 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten ist. Entspricht ein Wagen nicht mindestens der Euro-Abgasnorm 5, darf er die Umweltzone Stuttgart künftig nicht mehr befahren. Andernfalls droht ab dem 1. Februar eine Geldbuße von 80 Euro, zuzüglich Gebühren sogar 108,50.
Betroffene reagieren genervt. „Das ist eine riesige Sauerei. Der Staat mischt sich immer stärker in unser Privatleben ein. Haben wir nicht genug andere Probleme?“, schimpft ein 34 Jahre alter Familienvater, der gerade seinen Wagen an der Aral-Tankstelle mit Diesel-Kraftstoff betankt. Sein Pkw verfügt lediglich über Abgasnorm 4. Bei Falschparkern überprüft die Stadt nun auch, ob es sich um ein Dieselfahrzeug handelt und es die erforderliche Abgasnorm erfüllt.
Stuttgarts Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU) kündigte zudem an, bei Bußgeldbescheiden infolge überhöhter Geschwindigkeit auch zu prüfen, ob es sich um einen der verbotenen Dieselwagen handelt.
Davon betroffen ist auch Ioannis Pavlos Sakkaros. Der 26jährige ist Schichtarbeiter in der Produktion von Porsche, wohnt in Stuttgart und fährt ebenfalls einen Diesel mit der Euro-Abgasnorm 4. Ab dem 1. April kann er ihn praktisch nicht mehr benutzen. „Ich wurde enteignet“, benennt er gegenüber der JF das Dilemma. Schließlich könne er seinen Wagen ja nicht einfach am Stadtrand abstellen. Zwar habe er noch einen Benziner als Zweitwagen. „Aber das ist ein Oldtimer mit der Abgasnorm 2.“ Seine Befürchtung: „In einem nächsten Schritt könnten bald auch alte Benziner vom Verbot betroffen sein.“
„Stoppt grüne Auto-Hasser“ steht auf den Plakaten
Tatsächlich könnte sich mit Beginn des nächsten Jahres die Zahl der vom Fahrverbot Betroffenen noch einmal drastisch erhöhen. Sollten die Luftmeßwerte keine wesentlichen Verbesserungen zeigen, droht auch Dieselfahrern mit Abgasnorm 5 ein Fahrverbot. „Das ist wie eine schleichende Enteignung. An wen soll ich meinen Wagen verkaufen, wenn jeder weiß, daß er damit dann nicht in die Stadt darf?“, echauffiert sich der Kunde von der Aral-Tankstelle. Auch in seinem Bekanntenkreis sei man „sauer“ über diesen „Schildbürgerstreich“.
Einen Streich, den Ioannis Sakkaros nicht hinnehmen möchte. Schon vor einem halben Jahr rief er eine Facebook-Gruppe gegen das geplante Fahrverbot ins Leben. „Ich postete da alle möglichen Artikel, die ich in den Medien zu dem Thema fand“, erzählt er der JF. Schnell stoßen weitere Unterstützer zur Gruppe.
Zu Jahresbeginn entschloß sich die virtuelle Initiative, am Stuttgarter Neckartor zu demonstrieren. 50 Teilnehmer meldeten sich an. Doch es sollten mehr als 250 kommen. Am vergangenen Wochenende, auf der zweiten Demonstration, waren es bereits mehr als 700.
„Stoppt grüne Autohasser“ haben die Protestler auf ihre Plakate geschrieben. Auch von „Ökoterrorismus“ ist die Rede. Viele tragen gelbe Westen – derzeit in Frankreich Symbol des Protestes gegen die Regierung. „Pro Diesel, keine Enteignung“ oder „Stoppt die Deutsche Umwelthilfe“ steht zumeist auf den Rückseiten der Westen.
Auch viele Politiker und Anhänger der AfD sind dabei. „Bei der ersten Demo waren auch Plakate der CDU zu sehen. Das war beim zweiten Mal nicht mehr der Fall“, schildert Initiator Sakkaros, der auch Mitglied in der IG Metall ist.
„Die Gewerkschaften halten sich bei diesem Thema eher zurück. Sie nehmen ja die Arbeitnehmer-Interessen wahr. Und die Fahrverbote sorgen dafür, daß neue Autos gekauft werden.“ Ein Grund, warum auch die Automobilindustrie auffällig ruhig bleibt.
Der Automobilclub von Deutschland (AvD) springt indessen klar den Autofahrern bei. Den Ausschluß von Dieselfahrzeugen aus Innenstädten, um die Luftgüte zu verbessern, hält der 1899 in Berlin gegründete Club für „unausgegoren“. Fahrverbote und Plaketten ignorierten, daß der Pkw-Verkehr nur einen Teil der Emissionen in Städten verursache. Mit der Verschärfung der Rahmenbedingungen für den Diesel würde der Bürger „zu Unrecht für die Versäumnisse der Politik bestraft“. Wer ein Auto erworben habe, müsse sich auf einen „Bestandsschutz“ berufen dürfen. Ohnedies seien die Potentiale von Verbrennungsmotoren noch nicht ausgeschöpft. Und schließlich emittierten Dieselmotoren der Euro-6-Norm so wenige Schadstoffe wie noch keine Motorengeneration vorher.
