© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/19 / 25. Januar 2019

„Kein Mehl, und die Preise explodieren“
Sudan: Präsident Umar al-Baschir pflegt gute Beziehungen zu Riad und Kairo, hat aber keinen Draht zur Jugend
Marc Zoellner

Ein Foto vereint beinah eine ganze Nation: Eingekesselt in einer Sackgasse im Zentrum von Khartum drängen sich Dutzende jugendliche Demonstranten, um den Tränengasgeschossen der Polizei zu entfliehen. Um eine Schülerin über die angrenzende Mauer in Sicherheit zu bringen, hockt sich einer ihrer Mitschüler auf die Motorhaube eines Pick-up und läßt das Mädchen seinen Rücken als Trittleiter nutzen. Gerade noch rechtzeitig entkommt die Schülerin als eine der letzten Demonstranten dem Zugriff der Sicherheitskräfte. Das Foto gilt seitdem als Symbol der jüngsten Revolution der Sudaner gegen ihren Machthaber Umar al-Baschir.

Die Sezession Südsudans setzt Khartum unter Druck

Es ist nicht der erste Aufstand, dem sich Sudans Langzeitdiktator, der sich im Juni 1989 mit iranischer Hilfe an die Macht geputscht hatte und seitdem mit eiserner Hand über den nordafrikanischen Nilstaat herrscht, zu stellen hat. Bereits 2011 gab es im Zuge des Arabischen Frühlings in der Landeshauptstadt sowie den fünf Darfur-Provinzen Aufstände, die jedoch von der Armee blutig niedergeschlagen wurden. 

Fünf Jahre später, am 19. Dezember 2016, riefen die Sudaner erneut zum Generalstreik gegen ihren Machthaber auf. Auch diesmal brachte al-Baschir den Protest der vornehmlich studentisch organisierten Opposition mit Waffengewalt zum Schweigen. An der Lebenssituation der Sudaner, dem primären Auslöser der vergangenen Unruhen, hat sich seitdem jedoch rein gar nichts gebessert.

„Unsere Lage ist noch viel schlimmer geworden“, berichtet der 27jährige Gangi aus Wad Madani im Bundesstaat al-Dschazira der JUNGEN FREIHEIT im Gespräch. „Wir können kein Geld mehr auf den Banken abheben, weil keines mehr vorhanden ist. Und selbst wer noch Geld gehortet hat, findet keine Lebensmittel zu kaufen oder muß vor der Bäckerei über drei Stunden warten, nur um ein Stück Brot zu erwerben. Es gibt kein Mehl, und die Preise explodieren.“

Erneut am 19. Dezember, dem Jahrestag der Unabhängigkeit des Sudan, begannen vorigen Monat auch die jüngsten Proteste gegen das Regime in Khartum: Mit der Sezession Südsudans im Januar 2012 hatte der Norden nicht nur den Großteil seiner Erdölreserven verloren, sondern damit verbunden auch seine einzige namhafte Devisenquelle.

 Mittlerweile hat sich die Inflation auf rund 70 Prozent eingepegelt; die Preiserhöhungen treffen das komplette zivile Leben und treiben täglich Zehntausende Sudaner zu friedlichen Protesten auf die Straße. Das sudanische Regime reagiert mit altbekannter Härte.

„Unsere Regierung versucht, uns mit Gewalt zu stoppen“, erzählt Gangi über die Unruhen in Khartum, in Atbara – dem Epizentrum der jüngsten Erhebung – sowie in Wad Medani. Über Scharfschützen der Armee, die gezielt auf Menschen schießen; über maskierte Schlägertrupps in Zivil, die wahllos Demonstranten verhaften; über landesweite Nachrichtensperren und staatliche Zensur. „Sie haben sogar das Internet gedrosselt, um die Verbreitung von Videos über die Revolution einzudämmen, und ebenso sämtliche Apps für soziale Medien blockiert.“