Der ADAC in Württemberg argumentiert dagegen defensiv: So setze man sich „gegenüber dem Gesetzgeber und der Verwaltung ... dafür ein, Einschränkungen der individuellen Mobilität nur als allerletztes Mittel in Betracht zu ziehen“. Man erkenne „die Tatsache an, daß die Belastung durch Luftschadstoffe in Stuttgart ... besonders hoch ist und der Straßenverkehr daran einen erheblichen Anteil hat“, heißt es von seiten des Automobilclubs auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT. Für den ADAC habe „der Gesundheitsschutz der Menschen oberste Priorität, der ... auch über dem Bedürfnis nach persönlicher Mobilität steht“.
Demo-Initiator Sakkaros sieht das anders. „Die Politik darf den Individualverkehr nicht beschneiden, das sind Eingriffe in die Freiheitsrechte der Bürger.“
Von dem baden-württembergischen Landtagsabgeordneten Heinrich Fiechtner ist Sakkaros bereits zum „Helden des Diesels“ ausgerufen worden. Dessen „mutige Initiative“ imponiere ihm. „Ich hatte den Demo-Aufruf in der Zeitung gelesen und war sofort mit dabei“, sagt der Arzt und Stuttgarter Stadtrat, der 2017 aus der AfD ausgetreten war und jetzt das lokale Bündnis Zukunft Stuttgart 23 (BZS 23) gegründet hat.
Inzwischen ist Fiechtner sogar Anmelder der Demonstrationen, die bis Ende Mai für jeden Samstag terminiert sind. Einen Tag darauf sind in Baden-Württemberg Kommunalwahlen.
Mehrfach habe es Versuche von AfD-Politikern gegeben, auf der Demo Reden zu halten. „Das haben wir unterbunden“, sagt Fiechtner der JF. Auch die Betriebsratsgruppe Zentrum Automobil um den ehemaligen Gitarristen der rechtsradikalen Rockband „Noie Werte“ ist bei den Demonstrationen mit von der Partie. „Die haben in Flugblättern den Eindruck erweckt, als seien sie die Initiatoren der Demo“, moniert Sakkaros, der die Vereinnahmung seiner Initiative durch die Politik mit einem unguten Gefühl betrachtet und nicht zwischen die Mühlsteine von Parteiinteressen geraten möchte. Inzwischen ist es über genau diesen Punkt zum Zerwürfnis zwischen Sakkaros und Fiechtner gekommen.
Ungeachtet der Demonstrationen gibt es in Stuttgart auch viele Stimmen, die das Diesel-Verbot klaglos hinnehmen. „Es ist doch richtig, daß nun endlich im Sinne eines konsequenten Umwelt- und Klimaschutzes gehandelt wird“, meint eine Frau um die Vierzig, die ebenfalls mit ihrem Wagen die Aral-Tankstelle angesteuert hat. Auch sie fährt einen Diesel, hat sich allerdings bereits ein neues Auto zugelegt. „Wenn wir saubere Luft haben wollen, müssen wir eben alle unseren Beitrag leisten. Da muß man auch bereit sein, bei sich selbst anzufangen.“
Doch besonders die Berufspendler trifft das Verbot hart. „Ich muß jetzt einen Teil meines Arbeitsweges mit der Bahn zurücklegen. Das Problem ist, daß die Parkplätze an den Stationen ohnehin schon besetzt sind. Wenn jetzt noch weitere dazukommen, die mit ihrem Fahrzeug nicht mehr in die Stadt fahren dürfen, wird es chaotisch“, meint ein Versicherungskaufmann aus Böblingen gegenüber der JF. Doch selbst unter den Pendlern äußern überraschend viele Verständnis. „Wenn dadurch die Luft besser wird, profitieren alle davon. Und ich fahre dann eben nicht mehr mit dem Pkw in die Stadt, sondern mit öffentlichen Verkehrsmitteln“, meint eine weitere Berufspendlerin. Eine Aussage, die in Stuttgart auffällig oft zu hören ist.
Verwundern kann das nicht. Die Großstadt im Neckartal gilt als Hochburg der Grünen, die hier mit Fritz Kuhn den Oberbürgermeister stellt. Kuhn wurde 2012 erster grüner OB einer deutschen Landeshauptstadt. Die Löhne sind hoch, die Arbeitslosigkeit niedrig. Und so teilt man in der Auto-Hochburg ausgerechnet gegen diese Branche aus. „Die Autoindustrie hat uns das ja eingebrockt, die hätten doch längst umweltverträglichere Autos bauen können“, meinen nicht wenige der Pendler.