Das Regime selbst spricht von Aufständischen aus dem westsudanesischen Darfur, welche die Proteste im Sudan für ihre eigenen Zwecke entfacht hätten – und daß diese für den Tod der Demonstranten zu verantworten seien. Doch im Land anwesende Journalisten widersprechen dieser Darstellung. „Ich war in Burri, einem zentralen Stadtteil Khartums, um über die Demonstrationen vom 17. Januar zu berichten“, schreibt Hiba Morgan, Sudan-Korrespondentin des katarischen Nachrichtensenders Al Jazeera. „Junge Männer und Frauen skandierten dort ‘friedlich, friedlich’, um den Sicherheitskräften zu zeigen, daß sie unbewaffnet seien. [...] Doch nach zehn Minuten hörten wir Schüsse. Drei Menschen verloren auf diesem Protestmarsch ihr Leben.“ Drei von bislang über vierzig; zuzüglich gut eintausend weiterer Verhaftungen im ganzen Land.

Stippvisite nach Damaskus sorgt für Aufsehen

Zog es die Demonstranten von Atbara ursprünglich noch aufgrund der Brotpreise zum Protest, erweiterte die sudanische Opposition nach den ersten Erschossenen ihre Liste an Forderungen rasch um die Abdankung al-Baschirs. Doch dieser zeigt sich nicht nur weiter fest im Sattel; stattdessen verkündete Sudans Diktator gar, auch zu den kommenden Präsidentschaftswahlen von 2020 wieder antreten zu wollen.

Außenpolitisch dürfte das Khartumer Regime, aufgrund seines Völkermords in Darfur bis vor wenigen Jahren international noch vollkommen isoliert, dabei auf eine ganze Reihe neuer Verbündeter zur Unterstützung hoffen: Die wirtschaftlichen Sanktionen gegen den Sudan wurden bereits im Januar 2017 als eine der letzten Amtshandlungen des US-Präsidenten Barack Obama aufgehoben. Seit seinem Bruch mit dem Iran im selbigen Jahr sowie der militärischen Teilnahme am Jemenkrieg auf seiten Saudi-Arabiens erfreut sich al-Baschir überdies großer Beliebtheit im saudischen Könighaus. Als Gegenleistung für die gut zehntausend sudanischen Söldner versprach Riad Khartum Investitionen im Wert von rund 2,2 Milliarden US-Dollar. 

Mitte Dezember begab sich al-Baschir als erstes arabisches Staatsoberhaupt seit Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs auf Stippvisite nach Damaskus, um mutmaßlich im Auftrag Saudi-Arabiens die Beziehungen zu Syriens Machthaber Baschar al-Assad wiederaufzunehmen. Nur zwei Wochen darauf erklärte Ägyptens Präsident Fattah as-Sisi seinem Amtskollegen die unumschränkte Solidarität gegen die sudanische Protestbewegung.

„Das sind alles Mörder“, zeigt sich Gangi nicht verwundert über das neue Schutz- und Trutzbündnis al-Baschirs mit seinen autokratischen Nachbarn. „Bin Salman hat Jamal Khashoggi getötet, Assad Tausende in Syrien und Sisi Hunderte in Ägypten. Es ist keine große Überraschung, daß sie jetzt ihren kriminellen Freund im Sudan unterstützen. Für uns aber gibt es kein Zurück mehr, bis al-Baschir und seine gesamte Regierung endlich fort sind.“

Für den schwarzen Kontinent verkündet der Jahreswechsel ein unruhiges neues Jahr 2019. Denn der Sudan stellt bei weitem keine Ausnahme dar: In Somalia und Nigeria flammen die Kämpfe gegen islamistische Milizen neu auf. In Kamerun droht der Konflikt zwischen den englisch- und französischsprachigen Landesteilen zu eskalieren. 

In Burundi befürchten internationale Beobachter neue ethnische Säuberungen. Ebenso demonstrieren seit Mitte Januar in Simbabwe erneut Gewerkschaften und Oppositionsparteien gegen die autokratisch regierende Zanu-PF. Allein während der Proteste in den beiden größten Städten Harare und Bulawayo, ausgelöst durch steigende Benzinpreise, wurden dabei Medienberichten zufolge acht Menschen von Sicherheitskräften getötet und Hunderte weitere verhaftet. Und dies, ließ Simbabwes Präsident Emmerson Mnangagwa seinen Regierungssprecher vergangene Woche drohend verkünden, sei „nur ein Vorgeschmack der Dinge, die noch folgen“.