Über solche Aussagen kann man im unterfränkischen Würzburg nur den Kopf schütteln. „Unseren Politikern geht es wohl einfach zu gut. Die können sich doch gar nicht mehr vorstellen, was es heißt, wenn du mir nichts dir nichts dein Auto auf den Schrotthaufen werfen kannst“, redet sich dort ein älterer Dieselfahrer seinen Frust von der Seele. Auch Würzburg droht ein Fahrverbot, wenn auch lediglich auf dem vielbefahrenen Stadtring Nord. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) (JF 49/18) hat diesbezüglich wieder einmal eine Klage eingereicht, weil die Stickoxid-Grenzwerte regelmäßig überschritten würden. Die Stadt hatte zwar angekündigt, den öffentlichen Nahverkehr sowie Radwege auszubauen, um die Luft zu verbessern. Doch dem geschäftstüchtigen Abmahnverein reicht das nicht. Er will ein Dieselfahrverbot mit juristischen Mitteln erzwingen.
Hamburg kontrolliert das Verbot stichprobenartig
„Die können mich mal kreuzweise. Ich lasse mir das Autofahren nicht verbieten“, meint der Dieselfahrer, der sich „vom Staat nichts vorschreiben lassen“ wolle. „Die können so viele Verbote aussprechen wie sie wollen, ich würde trotzdem fahren, die können das doch sowieso nur stichprobenartig kontrollieren.“
„Einzelne Straßen mögen ja noch in Ordnung sein, aber eine ganze Stadt zur Verbotszone zu erklären wie in Stuttgart halte ich für maßlos übertrieben. Was sollen dann diejenigen machen, die sich ein neues Auto nicht leisten können?“, fragt sich eine Anwohnerin aus der Innenstadt von Würzburg.
Während in der unterfränkischen Metropole noch über Fahrverbote in einzelnen Straßenabschnitten diskutiert wird, sind sie in Hamburg bereits Realität. 1,6 Kilometer der Stresemannstraße (die ein Teil der Bundesstraße 4 ist) sowie knapp über 500 Meter der Max-Brauer-Allee sind betroffen. Während in der Stresemannstraße lediglich für Diesel-Lkw unterhalb der Euro-6-Abgasnorm die Durchfahrt verboten ist, sind in der Max-Brauer-Allee auch die Pkw betroffen. Anlieger ausgenommen.
„Ja, die Polizei überwacht das hier sehr scharf“, bestätigt der Angestellte eines Reifengeschäfts. Mehrmals konnte er beobachten, wie die Beamten Fahrzeuge stichprobenartig herauswinkten. „Wenn die sehen, daß da zum Beispiel ein T4 angefahren kommt, geht da gleich die Kelle.“ Auch das Reifengeschäft mußte sich umstellen. „Wir haben deshalb extra neue Firmenautos bekommen, damit wir überhaupt auf unser Betriebsgelände fahren können.“ Denn die vorherigen Fahrzeuge waren allesamt Dieselautos. „Für uns war das nicht dramatisch, weil die Leasingverträge dafür ohnehin gerade ausliefen.“ Auf der Ladentheke hat das Unternehmen Infozettel ausgelegt. „Wir sind trotz Dieselverbot für Sie da!“, steht da in dicken Lettern drauf, versehen mit Informationen über mögliche Ausweichstrecken, um das Unternehmen über Umwege doch noch zu erreichen. Auf die Sinnhaftigkeit der Maßnahme angesprochen verdreht der Mann nur die Augen und schüttelt den Kopf. „Ich sag’ da nichts zu“, kommentiert er mit brummigem Unterton. Er muß es auch nicht. Allein sein Gesichtsausdruck sagt alles.
„Wir lotsen unsere Gäste einfach in die Parallelstraße um, da existiert kein Fahrverbot“, gibt auch die Rezeptionistin eines benachbarten Hotels augenzwinkernd Auskunft. Ist die Luft nun wirklich besser geworden? Anwohner verfallen bei der Frage in spöttisches Gelächter. „Die Luft ist so wie immer, eher noch schlechter, weil jetzt alle Dieselfahrer Umwege in Kauf nehmen müssen und dadurch noch mehr Schadstoffe verursachen“, bringt es einer auf den Punkt. Im Schaufenster der unweit gelegenen Gorch-Fock-Apotheke steht wie zum Hohn Werbung für ein Schleimlösemittel: „Wir verschaffen Ihnen schnell wieder Luft.“ Das Mittel soll wirksam sein. Ob es das Fahrverbot des Hamburger Senats auch ist, bleibt dagegen mehr als fragwürdig.